Ombudsfrau Bernadette Zürcher im Interview

«Auch in Zug fallen Menschen durchs soziale Netz»

Bernadette Zürcher ist seit rund einem Jahr als Zuger Ombudsfrau tätig. (Bild: zvg)

147 Fälle hat die Zuger Ombudsstelle im letzten Jahr behandelt. Für Bernadette Zürcher, welche die Stelle seit Anfang 2019 leitet, war es ein lehrreiches Jahr. Im Interview erzählt sie, was die Ratsuchenden am meisten belastet und was sie berührt hat.

Warum dauert es so lange, bis ich bei der IV angemeldet bin? Warum sind meine Ergänzungsleistungen so tief? Warum darf meine Tochter nicht an die Kantonsschule, sondern muss in die Sek? Und wie kommt es, dass die Wohnung meiner unmündigen Tochter durchsucht wurde, ohne dass ich als Mutter informiert wurde? Dies vier der 147 Themen, welche die Zuger Ombudsfrau Bernadette Zürcher im vergangenen Jahr bearbeitet hat.

Zu einem Grossteil ging es dabei um Konflikte von Einwohnern mit den kantonalen Stellen sowie den Gemeinden, wie man dem aktuellen Ombudsbericht entnimmt.

Insbesondere betrafen die Beschwerden Stellen wie die KESB, die Sozialdienste, die Polizei und das Strassenverkehrsamt oder auch die AHV-Ausgleichskasse sowie die IV-Stelle. «Dies sind alles Stellen und Ämter, in denen häufig die Verwaltung über einen Wissensvorsprung verfügt. Bürgerinnen und Bürger können sich durch diese Macht in ihrer Persönlichkeit bedroht fühlen», so schreibt Zürcher weiter.

Weiter wurden im vergangenen Jahr häufig Fälle an die Ombudsfrau herangetragen, in denen es um die mangelnde Unterstützung bei der Wohnungssuche ging: «Viele Gemeinden neigen dazu, den Obdachlosen lediglich eine Liste von möglichen Unterkünften auszuhändigen. Diese Listen sind zum Teil nicht mehr aktuell, was die Wohnungssuche zusätzlich erschwert.»

«Wenn man einmal durch die Maschen des Systems gefallen ist, kommt man schwierig wieder rein.»

Bernadette Zürcher, Zuger Ombudsfrau

Weiter würden Obdachlose nicht selten an die Notschlafstelle in Luzern verwiesen, was ebenfalls für die Betroffenen praktisch nicht realisierbar sei. Dies schon allein aufgrund der Bahnkosten. Obdachlose in Zug? Das dürfte viele erstaunen.

Bernadette Zürcher: Es gibt in Zug durchaus Menschen, die durch die Maschen des Systems fallen. Als Beispiel: Ich muss einen Lebensmittelpunkt angeben, um mich bei einer Gemeinde als Sozialhilfeempfänger anzumelden. Wenn ich nun aber meine Wohnung verliere und keine mehr finde, ist das schwierig. Eine solche Lücke kann entstehen. Die Wohnsituation ist für viele hart. Ein weiteres Problem: Wenn man einmal durch die Maschen gefallen ist, kommt man nur schwer wieder ins System rein. Solche Fälle haben mich berührt.

zentralplus: Wie könnte man die Netzmaschen verdichten, damit so etwas nicht passiert?

Zürcher: Ganz konkret bräuchte es mehr günstigen Wohnraum. Nicht nur für die, die durchs Netz zu fallen drohen. Es gibt viele, die funktionieren und arbeiten, sich das Leben in Zug jedoch trotzdem nur mit Mühe leisten können, da die Miete so viel wegfrisst. Ich habe in den letzten 15 Monaten in Zuger Familien hineingesehen, die sehr direkt von Armut betroffen sind.

«Die Ombudsstelle ist auch dafür da, die Verwaltung vor unberechtigten Vorwürfen zu schützen.»

zentralplus: Was sind die Themen, welche Zuger am meisten belasten, welche an die Ombudsstelle gelangen?

Zürcher: Generell kann man sagen: Je stärker die Verwaltung Eingriffe in die wirtschaftliche Existenz eines Menschen vornimmt, desto emotional belastender wird es für diesen. Doch finde ich dabei etwas sehr wichtig.

zentralplus: Was denn?

Zürcher: Die Ombudsstelle ist auch dafür da, die Verwaltung vor unberechtigten Vorwürfen zu schützen. Ich komme häufig in die Situation, dass ich den Ratsuchenden erkläre, warum die Entscheide der Verwaltung rechtmässig sind. Dafür muss ich mir ein Bild von beiden Seiten machen.

zentralplus: Tatsächlich fällt in der aktuellen Statistik auf, dass im letzten Jahr deutlich mehr persönliche und telefonische Gespräche mit Ratsuchenden sowie Telefonate mit den betreffenden Verwaltungsstellen stattfanden als im Jahr davor. Letztere wurden von Ihnen 172-mal kontaktiert, im Jahr davor, als Sie Ihr Amt noch nicht innehatten, waren es 90.

Zürcher: Jeder hat seine Art zu arbeiten. Ich bevorzuge persönliche Gespräche. Da kann ich mir eher ein Bild von jemandem machen. Offenbar bin ich eine Person, die schneller bei der Verwaltung nachfragt, um herauszufinden, was in einem bestimmten Fall bisher passiert ist. In meiner Position als Vermittlerin finde ich es wichtig, auch den Standpunkt der Verwaltung abzuholen.

zentralplus: Was ebenfalls auffällt in der Statistik: 2018 wurden 121 Fälle bearbeitet, 2019 hingegen 147. Was sagen diese Zahlen aus?

Zürcher: Die Zahlen liegen im Rahmen der normalen Schwankungen. Abgesehen davon heisst es nicht, dass die 121 Fälle weniger Aufwand generiert haben als die letztjährigen 147. Grundsätzlich habe ich nicht das Gefühl, dass es grosse Veränderungen gibt in der Anzahl der Fälle.

zentralplus: Dann spüren Sie die Corona-Krise nicht in ihrem Amt?

Zürcher: Doch, es gelangen mehr Anfragen im Bereich Arbeitsrecht an uns. Häufig geht es um aktuelle Existenzängste. Weil die jedoch meistens privatrechtlicher Natur sind, kann ich häufig gar nicht weiterhelfen. Ich kann nur versuchen, sie an die richtige Stelle weiterzuverweisen, also beispielsweise an die Unia oder spezifische Rechtsauskünfte. Doch sind das nicht Beschwerden, die wir bearbeiten müssen.

zentralplus: Sie sind seit Anfang 2019 als Ombudsfrau in Zug tätig. Können Sie ein Zwischenfazit ziehen?

Zürcher: Ich habe im letzten Jahr das Gefühl bekommen, dass die Ombudsstelle als sehr positiv erlebt wird und im Kanton Zug eine hohe Akzeptanz geniesst. Sowohl von den Ratsuchenden als auch in der Verwaltung. Diesbezüglich hat meine Vorgängerin Katharina Landolf bereits viel Vorarbeit geleistet. Ich kann nun die Früchte ihrer Arbeit ernten. Weiter ist mir positiv aufgefallen, wie gut die Verwaltung funktioniert. Wir sind privilegiert, dass wir als einziger Zentralschweizer Kanton eine Ombudsstelle haben. Gewisse Umstände haben mich ausserdem nachdenklich gestimmt.

«Persönlich bedroht gefühlt habe ich mich jedoch nie.»

zentralplus: Was denn beispielsweise?

Zürcher: Wie gesagt, dass es beispielsweise möglich ist, dass Menschen trotz unseres sehr hohen Wohlstands durch die gesellschaftlichen Maschen fallen.

zentralplus: Gab es je Situationen, gerade bei Gesprächen mit Ratsuchenden, die Sie als heikel einstufen würden? In denen eine Person beispielsweise besonders aggressiv wurde?

Zürcher: Man muss vielleicht dazu sagen, dass ich ja nicht das Ziel von möglicher Aggression und daher ausserhalb der Schusslinie bin. Klar gibt es zwischendurch Leute, die in ihrem eigenen Denken rotieren. Es ist wichtig, diese entsprechend abzuholen. Doch kam das bis jetzt sehr selten vor, vielleicht ein- bis zweimal. Persönlich bedroht gefühlt habe ich mich jedoch nie. Eher so, dass ich froh war, wenn jemand wieder gegangen ist.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon