500 Wohn-Experten trafen sich im KKL Luzern

Appell an die Genossenschaften: Schliesst die Armen nicht aus!

Grosses Interesse: Am Referat von Rolf Fischer (vorne rechts) von der Gemeinnützigen Stiftung für preisgünstigen Wohnraum Luzern.

(Bild: pgu)

Im KKL fand am Freitag das siebte Forum der Schweizer Wohnbaugenossenschaften statt. Unter anderem wurde die Frage diskutiert, was «Wohnraum für alle» bedeutet. Und es wurden Ansätze präsentiert, wie man auch «schwierigen Mietern» die Chance auf eine bezahlbare Wohnung gewährleisten kann. Doch die Diskussion blieb etwas auf der Strecke.

Rund 500 Experten aus Genossenschaften, Politik, Behörden und sozialen Institutionen diskutierten am Freitag die Frage: Was heisst Wohnraum für alle? Neben verschiedenen Diskussionen und Atelierangeboten informierte eine Ausstellung im Foyer des KKL über wichtige Projekte und Branchenneuheiten.

Organisiert wurde das siebte Forum der Schweizer Wohnbaugenossenschaften von den beiden Dachverbänden «Wohnbaugenossenschaften Schweiz» und «Wohnen Schweiz».

Wohin mit «schwierigen Mietern»?

Eine Mietwohnung zu ergattern ist oft schon für Normalsterbliche gar nicht so einfach. Umso grösser ist die Hürde etwa für Menschen mit tiefem oder gar keinem Einkommen, für solche mit einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung oder für Personen, die als Asylsuchende in die Schweiz gekommen und noch nicht gut integriert sind. All diese Menschen bringen Handicaps mit, die sie in den Augen von Vermietern häufig als «schwierige Mieter» erscheinen lassen.

Wer garantiert schon, dass sie regelmässig die Miete bezahlen werden oder sich an die Hausordnung halten und nicht plötzlich zum Problemfall werden? Als Vermieter möchte man dann eben doch lieber auf den potenziellen Ärger und Mehraufwand verzichten und auf Nummer sicher gehen. Nur: Irgendwo müssen ja auch diese «schwierigen Mieter» unterkommen, welche es auf dem Wohnungsmarkt schwer haben.

Spannende Vorträge, aber die Diskussion blieb leider aus.

Spannende Vorträge, aber die Diskussion blieb leider aus.

(Bild: pgu)

Solidarhaftung und Begleitung

Dass dieses Problem die Besucher des Forums interessiert, zeigte sich am Freitagmittag nicht zuletzt daran, dass nach einer kurzen Verspätung rasch alle Plätze im Clubraum des KKL besetzt waren. Hier fand das Atelier «Wie man Wohnraum vermittelt und mit ‹schwierigen› Mietern umgeht» statt.

Die Zürcher Stiftung Domicil etwa setzt auf das Instrument der Solidarhaftung, wie die Geschäftsleiterin Annelise Dürr erklärte. Entweder schliesst die Stiftung die Mietverträge selbst ab oder unterschreibt als Mitmieter, um das Risiko für den Wohnungsanbieter zu reduzieren. Auf diese Weise vermittelt Domicil Wohnungen an wirtschaftlich benachteiligte Familien, Alleinerziehende, Paare und Einzelpersonen, die nicht fähig sind, ihren Alltag selbständig zu bewältigen.

Neben dieser Solidarhaftung begleitet und unterstützt Domicil die Mieter darin, ihre Wohnkompetenz zu fördern, und unterstützt sie bei Konflikten. Das beginnt schon bei so etwas Einfachem wie der Hausordnung. Um Regeln befolgen zu können, müssen sie erst einmal verstanden werden, sei das intellektuell-inhaltlich oder rein sprachlich.

«Ob sich die Mieter dann daran halten, liegt in ihrer eigenen Verantwortung», sagte Annalis Dürr und deutete auf einen wichtigen Grundsatz von Domicil hin: Im Zentrum steht die Stärkung der Eigenverantwortung. Zurzeit begleitet Domicil auf diese Weise rund 950 Mietverhältnisse. Rund 32 Prozent davon bei Genossenschaften.

Wohnkompetenzen fördern

Die Stadt Biel arbeitet seit 1991 mit dem Verein Casanostra zusammen, der von Fritz Freuler gegründet worden ist. Damals beauftragte die Stadt den Verein mit der Wohnbegleitung von Armutsbetroffenen.

Gründer, Geschäftsführer und Bieler Stadtrat Fritz Freuler erklärte im KKL, dass im Zentrum die Begleitung der Menschen gemäss einer individuellen Vereinbarung steht. Die Probleme, welche die Menschen mitbringen, sind entsprechend komplex. Suchtkrankheiten, psychische oder körperliche Beeinträchtigungen – oft mehrere Probleme zusammen. Hilfe zur Selbsthilfe lautet das Motto.

Armutsbetroffene, zum Beispiel Familien mit vielen Kindern, haben Probleme auf dem Wohnungsmarkt.

Armutsbetroffene, zum Beispiel Familien mit vielen Kindern, haben Probleme auf dem Wohnungsmarkt.

(Bild: zVg)

Klienten müssten die Bereitschaft haben, die eigenen Wohnkompetenzen zu verbessern, so Freuler. Von den 140 Wohnungen, die Casanostra vermittelt hat, sind rund 100 Eigentum des Vereins. So kommen zwei Fachbereiche zusammen: Immobilienverwaltung und Sozialarbeit. Der Verein verfolgt gemäss Freuler einen integrativen Ansatz durch eine möglichst grosse Durchmischung innerhalb der Liegenschaften.

«Suchtkrankheiten, psychische oder körperliche Beeinträchtigungen – oft kommen mehrere Probleme zusammen.»
Fritz Freuler, Gründer von Casanostra und Bieler Stadtrat

Freuler hat an diesem Freitag auch einen Appell an die Genossenschaften mitgebracht. Gegenwärtig richte sich das Angebot von Genossenschaften mehrheitlich an Personen aus der Mittelschicht, für Armutsbetroffene gebe es wenig Zugangsmöglichkeiten. Deswegen sein Appell, darauf zu achten, Armutsbetroffene nicht auszuschliessen.

Mehraufwand für Verwaltung

Während Domicil und Casanostra Wohnungsvermittlung und Förderung zusammenbringen, konzentriert sich die Gemeinnützige Stiftung für preisgünstigen Wohnraum Luzern (GSW) ganz auf die Wohnungsverwaltung und schafft so preisgünstigen Wohnraum für «Menschen mit Zugangsproblemen zum Wohnungsmarkt», wie es Geschäftsführer Rolf Fischer formuliert. Dabei unterscheidet die GSW zwischen drei Gruppen.

  • Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Personen mit einer guten Wohnkompetenz. An Personen dieser Gruppe hat die GSW derzeit rund 100 Wohnungen vermietet.
  • Die zweite Gruppe umfasst Personen mit einer eingeschränkten Wohnkompetenz, oft aufgrund eingeschränkter finanzieller Mittel. Das können etwa Menschen ohne Arbeit oder Menschen im Asylstatus sein. Hier sind es rund 200 Wohnungen.
  • In der dritten Gruppe befinden sich Personen mit einer labilen Wohn- und/oder Sozialkompetenz. Das sind Personen mit Suchterkrankungen, psychischen Beeinträchtigungen und Menschen, die eine Verwahrlosungstendenz aufweisen. An Menschen aus der dritten Gruppe vermietet die GSW derzeit rund 65 Wohnungen.

Dabei arbeitet die Stiftung eng mit verschiedenen Vereinen, Institutionen und der Stadt zusammen. Die Zusammenarbeit mit den Mietern, insbesondere aus der dritten Gruppe, stellt an die Mitarbeiter der GSW hohe Ansprüche, betont Fischer. Vor allem bei der Durchsetzung der Hausordnung und in der Kommunikation sei der Mehraufwand nicht zu unterschätzen. Deswegen seien genaue Abklärungen und Einschätzungen im Bezug auf die Mieter so wichtig, erklärte Fischer.

«Die Zusammenarbeit mit den Mietern, insbesondere aus der dritten Gruppe, stellt an die Mitarbeiter der GSW hohe Ansprüche.»
GSW-Geschäftsführer Rolf Fischer, Luzern

Befristete Mietverhältnisse und Testphasen am Anfang eines Mietverhältnisses sind keine Seltenheit. Wenn es wirklich grosse Probleme gebe, müsse man auch bereit sein, einmal durchzugreifen, so Fischer. Dies sei aber durch das Mietrechtsverhältnis gar nicht so einfach, so der Geschäftsführer. Entsprechend werde für die Zukunft auch über andere Wohnangebote mit entsprechenden Rechtsformen, wie Pensionsverträge, nachgedacht.

Die Behörden lassen die Genossenschaften oft im Stich

Für Genossenschaften können Mieter mit sozialen Handicaps – seien das psychische Erkrankungen oder andere Probleme – eine grosse Herausforderung werden, ja sie auch überfordern. Die Experten betonten dann auch immer wieder, wie wichtig die Zusammenarbeit mit den jeweiligen Spezialisten, Institutionen und Behörden sei. «Doch das mit den Behörden ist so eine Sache», erklärte ein Besucher aus eigener Erfahrung. Die Behörden seien froh, wenn sie jemanden mit sozialen Handicaps irgendwo unterbringen könnten, aber für eine nachfolgende Betreuung und Unterstützung seien sie dann nicht mehr zu haben.

Eine Diskussion zum Umgang mit konkreten Problemen blieb an diesem Freitag leider aus. Vielleicht lag es auch daran, dass die Veranstaltung kurz nach zwölf Uhr begonnen hatte und allen schon der Magen knurrte.

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