Erkrankter Zuger droht Medikamente zu verlieren

«Auf der Schwarzen Liste zu landen, käme dem Todesurteil gleich»

Richard Hornbacher lief Gefahr, auf der Schwarzen Liste der Krankenkasse zu landen. Zu unrecht, ist er überzeugt. (Bild: wia)

Wer die Rechnungen der Krankenkasse nicht zahlt, landet in Zug auf der Liste der säumigen Prämienzahler. Die Geschichte eines chronisch Kranken aus Risch-Rotkreuz zeigt die Problematik der «Schwarzen Liste» exemplarisch auf.

Richard Hornbacher hat ein schwieriges Jahr hinter sich. Beinahe landete er wegen alter Verlustscheine auf der Schwarzen Liste des Kantons Zug. Bei einem gesunden Menschen dürfte dieser Listeneintrag schon Unsicherheit auslösen. Denn ist man erst auf der Liste, wird einem nur noch Nothilfe zuteil. Für den Zuger, der lebenswichtige Medikamente nehmen muss, wäre ein solcher Eintrag fatal.

Um uns seine Geschichte anzuhören, treffen wir Richard Hornbacher in der Bauhütte, einem Begegnungscafé in der Zuger Altstadt. Der 59-Jährige wuchs in Deutschland und den USA auf, wo er Wirtschaft studierte und später als Yachtmakler arbeitete. 1992 kam er in die Schweiz, heiratete, verdiente gut.

700 Franken pro Monat müssen reichen

In den frühen 2000er-Jahren verlor Hornbacher seinen Job. Ebenfalls wurde seine Ehe geschieden. Weil der gebürtige Deutsche an einer Immunkrankheit leidet und 2009 eine Hirnverletzung erlitt, lebt er zu 50 Prozent von der Invalidenversicherung (IV). «Stress kann meine Krankheit verstärken», erklärt er. Nachdem Hornbacher während drei Jahren von der Nothilfe abhängig war, arbeitet er nun zu 50 Prozent bei der IG Arbeit in Luzern und hat daneben ein Mandat als Begleiter beeinträchtigter Menschen bei der Organisation «Assistenzbüro».

«Ich komme nur über die Runden, weil ich zusätzlich zur IV-Rente Ergänzungsleistungen erhalte.»

Richard Hornbacher, Einwohner von Risch-Rotkreuz

Viel Geld verdient er mit seinen Jobs jedoch nicht. Hornbacher sagt: «Ich komme nur über die Runden, weil ich zusätzlich zur IV-Rente Ergänzungsleistungen erhalte.» Die anfallenden Kosten für die Wohnung werden von der Sozialversicherung übernommen, die Krankenkassenprämien werden über die Individuelle Prämienverbilligung rückerstattet.

Zum Glück für den Zuger, denn aufgrund seiner Immunerkrankung ist er auf teure Medikamente angewiesen, die monatlich tausende von Franken kosten. «Ich könnte das nie selbst stemmen.» Für die Abdeckung aller persönlichen Auslagen, inklusive Lebensmitteleinkäufe, bleiben ihm rund 700 Franken. Das reicht, wenn auch knapp.

Gemeinde drohte dem IV- und EL-Bezüger mit Schwarzer Liste

Im Frühling 2021 erhielt Hornbacher jedoch unliebsame Post vom Sozialdienst der Gemeinde Risch-Rotkreuz. «Wir teilen Ihnen mit, dass wir gegen Sie ein Verfahren zur Aufnahme in die Liste der säumigen Prämienzahler einleiten», heisst es im Brief, der zentralplus vorliegt. Die Aufnahme in die Schwarze Liste drohte aufgrund einiger unbezahlter Krankenkassenrechnungen aus dem Jahr 2018 und 2019. Zu zahlender Betrag: 1242,55 Franken.

Hornbachers Schuldenberater nennt die fatalen Auswirkungen beim Namen: «Landet Hornbacher tatsächlich auf der Schwarzen Liste, kommt das einem Todesurteil gleich», sagt André Widmer von Triangel Beratung. Wer nämlich auf ebendieser Liste steht, dem kommt nur noch Nothilfe zuteil. Die überlebenswichtigen und sehr teuren Medikamente, die Hornbacher nehmen muss, würden demnach nicht mehr übernommen.

Ähnlicher Fall aus Graubünden sorgte schweizweit für Furore

Widmer weist auf einen Fall aus dem Kanton Graubünden hin, der sich im Jahr 2017 ereignete. Damals starb im Churer Spital ein Mann an einer Begleiterkrankung von Aids. Er hatte bei seiner Krankenkasse Betreibungen, aufgrund derer er auf der Schwarzen Liste gelandet war. Zweimal gelangte er an seine Krankenkasse in der Hoffnung, dass ihm die Therapie gezahlt werde. Diese blieb jedoch hart. Der Patient starb.

Die Schwarze Liste als Druckmittel für säumige Zahler wurde in Graubünden mittlerweile aufgehoben. Nicht so in Zug, einer von noch fünf Kantonen, die dieses umstrittene Werkzeug anwenden. Der Vollzug läuft über die einzelnen Gemeinden.

«Im Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung sind keine Ausnahmen für IV-/AHV- oder EL-Beziehende vorgesehen.»

Patricia Max, Soziale Dienste Risch-Rotkreuz

In Luzern, wo die Schwarze Liste ebenfalls geführt wird, sind IV- respektive AHV-Bezüger ausgenommen. Im Kanton Aargau gilt eine chronische Erkrankung, «die unbehandelt zu einer schweren Einschränkung der Lebensqualität oder gar zum Tod führt» als Grund für die Nicht-Aufnahme in besagte Liste. Und in Zug?

Patricia Max, die Bereichsleiterin Soziale Dienste der Gemeinde Risch-Rotkreuz weist darauf hin, dass die Gemeinden im Kanton Zug gemäss Einführungsgesetz zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung (EG KVG) zuständig seien, Versicherte, die vom Versicherer betrieben würden, spätestens beim Vorliegen des Verlustscheins in die Liste zu verfügen. «Ausgenommen sind minderjährige Versicherte. Im EG KVG sind keine Ausnahmen für IV-/AHV- oder EL-Beziehende vorgesehen», erklärt Max auf Anfrage.

Kein Verständnis für Hornbachers Situation

Nach der Androhung des Listeneintrags gelangte André Widmer als Richard Hornbachers Schuldenberater an die Gemeinde Risch-Rotkreuz, um eine Fristerstreckung zu erreichen. Da Hornbacher bereits unter dem Existenzminimum lebe, sei es nicht möglich, die ausstehenden Beträge zurückzuzahlen, beteuerte Widmer im September 2021 in einem Brief an die Sozialen Dienste der Gemeinde. Auch ein Budget sowie einen Arbeitsvertrag seines Klienten legte er bei.

Bei der Gemeinde Risch-Rotkreuz fand man jedoch kein Gehör. Es könne «festgehalten werden, dass Richard Hornbacher im Rahmen der Ergänzungsleistungen über ein gesichertes Existenzminimum verfügt», stellte diese in einem Schreiben vom September 2021 fest. «Um eine Aufnahme auf die Liste der Versicherten mit Leistungsaufschub (Anm. d. R. Schwarze Liste) zu verhindern, gibt es leider nur die Möglichkeit, die bestehenden Ausstände bei der entsprechenden Krankenkasse zu 100 Prozent zu begleichen.» Man sei gern bereit, Hornbacher eine zusätzliche Frist bis zur Bereinigung der Krankenkassenausstände einzuräumen.

Auf dieses Schreiben hin reagierte André Widmer im Namen seines Klienten mit einem Antrag um eine Fristerstreckung bis Ende Januar 2022, welche ihm zugesprochen wurde.

Praxis im Kanton Zug war jahrelang bundesrechtswidrig

Aus dem Schlamassel rausgeholt hat Hornbacher letztlich eine kantonale Anpassung zum Thema. Jahrelang nämlich agierte der Kanton Zug mit seiner Praxis zur Schwarzen Liste gegen Bundesrecht (zentralplus berichtete). Dort war festgelegt, dass auf die Schwarze Liste die Zahlungsunwilligen landen. Jemanden, der jedoch zahlungsunfähig ist, auf die Liste zu setzen, macht keinen Sinn.

Ein Urteil des Zuger Verwaltungsgericht vom Sommer 2021 führte diesen Missstand zutage. Vor rund vier Monaten, im Dezember 2021, kündigte der Regierungsrat darum an, die Praxis zu ändern. Wer damals auf der Schwarzen Liste stand, wurde kurzerhand daraus entlassen.

Ende gut, alles gut, für Hornbacher?

Nun ist die Gefahr der Schwarzen Liste für Hornbacher gebannt

Nicht ganz. Denn Hornbachers Schulden – neben den 1250 Franken für die Krankenkasse sind es noch rund 1100 Franken mehr – existierten ja nach wie vor. Die Gemeinde Risch-Rotkreuz blieb in der Sache stur und will die anfallenden Krankenkassenschulden nicht übernehmen. Die Lösung? «Wir haben bei der LZ-Weihnachtsaktion ein Gesuch gestellt und wurden glücklicherweise unterstützt!», sagt Widmer.

«Es wäre wichtig, dass jeder Einzelfall genau angeschaut wird und pragmatische, differenzierte Lösungen gefunden werden.»

André Widmer, Schuldenberater

Dass er kürzlich die Schuldscheine von der Gemeinde zurückkaufen konnte, erleichtert Hornbacher ungemein. Für den Moment ist die Gefahr, auf der Schwarzen Liste zu landen, gebannt. Doch gibt er zu bedenken: «Ich wünsche mir, dass die Gemeinde Risch-Rotkreuz zur Einsicht kommt, dass ich nichts Böses gemacht habe.» Widmer ergänzt: «Es wäre wichtig, dass jeder Einzelfall genau angeschaut wird und pragmatische, differenzierte Lösungen gefunden werden. Es kann doch nicht sein, dass man wegen 1242,55 Franken den Tod eines Menschen in Kauf nimmt.»

Gemeinde verweist auf ihre rechtliche Pflicht

Der Eintrag der Schwarzen Liste hätte für Hornbacher gesundheitlich schlimme Konsequenzen gehabt. Warum sah man bei der Gemeinde Risch-Rotkreuz aus diesem Grunde nicht davon ab? Patricia Max kann zum vorliegenden Fall nichts sagen, da es sich um ein laufendes Verfahren handle. Sie weist jedoch darauf hin, dass die Gemeinde verpflichtet sei, die kantonalen Bestimmungen umzusetzen. Die Gemeinde «hat kein Ermessen, solche Bestimmungen nicht anzuwenden». Max verweist auf das Gesetz, konkret auf Paragraf 5f* des Krankenversicherungsgesetzes, von dem sie nicht abweichen könne.

«Es liegt an den medizinischen Leistungserbringern, die Leistungen zu bestimmen, welche für eine versicherte Person als Notfallbehandlung gelten.»

Patricia Max, Leiterin Abteilung Soziale Dienste Risch-Rotkreuz

Max weiter: «Nachdem eine versicherte Person auf der Liste der Versicherten mit Leistungsaufschub verfügt worden ist, liegt es an den medizinischen Leistungserbringern, die Leistungen zu bestimmen, welche für eine versicherte Person als Notfallbehandlung gelten.»

Ebenfalls weist Max darauf hin, dass es aktuell unklar sei, wie es mit der Schwarzen Liste im Kanton Zug weitergehen werde. «Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinden und der Gesundheitsdirektion, soll den Vorschlag ausarbeiten», so die Bereichsleiterin Soziale Dienste von Risch-Rotkreuz.

Richard Hornbacher hofft, dass die Schwarze Liste in Zug bald der Vergangenheit angehört. «Ich bin zwar nun in Sicherheit, doch wünsche ich es wirklich niemandem, dass er oder sie eine solch schwierige Situation erleben muss.»

Verwendete Quellen
  • Mailverkehr zwischen Sozialen Diensten Risch-Rotkreuz und André Widmer
  • Persönlicher Kontakt mit André Widmer und Richard Hornbacher
  • Schriftlicher Kontakt mit der Leiterin der Sozialen Dienste Risch-Rotkreuz
  • Verwaltungsgerichtsurteil Sommer 2021
  • Reglement des Kantons Luzern zur Schwarzen Liste
  • Reglement des Kantons Aargau zur Schwarzen Liste

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


5 Kommentare
  • Profilfoto von Cygrill
    Cygrill, 23.04.2022, 07:56 Uhr

    Es werden Menschen bestraft die zahlungswillig sind, aber sich in einer Zahlungsunfähigkeit befinden. Da sie sich in einer Notlage befinden ist es eine absolute Diskriminierung. Dies ist fast nicht zum Glauben und doch geschieht es. Ziemlich asozial vom Sozialamt. Machen die ihren job wirklich seriös?

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Patrick Flückiger
    Patrick Flückiger, 19.04.2022, 23:28 Uhr

    Es kann doch nicht sein, dass man bspw. Milliarden an Hilfsgelder ins Ausland schickt um Menschen vor dem Sterben zu retten und dann in Kauf nimmt, dass ein Mensch der hier lebt und Pech hatte im Leben seine Lebenwsichtigen Medikamente verwehrt kriegt. Dass es soetwas im Kanton Zug überhaupt gibt ist in meinen Augen ein Skandal und ich bin der Meinung dass das Gesetz schleunigst angepasst gilt und zwar in sämtlichen Kantonen in welchen diese veralteten Praxis noch herrscht!

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 17.04.2022, 15:40 Uhr

    Im Wissen, dass die Krankenversicherungen Milliarden bunkern, grenzen solche Listen an Zynismus und gehören endlich abgeschafft. Solange man aber CEO wie Frau Colatrella duldet, welche unverhohlen eine Jahresfanchise von CHF 10’000.– fordert und sich Nationalräte wie Ruth Humbel in den Verwaltungsräten von Krankenversicherungen tummeln, wird sich an der zynischen Gesundheitspolitik der Schweiz nichts ändern. Ukraine-Solidaritäts-Fetischismus kommt in diesen Tagen eben besser an, als sich um den eigenen Mist im Stall zu sorgen.

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Odermatt
    Odermatt, 16.04.2022, 13:53 Uhr

    Ein guter Artikel von Herr Hornbacher.
    Aber leider sehr traurig das so eine schwarze Liste ein Todesurteil bedeuten kann…..
    Es kann jedem mal passieren aus irgendeinem Grund, dass man vielleicht mal dies und jenes nicht bezahlen kann.

    👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von markovian
    markovian, 15.04.2022, 21:57 Uhr

    Wieso sind solche Listen überhaupt möglich? Diese Listen verstossen dermassen gegen den Ethischen Grundkonsens, dass ich wirklich staune, dass diese nicht mit iregendwelchen anderen Gesetzen im Konflikt stehen. Wieso hat noch kein Gericht diese offensichtlich falsche Praxis einkassiert?

    👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon