«Queer Office» bringt heikles Thema nach Luzern

Auf der Flucht und homosexuell – Ablehnung hoch zwei

Ein Plakat zum Thema Flucht von Benjamin Herrmann. 2015 beim «Weltformat»-Plakatfestival erstmals ausgestellt. (Bild: zvg)

Flüchtlinge haben mit vielen Vorurteilen und häufig auch Diskriminierung zu kämpfen. Doch was, wenn man den Grund für seine Flucht nicht beweisen kann? Und was, wenn man wegen seiner Sexualität selbst von Mit-Flüchtlingen nicht akzeptiert wird? Ein Iraner erzählt, wie es ihm ergangen ist.

Alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen – unter widrigsten Umständen, unwillkommen, verängstigt. Doch was, wenn zu all den Hürden, die Geflüchteten sowieso schon im Weg stehen, auch noch die eigene Sexualität hinzukommt?

Das diesjährige Winterfest des Luzerner Vereins Queer Office rückt mit der Veranstaltung «Verboten sein – Gibt es Hoffnung für geflüchtete LGBTI-Menschen in der Schweiz?» das aktuelle Thema Flucht in den Fokus (siehe Box am Ende).

Verhindert durch die eigenen Landsleute

M. S.* kennt die Situation von beiden Seiten: Er ist vor 26 Jahren vor dem Krieg aus dem Iran geflohen und lebt mittlerweile geoutet in Luzern. Wegen seiner Besuche bei der Familie im Iran bleibt er jedoch auch heute lieber anonym, wenn er über seine Homosexualität spricht. In Luzern unterstützt der 48-Jährige Geflüchtete und Jugendliche. Immer wieder ermutige er dabei Menschen, sich zu outen, berate und begleite sie.

Als er in den frühen 90er-Jahren flüchtete, sei die Schweiz noch viel weniger offen gewesen. «Homosexualität war noch ein Tabu. Und es gab auch keine Möglichkeit, dass man sich in Luzern beispielsweise regelmässig treffen konnte.» Erst einige Jahre später habe er an der Hochschule homosexuelle Kollegen gehabt und deshalb den Schritt gewagt. «Ich hatte das Gefühl, ich muss mich nicht mehr verstecken und habe mich auch gegenüber meiner Familie im Iran geoutet.»

«Wir brauchen viel mehr Öffentlichkeitsarbeit, um die Ängste und Hemmungen zu beseitigen.»

Heute beobachte er jedoch noch immer viele Hürden für LGBTI-Menschen auf der Flucht. «Die Flüchtlinge, die ihre Homosexualität als Fluchtgrund bei der Einreise angeben möchten, werde meistens von den Dolmetschern – vor allem Männer – nicht unterstützt, sondern verhindert. Dies sind oft ältere oder traditionelle Männer, die das Bild der Heimat bewahren wollen», erklärt er. Ein Beispiel für die Haltung dieser Männer sei auch der iranische Ex-Präsident Ahmadinejad, welcher in der UNO-Versammlung behauptete: «There is no gay and lesbian in Iran, we don’t have such things.» Man habe keine Homosexuelle im Iran. «Und das obwohl im Iran jährlich über 400 Homosexuelle gehängt werden», sagt M. S.

Diskriminierung in Unterkünften

Eine weitere Hürde sieht M. S. dort, wo die Behörden die Menschen bei der Einreise nicht genug über ihre sexuellen Rechte informierten. «Viele wissen immer noch nicht, in welchen Ländern welche Gesetze und Bestimmungen gelten. Wir brauchen viel mehr Öffentlichkeitsarbeit, um die Ängste und Hemmungen zu beseitigen.» Auch deshalb seien Veranstaltungen wie die von Queer Office und Queeramnesty bedeutend.

LGBTI? Queer?

LGBTI steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender and Intersexual.

Der Begriff «queer» lässt sich unter anderem mit den deutschen Wörtern eigenartig, komisch, verrückt oder auch spezifisch mit homosexuell übersetzen. Mit queeren Menschen oder Lebensformen sind somit alle gemeint, die normierte heterosexuelle Vorstellungen nicht erfüllen und aus dem Rahmen fallen. Gleichzeitig wird der Begriff vor allem inklusiv genutzt. Es wird versucht, das Denken in Schubladen zu vermeiden und Platz für Vielfältigkeit zu schaffen.

Kathy Bajaria von Queer Office und Mitorganisatorin des Winterfestes im Neubad gibt zu, sich selbst früher auch zu wenig Gedanken über LGBTI-Flüchtlinge gemacht zu haben. «Heute sehe ich es als zentral an, dass die Menschen dafür sensibilisiert werden», betont sie. Sie habe sich jetzt monatelang mit dem Thema befasst, sich viel auch mit M. S. unterhalten.

Da nehme man die eigenen Probleme plötzlich wieder anders wahr. «Bei uns geht es derzeit darum, ob wir als homosexuelle Paare auch heiraten und adoptieren dürfen.» Die Menschen hingegen, welche zu uns flüchten, kämpften oft darum, überhaupt aussprechen zu dürfen, dass sie eine andere sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität haben – von einem offenen Leben als gleichgeschlechtliches Paar ganz zu schweigen. «Doch nicht nur vor der Flucht, auch währenddessen und in den Asylunterkünften stossen sie auf Diskriminierung», betont Bajaria.

Sind wir nicht alle irgendwie eingewandert?

«Wir wollen aufzeigen, welchen zusätzlichen Hürden, Vorurteilen und Reaktionen LGBTI-Menschen auf ihrer Flucht begegnen», so Bajaria, die selbst auch einen «Migrationshintergrund» hat (zentralplus berichtete). «Aber den haben wir in der Schweiz fast alle», sagt Bajaria und weist damit auf eine Installation hin, welche sich während des Festes am Samstag im Neubad befinden wird. Die Besucher werden dort aufgefordert, anzugeben, ob sie selbst, jemand der Eltern, Grosseltern oder Urgrosseltern aus dem Ausland eingewandert ist. 

Das Winterfest im Neubad bietet neben der Installation viele Möglichkeiten zum Austausch und ein kulturelles Programm. So wird der Kinofilm «Born this way» gezeigt und Sissy Fox spielt ein Konzert im Keller. Mit dabei ist auch das bekannte Weltformat-Plakatfestival mit seinen 2015 ausgestellten Werken zum Thema Flucht (einige davon zeigen wir im Artikel).

Links: Johnson / KingstonRechts: Andrin Stocker (Bild: zvg)

Links: Johnson / Kingston
Rechts: Andrin Stocker (Bild: zvg)

Queere Vereine spannen zusammen

Der Kulturverein Queer Office verbindet seit einigen Jahren mit verschiedensten Anlässen Menschen aller Art und Herkunft und bietet eine Plattform für Meinungsbildung in Luzern. Er setzt sich national für die Sichtbarkeit und die Vernetzung der Queer-Community ein. Der Verein schliesst damit eine Lücke, welche nach der Auflösung der Homosexuellen Arbeitsgruppe Luzern (HALU) entstand (zentralplus berichtete).

Queeramnesty Schweiz ist eine Gruppe aus Freiwilligen von Amnesty International Schweiz, die sich für Menschenrechte mit Fokus auf sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität einsetzt. Nun spannen die beiden Vereine zusammen und das Ziel ist klar: Die geflüchteten LGBTI-Menschen und deren Bedürfnisse sichtbar machen und damit einen Diskurs über den Umgang mit ihnen im Asylverfahren vorantreiben.

Links: Sebastian Navarro & Niklaus AchermannRechts: Rafael Lippuner (Bild: zvg)

Links: Sebastian Navarro & Niklaus Achermann
Rechts: Rafael Lippuner (Bild: zvg)

Das Programm am 4. Februar im Neubad Luzern

Ab 15.00 Uhr: Ausstellung Weltformat, interaktive Installation, Barbetrieb
Ab 16.00 Uhr: Input Referat und Workshops in den Begegnungszonen
Ab 19.15 Uhr: Gesprächsrunde «Was muss sich im Schweizer Asylverfahren für geflüchtete LGBTI-Menschen ändern?»
Ab 21.30: Film «Born this way» im Pool
Ab 23.00 Uhr: Konzert Sissy Fox und anschliessend Party mit dem DJ Duo Juan und Blerim

Das Winterfest 2017 ist bereits die sechste Schwerpunkt-Veranstaltung von Queer Office zu LGBTI-Themen. 

M. S.* – Name der Redaktion bekannt

Links: Klaus Staeck und Götz GramlichRechts: Roman Bittner (Bild: zvg)

Links: Klaus Staeck und Götz Gramlich
Rechts: Roman Bittner (Bild: zvg)

0 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon