Neuer Präsident am Kantonsgericht Luzern

Andreas Galli: «Angenehm sind die Diskussionen über mein Privatleben nicht»

Andreas Galli ist neuer Präsident des Kantonsgerichts und lebt mit seinem Mann in einer eingetragenen Partnerschaft.

(Bild: ber)

Ins Bild eines strengen Richters, der mit einem Hammer für Ruhe im Saal sorgt, passt der neue Präsident des Kantonsgerichts Luzern nicht. Ein Pluspunkt, wie er findet. «Die Vielfältigkeit in den Richtergremien ist die Stärke unseres Systems», sagt er.

Seit 15 Tagen ist Andreas Galli Präsident des Luzerner Kantonsgerichts. Noch wirkt der 43-Jährige gelassen, als wir ihn in dem Büro treffen, das er sich bescheidenerweise mit dem Medienverantwortlichen der Gerichte teilt. Und auch sonst wirkt vieles unkonventionell an diesem Kantonsrichter, der seit 2015 im Amt ist.

zentralplus: Andreas Galli, aus Justizkreisen haben wir vernommen, Sie seien der bestgekleidete Luzerner Richter und hätten deshalb den Job bekommen, die Luzerner Gerichte nach aussen hin zu vertreten.

Andreas Galli: Ich hoffe sehr, dass der Kleidungsstil nicht der ausschlaggebende Punkt war und ich noch andere Qualitäten habe (lacht). Es ist so, dass das Gesamtgericht jeweils einen Vorschlag an den Kantonsrat macht, wer gewählt werden soll. Dabei ist die Parteizugehörigkeit wichtig. Es ist Tradition, dass die beiden stärksten Fraktionen im Kantonsrat den Präsidenten und den Vizepräsidenten stellen – im Moment also CVP und SVP. 

zentralplus: Wäre es nicht entscheidender, dass ein Gerichtspräsident Führungserfahrung mitbringt?

Galli: Klar ist Führungserfahrung ein grosser Vorteil. Das Problem ist, dass die Richter diese in der Regel nicht haben. Das gilt auch für mich. Man arbeitet zwar mit Gerichtsschreibern und der Kanzlei zusammen, aber man ist nicht deren Teamleiter.

zentralplus: Sie haben aber immerhin ursprünglich die Ausbildung zum Primarlehrer gemacht. Ruhe in einen unruhigen Haufen zu bringen, sollten Sie ja im Klassenzimmer gelernt haben.

Galli: Das stimmt (lacht). Und meine Erfahrung als Dozent an der Uni, wo ich den Studiengang Prozessführung leite, kommt mir wohl auch zu Gute.

zentralplus: Sie sind nicht nur in einer anderen Partei als ihr Vorgänger Marius Wiegandt (SVP), auch vom Typ her wirken Sie ganz anders. Trotzdem sollen Sie beide sich sehr gut verstehen.

«Wenn man sich für ein öffentliches Amt zur Verfügung stellt, muss man damit rechnen, dass auch das Privatleben diskutiert wird.»

Galli: Uns verbindet eben gerade, dass wir so unterschiedlich und gleichzeitig beide kompromissbereit sind. Hier stimmt das Sprichwort, dass sich Gegensätze anziehen. Wir haben ein völlig anderes Denken und unterschiedliche Sichtweisen – und deshalb ergänzen wir uns sehr gut.

zentralplus: Als Sie 2015 zum Kantonsrichter gewählt werden sollten, war es innerhalb der Partei ein Thema, dass Sie mit einem Mann in einer Partnerschaft leben. Dass die CVP einen homosexuellen Richter stellt, war damals offenbar nicht selbstverständlich. Hat Sie das überrascht?

Galli: Angenehm sind Diskussionen über das eigene Privatleben nicht, aber wenn man sich für ein öffentliches Amt zur Verfügung stellt, muss man damit rechnen. Jeder Kandidat bringt jeweils seinen Lebenshintergrund mit, der auch in die Arbeit als Richter einfliesst und deshalb finde ich es legitim, darüber zu diskutieren.

zentralplus: War die Frage nach Ihrer sexuellen Orientierung vor der Wahl zum Präsidenten des Kantonsgerichts nochmals ein Thema?

Galli: Soweit ich weiss, nicht.

«Es darf den Richtern niemand reinreden, auch nicht die Geschäftsleitung des Kantonsgerichts.»

zentralplus: Als Präsident des Kantonsgerichts sind Sie nun der Geschäftsleiter des Gesamtgerichts. Was unterscheidet Ihre Aufgabe vom Job eines CEO?

Galli: Der grösste Unterschied ist, dass die 24 Kantonsrichter der Geschäftsleitung nicht unterstellt sind. Die Richter arbeiten unabhängig. Als Präsident bin ich nicht deren Chef und sie lassen sich von daher auch nicht führen. Wenn die Geschäftsleitung also ein Ziel erreichen will, muss sie mit Argumenten überzeugen. Hierarchien wie in der Privatwirtschaft gibt es nicht.

zentralplus: Ein Gericht stellt mit den Urteilen auch ganz andere «Produkte» her als eine Fabrik. Als Leiter dieses «Unternehmens» haben Sie aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit keinerlei Einfluss auf die Qualität Ihres Produkts. Ist das nicht stossend?

Galli: Eine inhaltliche Überprüfung der Urteile ist tatsächlich nicht möglich, weil die Richterinnen und Richter bei ihren Entscheidungen völlig frei sind und es auch sein sollen. Es darf ihnen niemand reinreden, auch nicht die Geschäftsleitung des Kantonsgerichts. Wir sind aber für die Organisation, die Weiterbildungen und den Informationsaustausch verantwortlich und haben so einen indirekten Einfluss auf die Qualität der Urteile.  

zentralplus: Die Qualität von Entscheiden der Strafverfolgungsbehörden war Ende Jahr Thema im Kantonsrat. Es wurde über einen Vorstoss debattiert, der eine externe Untersuchung über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Fall Villiger forderte. Sie haben in der Debatte das vorbildliche Qualitätssicherungssystem gelobt, bei dem Entscheide jeweils von der Oberstaatsanwaltschaft geprüft werden. Warum gibt es an den Gerichten kein solches System? 

Galli: Die Überprüfung der Qualität findet an den Gerichten über den Rechtsmittelweg statt und zwar nur über diesen. Wenn ich mit einem Urteil nicht zufrieden bin, ziehe ich es an die nächste Instanz weiter und dort überprüft eine unabhängige Person den Entscheid ein weiteres Mal. Es ist also letztlich das Bundesgericht, das entscheidet, ob ein Urteil richtig gewesen ist oder nicht.

zentralplus: Was passiert, wenn das Bundesgericht ein Urteil des Kantonsgerichts aufhebt?

Galli: Wie damit umgegangen wird, hängt vom Inhalt ab. Es kann sein, dass das Bundesgericht den Fall einfach innerhalb seines Ermessenspielraums anders beurteilt. Dann besteht aus unserer Sicht kein Handlungsbedarf. Wenn es sich aber um einen Leitentscheid handelt oder ein Urteil, das die gängige Praxis in Frage stellt, dann erarbeiten wir neue Richtlinien für künftige Fälle oder passen die Organisation an.

«Die Richtergremien bilden durch die Parteizugehörigkeit der einzelnen Mitglieder die Gesellschaft in all ihren Facetten ab.»

zentralplus: Vor einigen Jahren hat ein Bundesrichter für Furore gesorgt, der einen Journalisten angespuckt hat. Er war danach nicht mehr tragbar und wurde nicht mehr mit Fällen betraut, konnte aber nicht «gefeuert» werden. Ist es heikel, dass die Richter derart unantastbar sind?

Galli: Das ist der Preis, den wir für die Unabhängigkeit der Justiz bezahlen müssen. Die Richter können nicht von aussen unter Druck gesetzt werden. Es gibt bei uns kein Amtsenthebungsverfahren – das gilt ja auch für die Kantons- und Regierungsräte. Die Gegenfrage lautet: Wer sollte denn definieren, wer ein guter Richter ist und bleiben darf?

«Entlassen können wir einen gewählten Richter nicht.»

zentralplus: In Deutschland beispielsweise bekommen nur die fachlich besten Juristen die Chance, in die Justiz einzusteigen.

Galli: Dieses System hat gewisse Vorzüge, aber auch den Nachteil, dass nur diejenigen weiterkommen, die sich darin bewähren, sprich systemkonform sind. Bei uns hingegen bilden die Richtergremien durch die Parteizugehörigkeit der einzelnen Mitglieder die Gesellschaft in all ihren Facetten ab. Diese Vielfältigkeit ist die Stärke unseres Systems.

zentralplus: Trotzdem: Wenn eine Richterin oder ein Richter schlechte Arbeit leistet, kann man nichts dagegen unternehmen.

Galli: Entlassen können wir einen gewählten Richter nicht. Die Person bleibt bis zu den nächsten Wahlen im Amt, erst dann hat der Kantonsrat die Möglichkeit, sie abzuwählen. Nötig war das bislang glücklicherweise nie.

zentralplus: Aber wie würde der Kantonsrat überhaupt erfahren, dass einer nicht mehr gewählt werden soll? Da wird doch keiner den Kollegen oder die Kollegin verpetzen.

Galli: Die Aufsichts- und Kontrollkommission des Kantonsrats kommt regelmässig vorbei und macht sich ein Bild. Und ich darf Ihnen sagen, dass die Vorsitzende Yvonne Hunkeler (CVP) – von Beruf Controllerin – da jeweils ganz genau hingeschaut hat.

«Ich habe es nie erlebt, dass ein Richter Entscheide nur noch abgenickt hätte.»

zentralplus: Sie haben sich kürzlich in einer Kantonsratsdebatte kritisch zu Experten geäussert, die sich «aus Profilierungsgründen aufgrund von bruchstückhaftem Wissen zu einem konkreten Fall äussern». Mit Verlaub: Wer, wenn nicht erfahrene Juristen und Rechtsprofessoren, sollte Justizkritik üben dürfen?

Galli: Damit keine Missverständnisse entstehen: Es ist extrem wichtig, dass sich die Wissenschaft mit der Rechtsprechung intensiv und kritisch auseinandersetzt. Man muss meiner Meinung nach aber vorsichtig sein mit Äusserungen zu laufenden Verfahren. Wenn ein Urteil gefällt ist, kann man sich auf den Sachverhalt abstützen und sich ein zuverlässiges Bild machen. Zu einem früheren Zeitpunkt ist das aus meiner Sicht nicht möglich.

zentralplus: Aus Justizkreisen hört man immer mal wieder, dass es teils die Gerichtsschreiber sind, welche die Entscheide fällen und die Urteile vorbereiten. Die Richter würden zum Teil nur noch ihre Unterschrift daruntersetzen. Kommt das tatsächlich vor?

Galli: Es stimmt, dass die Gerichtsschreiber den Richtern viel Arbeit abnehmen, weil diese sonst der Flut gar nicht gerecht werden können. Wie die Arbeitsteilung aussieht, ist aber sehr unterschiedlich. Manchmal arbeiten sie im Hintergrund bei der Verfahrensleitung mit, manchmal bereiten sie Urteile vor oder redigieren diese. Ich habe es in meiner Zeit als Gerichtsschreiber und jetzt auch als Richter nie erlebt, dass ein Richter Entscheide nur noch abgenickt hätte.

zentralplus: Sie selber arbeiten in der vierten Abteilung des Kantonsgerichts. Diese erledigt Verwaltungsgerichtsbeschwerden. Haben Sie den Eindruck, dass die Luzerner Verwaltung gut arbeitet?

Galli: Die Luzerner Verwaltung scheint mir sehr gut und professionell aufgestellt zu sein. Die Mitarbeitenden machen einen guten Job. Die Entscheide sind in aller Regel von guter Qualität, das heisst, sie sind gut begründet und der Sachverhalt ist sauber abgeklärt.

zentralplus: Was haben Sie sich für Ihre Amtszeit als grösstes Ziel vorgenommen?

Galli: Wir wollen die Suche nach einem neuen Standort für das Kantonsgericht vorantreiben und diesbezüglich die Gespräche mit der Regierung wieder aufnehmen.

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