Vom Kantonsgerichtspräsidenten zum Anwalt

Andreas Galli: Der ungewöhnliche Richter verblüfft mit seinem Abgang

Andreas Galli, Präsident des Kantonsgerichts Luzern, gibt sein Amt ab. (Bild: Lena Berger)

Andreas Galli, Präsident des Kantonsgerichts Luzern, hat gekündigt. Künftig wird er als Anwalt in einer Luzerner Kanzlei arbeiten. Das ist ein Schritt, den in der Schweiz nur selten ein Richter wagt. Was sind die Gründe? zentralplus hat Galli zum Interview getroffen.

zentralplus: Andreas Galli, Sie haben sich – recht überraschend – entschieden, Ihr Amt niederzulegen (zentralplus berichtete). Das ist ungewöhnlich. Warum wollen Sie kein Richter mehr sein?

Andreas Galli: Es ist nicht so, dass es irgendetwas gibt, was mich aus dieser Funktion wegtreibt. Vielmehr zieht es mich weiter. Ich arbeite mit 44 Jahren fast schon mein halbes Leben in der Luzerner Justiz. Irgendwann habe ich mich gefragt, ob ich diese Arbeit wirklich nochmal so lange machen will. Und mein Bauch sagte: Nein.

zentralplus: Wie hat Ihr berufliches Umfeld auf den Entscheid reagiert?

Galli: Viele Kollegen sind auf mich zugekommen und haben mir zu meinem Mut gratuliert. Wer zum Richter gewählt wird, bleibt in der Regel dabei. Durch meinen Rücktritt habe ich gezeigt: Das muss gar nicht so sein. Richter zu sein, ist nicht zwingend ein Amt auf Lebenszeit. Es ist möglich, seinem Leben einen neuen Dreh zu geben, wenn man will.

«Ich glaube, es tut der Glaubwürdigkeit der Justiz gut, wenn die Leute sehen: Richter sind Menschen wie du und ich.»

zentralplus: Als Richter haben Sie einen sicheren Arbeitsplatz, einen geregelten Tagesablauf und ein anständiges Gehalt. Warum geben Sie das alles auf?

Galli: Ich war vergleichsweise sehr jung, als ich 2015 zum Kantonsrichter gewählt worden bin. Das ist Segen und Fluch zugleich. Zuletzt war ich der Präsident des Kantonsgerichts – habe also erreicht, was es zu erreichen gab. Wenn ich keine Herausforderung habe, werde ich träge. Also ist es Zeit für einen Wechsel.

zentralplus: Sie sind in ihrer Amtszeit hin und wieder als ungewöhnlicher Richter aufgefallen. Beispielsweise als nach der Streetparade ein Foto von Ihnen als Boxer in der meistgelesenen Zeitung der Schweiz abgedruckt wurde (zentralplus berichtete).

Galli: Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich nicht ganz in das Bild eines Richters passe. Aber mich hat das nie gestört. Ich finde es gut, wenn die Gerichte ein Abbild der Gesellschaft sind. Mit Menschen unterschiedlicher politischer Couleur – und mit unterschiedlichem Musikgeschmack. Ich glaube, es tut der Glaubwürdigkeit der Justiz gut, wenn die Leute sehen: Richter sind Menschen wie du und ich.

«Corona hatte für uns etwas Gutes: Wir waren nämlich drauf und dran die Digitalisierung zu verschlafen.»

zentralplus: Die Corona-Pandemie war auch für die Luzerner Gerichte eine grosse Herausforderung. Als Präsident mussten Sie den Wechsel ins Homeoffice organisieren und verantworten. Wie ist heute die Stimmung am Kantonsgericht?

Galli: Die Stimmung am Kantonsgericht ist gut. Für mich waren die letzten 18 Monate aber belastend. Nicht unbedingt beruflich, mehr menschlich. Als Richter können wir uns nicht darüber beklagen, dass Corona uns besonders hart getroffen hätte. Wir hatten zwar einige datenschutzrechtliche Fragen zu klären, aber letztlich herrschte im Team eine grosse Einigkeit, dass wir ins Homeoffice wechseln müssen. Zuvor war man diesbezüglich im Haus sehr kritisch. Heute höre ich kein negatives Wort mehr darüber. Insofern hatte Corona für uns etwas Gutes: Wir waren nämlich drauf und dran die Digitalisierung zu verschlafen.

«Je weiter oben in der Hierarchie, desto weniger Frauen sind vertreten. Daran müssen wir arbeiten.»

zentralplus: Was muss sich sonst noch ändern, damit das Kantonsgericht fit ist für die Zukunft?

Galli: Die Justiz muss sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Wir haben heute zum Beispiel einen hohen Frauenanteil. Aber es ist wie in anderen Branchen auch: Je weiter oben in der Hierarchie, desto weniger Frauen sind vertreten. Daran müssen wir arbeiten. Wir sind aber auf einem guten Weg. Drei der vier aktuell frei werdenden Richterstellen werden von Frauen besetzt.

zentralplus: Was braucht es, um den Frauenanteil zu erhöhen?

Galli: Damit das Amt für Frauen attraktiver wird, bräuchte es wohl eine flexiblere Handhabung der Pensen. Heute gibt es entweder hauptamtliche Richterinnen, die 50 Prozent arbeiten, oder vollamtliche Richterinnen mit einem Pensum von mindestens 80 Prozent. Wer eine Familie hat, ist vielleicht einige Jahre froh, 50 Prozent zu arbeiten, will aber später aufstocken. Das ist im aktuellen System nicht möglich, weil man entweder als haupt- oder als vollamtlicher Richter gewählt wird.

«Ich habe Lust, mal eine Position zu vertreten – und nicht immer beide Seiten gegeneinander abzuwägen.»

zentralplus: Sie arbeiteten im Verwaltungsrecht. Dieses hat – von aussen betrachtet – weniger Sexappeal als das Strafrecht. Welches war Ihr spannendster Fall?

Galli: Klar, wenn Blut spritzt, ist es spannend für die Leser (lacht). Die Medien berichten allerdings auch oft über unsere Fälle, wenn es ums Bauen geht. Ich fand die kontroverse Diskussion über Hochhäuser immer hochinteressant. In Baurechtsfällen verschafft sich das Gericht manchmal vor Ort ein Bild über die Situation. Letztes Jahr haben wir einen solchen Augenschein im Entlebuch gemacht. Und danach in einer Beiz in Schangnau sogleich die Gerichtsverhandlung durchgeführt. Das war speziell – zumal ich dafür die Erlaubnis des Kantons Bern einholen musste, weil ich auf seinem Hoheitsgebiet Recht sprechen wollte.

zentralplus: In aller Regel werden im Verwaltungsrecht aber Aktenprozesse geführt. Das heisst: Sie sahen die Menschen selten, über deren Anliegen Sie entschieden. Sie scheinen mir ein sehr offener und kommunikativer Mensch zu sein. Ist die Nähe zu den Klienten auch ein Grund für Ihren Wechsel?

«Ich hoffe, dass es sich als Vorteil erweist, dass ich weiss, wie meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen denken.»

Galli: Das ist sicher ein Faktor. Als Richter entscheide ich nach der Rechtslage. Als Anwalt kann ich auch jenseits des Rechts nach einvernehmlichen Lösungen suchen und verhandeln, anstatt zu prozessieren. Ausserdem habe ich Lust, mal eine Position zu vertreten – und nicht immer beide Seiten gegeneinander abzuwägen.

zentralplus: Wird es als Anwalt ein Vorteil für Sie sein, dass Sie die Situation der Richterinnen so gut kennen?

Galli: Es gibt im Englischen den Ausspruch: «A Good Lawyer Knows the Law but a Great Lawyer Knows the Judge.» Also: Ein guter Anwalt kennt das Recht, ein grossartiger Anwalt kennt den Richter. Ich hoffe schon, dass es sich als Vorteil erweisen wird, dass ich weiss, wie meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen denken. Und dass ich als Richter gelernt habe, mich in die Gegenseite hineinzuversetzen.

zentralplus: Thematisch bleiben Sie dem Verwaltungsrecht ja treu, Sie möchten sich aufs Baurecht spezialisieren. Es ist also wahrscheinlich, dass Ihre ehemaligen Kollegen Fälle zu beurteilen haben, in denen Sie als Anwalt auftreten. Gibt es da kein Befangenheitsproblem?

Galli: Das Baurecht ist ein Teil des Verwaltungsrechts. Es ist also nicht auszuschliessen, dass ich mit Fällen an das Kantonsgericht gelangen werde. Das ist aber unproblematisch. Eine Befangenheitssituation könnte es geben, wenn ich einen Fall übernähme, in welchem ich als Richter schon mal einen Entscheid getroffen habe. Das würde ich nicht tun.

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