Ergebnislose Rückführung für 200’000 Franken

Ausgeschaffte Familie drei Tage später zurück in Zug

Das kantonale Erstaufnahmezentrum für Asylbewerber in Steinhausen. Hier spielte sich im Februar 2015 ein Drama ab, es kam zu einem Grosseinsatz der Polizei.

(Bild: mbe.)

Eine Familie aus dem Nahen Osten, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, ist von den Zuger Behörden zwei Mal nach Italien zurückgeschafft worden. Einmal mit einem Sonderflug. Nur drei Tage später waren sie wieder da. Kostenpunkt der Aktion: über 200’000 Franken. Der Zuger Sicherheitsvorsteher Beat Villiger kritisiert nun den Bund.

Ein Asylfall aus dem Kanton Zug sorgt für kontroverse Diskussionen. Das Ehepaar mit einem kleinen Sohn wehrte sich mit allen Mitteln gegen seine Abschiebung und beging eine Verzweiflungstat. Es handelt sich um die Familie, welche die Asyl-Durchgangsstation Steinhausen letztes Jahr in Angst und Schrecken versetzte.

Zur Erinnerung: Im Februar 2015 musste die Zuger Polizei nach Steinhausen ausrücken. Weil ihr Asylgesuch abgelehnt worden war, drohten ein damals 39-jähriger Iraner und seine 35-jährige irakische Ehefrau, sich und ihrem vierjährigen Sohn mit einem Messer etwas anzutun. Alle anderen Asylbewerber wurden evakuiert. Drei Stunden versuchte die Polizei zu verhandeln – vergeblich. Dann stürmte die Polizei das Zentrum und überwältigte die Drohenden. Das Kind wurde in Sicherheit gebracht. «Die Familie befand sich in einem Ausnahmezustand», sagte der damalige Zuger Polizeisprecher.

Ausweisung mit Zwangsmassnahmen

Die Geschichte ist aber noch nicht zu Ende. Es gab ein strafrechtliches Verfahren gegen den Vater. Die irakisch-iranische Familie musste die Schweiz verlassen. Gegen ihren Willen. Wegen des Vorfalls, aber vor allem, weil Italien gemäss dem Dublin-Abkommen für sie zuständig ist und ihr Asylgesuch behandeln muss.

Mit Sonderflug nach Italien gebracht

Die Familie wurde im November 2015 mit einem Sonderflug nach Italien gebracht und den dortigen Behörden übergeben. «Die erste der beiden Rückführungen musste mit der höchsten Sicherheitsstufe durchgeführt werden», sagt Beat Villiger, Vorsteher der Zuger Sicherheitsdirektion. Will heissen: mit Zwangsmassnahmen.
In Begleitung von Zuger Polizisten, medizinischem Personal und einem Vertreter der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter. Der Regierungsrat: «Die Zuger Behörden machten der Familie klar, dass sie bei einer erneuten Einreise in die Schweiz in Ausschaffungshaft genommen würden.»

Familie reiste alsbald wieder ein

Nach nur drei Tagen reiste die Familie ein zweites Mal in die Schweiz ein und wurde erneut dem Kanton Zug übergeben. Die Eltern nahm man in Haft, und das Kind wurde von der KESB in einer geeigneten Einrichtung untergebracht. «Die Familie konnte dann im Januar 2016 mit einem Linienflug mit einer tieferen Sicherheitsstufe und weniger Polizisten ein zweites Mal zurück nach Italien geflogen werden», so Villiger. Dort übergab man sie erneut den italienischen Behörden. Wo sie sich jetzt befinden, ist den Zuger Behörden nicht bekannt.

Kosten von über 200’000 Franken

Für Diskussionen und Erstaunen sorgen vor allem die Kosten der ganzen Aktion. Die Zuger schätzen diese auf über 200’000 Franken. Die Sicherheitsdirektion hat eine Vollkostenrechnung für den Aufenthalt, die Unterbringungen, die polizeilichen Einsätze, die Haft, die beiden Rückführungen und Begleitungen erstellt. Davon trage der Bund einen massgeblichen Anteil. Er erstatte aber nicht alle Kosten zurück.

Beat Villiger übt Kritik

«Bei der ersten Rückführung beispielsweise waren die Polizisten von der Zuführung zum Flughafen, über die Flugbegleitung bis zum Rückflug aus Italien gegen 16 Stunden im Einsatz. Der Bund entschädigt die Kosten nur mit einer tiefen Pauschale», erklärt Villiger.

Warum hat der Kanton Zug die Familie überhaupt ein zweites Mal zurückgeführt? Die Zuständigkeit gemäss Dublin-Abkommen ändere nicht, auch wenn jemand mehrmals versuche, in die Schweiz zu kommen. «Die Kantone können dies nicht im eigenen Ermessen handhaben. Zug musste die Familie nach Italien zurückbringen», sagt Beat Villiger.

Bei zweiter Rückführung muss Kanton zahlen

Villiger will diesen Fall in der Konferenz der kantonalen Sicherheitsdirektoren schildern, wo er der Vizepräsident ist. Ihn stört, dass viele Kosten am Kanton Zug hängen bleiben. Der Bund übernehme die Kosten für die Rückführung in einem Dublin-Fall nur teilweise und nur beim ersten Mal. Der CVP-Regierungsrat: «Bei der ersten Rückführung der Familie übernahm der Bund einen erheblichen Teil der Kosten. Im Falle der zweiten Rückführung musste der Kanton für die Flugkosten der zurückzuführenden Personen, für die Kosten des polizeilichen und medizinischen Begleitpersonals sowie für die Zuführung an den Flughafen und für die Flughafenpauschalen aufkommen.»

Vorgeschriebene Begleitpersonen übertrieben?

Da die Kantone Bundesrecht vollzögen, müsste der Bund auch für solche Kosten aufkommen, findet Villiger. «Es kann doch nicht sein, dass die Kantone für Versäumnisse des Auslands die Zeche zahlen, wenn die zurückgeführten Personen wieder in die Schweiz kommen. Er kritisiert auch die vorgeschriebenen Begleitmassnahmen als «übertrieben». «Aus meiner Sicht schreibt der Bund zu übertriebene Begleitmassnahmen vor, wie zum Beispiel, dass ein Arzt oder etwa ein Vertreter der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter mitreisen muss.»

Asybrücke Zug sieht Probleme woanders

Rupan Sivaganesan, Präsident des Vereins Asylbrücke Zug und auch SP-Kantonsrat, hat Kenntnis vom Fall. Zur Kritik Beat Villigers, dass die Begleitpersonen bei Ausschaffungen die Angelegenheit unnötig verteuerten, sagt Rupan Sivaganesan, diese Begleitung sei «richtig und wichtig». «Es gab Fälle, bei denen Menschen gestorben sind.» Es sei schade, dass der Regierungsrat sich auf «dieses Detail» fokussiere. «Falls Begleitpersonen zu teuer sind, gibt es mit Sicherheit genügend kompetente Personen, die zahlbar sind.»

«Rückschaffung nach Italien falscher Ansatz»

Sivaganesan findet, die Schweiz sollte vielmehr das Dublin-System überdenken. Es führe dazu, dass man die Leute hin und her schiebe, nur weil ein Grenzstaat theoretisch zuständig sei. Man wisse, dass sowohl Griechenland wie auch Italien mit den Flüchtlingen überfordert seien. Das Dublin-Verfahren wurde für Griechenland aufgehoben, das sollte auch für andere Grenzstaaten gelten. «Für so viel Geld eine Familie nach Italien zurückzuschaffen, finde ich einen falschen Ansatz. An den europäischen Aussengrenzen gibt es sehr viele Menschenrechtsverletzungen.»
 
Der Präsident des Vereins Asylbrücke Zug plädiert dafür, dass die Schweiz als wohlhabendes Land sowohl im Inland ihre Verantwortung wahrnehmen sollte als auch im Ausland, vor Ort. «Die Schweiz sollte sich gegen den Krieg in den Herkunftsländern der Flüchtlinge einsetzen, Friedenspolitik und humanitäre Hilfe leisten.»

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