Luzerns erstes Elektrofahrzeug

Als Mathilda den Kutschen die Show stahl

Gut in Schuss: Mathilda steht heute im Verkehrshaus Luzern. Dank regelmässiger Hege und Pflege fährt das Elektromobil auch heute noch. (Bild: Verkehrshaus Luzern)

Elektroautos sind in aller Munde. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass sie keineswegs eine neue Erfindung sind. Eines der ersten Fahrzeuge kam 1912 nach Luzern – und ist bis heute im Einsatz.

Sie sind schick und sauber. Schnell, aber leise. Lust ohne Last, sozusagen. Sie sind angetreten gegen die Klimaerwärmung, das schlechte Gewissen, den Dreck in der Luft. Sie heissen Tesla, Mercedes Electric Drive, e-Golf oder BMW i3. Sie sind das Produkt ambitionierter Startups oder der jüngste Wurf altehrwürdiger Autofabrikanten, die auf Nummer sicher gehen wollen, sollte Strom eines Tages Benzin ablösen.

Elektroautos sind in aller Munde und der Laie feiert sie als Innovation der Neuzeit. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch, dass die Generation unserer Urgrossväter ganz schön Vorarbeit geleistet und die wahren Pioniere hervorgebracht hat, wenn es um den Elektromotor geht. Um 1900 waren Elektroautos in den USA eine feste Grösse im Strassenverkehr, in New York etwa gab es gar mehr Elektro- als Dampf- und Benzinfahrzeuge.

Lieber Elektroautos statt Kutschen

Die Schweiz zog nach, als 1902 der gelernte Maschinenschlosser Johann Albert Tribelhorn in Feldbach am Zürichsee ein strombetriebenes Versuchsfahrzeug baute. Vier Jahre nach dem geglückten Experiment nahm er seine Autofabrik in Betrieb, es wurde die grösste und bekannteste in der Schweiz und sie produzierte die ersten Elektromobile in Serie.

Als eifrige Abnehmerin tat sich eine pittoreske Stadt am See in der Innerschweiz hervor: Im Luzerner Tourismus herrschte damals Aufbruchstimmung, Hotels wie der «Schweizerhof» oder das «Palace» kamen in den Genuss von Weltruf, den sie mit neusten Anschaffungen unterstreichen wollten. Hotelbusse sollten die Kutschen ablösen, weil sie für die Moderne standen und weniger Dreck machten als Pferde. Benzinfahrzeuge hatten sich zu diesem Zweck nicht bewährt. Zu gefährlich war ihre Handhabung für Ungeübte und um den Wagen zu starten, kam der Fahrer nicht umhin, sich die Hände schmutzig zu machen.

Luzern und seine Hotelbusse

Es war 1912, als die vermutlich ersten Fahrzeuge aus dem Hause Tribelhorn in Luzern eintrafen; mehrere sogenannte Omnibusse, die fortan das Stadtbild mitprägen sollten. «Es gibt ein Gemälde aus dieser Zeit, das etwa ein Dutzend dieser Busse beim Bahnhof zeigt», sagt This Oberhänsli, Kurator Strassenverkehr im Verkehrshaus Luzern. «Fast jedes der grösseren Hotels verfügte über mindestens ein Elektrofahrzeug. Der Schweizerhof hatte sogar drei. Zwei Omnibusse und ein Fourgon, ein Transportmittel für die Koffer.»

Gemälde: Elektrobusse warten in Luzern auf Kundschaft.

Gemälde: Elektrobusse warten in Luzern auf Kundschaft.

(Bild: zvg Verkehrshaus Luzern)

Eine aus dem Trio ist, als einzige ihrer Art in der Schweiz, bis heute im Einsatz: Mathilde, die nimmermüde, türkisfarbene Elektrokarosse aus dem Schweizerhof, zweieinhalb Tonnen schwer, fünf Pferdestärken auf dem Buckel. Ihren Namen, sagt Hoteldirektor Patrick Hauser, verdanke sie der Legende nach einem amerikanischen Touristen. «Er soll gesagt haben, dass dieses Fahrzeug ihn an seine Tante Mathilde erinnere – bei der wisse man auch nicht recht, wo hinten und wo vorne sei.»

«Ein Tourist soll gesagt haben, dass dieses Fahrzeug ihn an seine Tante Mathilde erinnere – bei der wisse man auch nicht recht, wo hinten und wo vorne sei.»

Patrick Hauser, Direktor Hotel Schweizerhof, über den E-Omnibus Mathilde

Generationen von Gästen hätten den Omnibus liebgewonnen, «Mathilde war da, wenn sie am Bahnhof ankamen und sie begleitete sie, wenn es wieder heimwärts ging».

Mathilde, Prominenz auf vier Rädern

Jedenfalls hat es Mathilde in der Stadt zu Prominentenstatus gebracht – sicher auch deshalb, weil sie sich über die Jahre im Glanz schillernder Persönlichkeiten gesonnt hatte. Könige, Regierungsangehörige, Künstler und berühmte Schriftsteller sind mit ihr gefahren. Mathilde kennt sie alle, von Bundesrat Merz bis Nellie Melba, jene australische Opernsängerin, die dem berühmten Pfirsichdessert «Pêche Melba» Patin stand. Um das Auto habe sich ein ganzer Stab von Handwerkern gekümmert, sagt Schweizerhof-Direktor Patrick Hauser, an heissen Tagen hätten sie seine Holzräder demontiert und sie im Brunnen gewässert, damit sich das Holz schön dehnen konnte.

Für das Gefährt hatte die Nobelherberge denn auch tief in die Tasche gegriffen und anno 1912 stolze 14’000 Franken dafür hingeblättert. Mathilde hat die liebevolle Pflege gedankt: Bis 1989 stand sie im Dienst des Hotels, das sie 1998 dem Verkehrshaus als Leihgabe vermachte. Heute hat Mathilde seltene, aber glanzvolle Auftritte, etwa an Stadtfesten.

Zuverlässiger als Benzin-Autos

Im Luzern des frühen 20. Jahrhunderts war Mathilde keine Exotin gewesen. «Nicht nur Hotels setzten auf Elektromobile, eigentlich alle, die ein zuverlässiges Fahrzeug brauchten», sagt Oberhänsli vom Verkehrshaus. «Bei den Benzinmotoren kam es immer wieder zu Ausfällen, der Motor überhitzte schnell, Fahrer zogen sich beim Starten des Fahrzeugs oft Verletzungen zu. Ein Elektroauto konnte jeder bedienen, und vor allem quittierte es nicht unverhofft den Dienst.»

So hätten auch die Post und der Milchmann begonnen, die Ware mit Elektromobilen zu befördern, auch die Reinigungsmaschinen, die Strassen mit Wasser befeuchteten und wuschen, seien mit Strom betrieben worden. Der alteingesessene Luzerner Josef Petermann erinnert sich, wie sein Vater in den Dreissigerjahren für den Konsumverein Milch ausfuhr, sich freute, als er zu den Auserkorenen gehörte, die ein neues Elektromobil probefahren durften. Die Luzerner Illustrierte druckte damals gar ein Bild vom Testlauf.

Ausschnitt aus der «Luzerner Illustrierten», veröffentlicht in den 30er-Jahren.

Ausschnitt aus der «Luzerner Illustrierten», veröffentlicht in den 30er-Jahren.

(Bild: zvg von Josef Petermann, Emmenbrücke)

Vom Benziner überholt

Irgendwann muss es dann auf den Holzweg geraten sein, das Elektromobil. Warum verschwand dieses Gefährt, das heute eine gefeierte Renaissance erlebt, von den Strassen? Dafür gebe es unterschiedliche Gründe, sagt Oberhänsli.

«Im Ersten Weltkrieg kam es in der Autoproduktion zu Materialmangel. Metall, Gummi, Komponenten – alles ging ans Militär, man musste zurück zum Pferdefuhrwerk.»

This Oberhänsli, Kurator Strassenverkehr im Verkehrshaus Luzern

«Im Ersten Weltkrieg kam es in der Autoproduktion zu Materialmangel. Metall, Gummi, Komponenten – alles ging ans Militär, man musste zurück zum Pferdefuhrwerk.» Während es in den USA in der Zwischenkriegszeit zur Massenmotorisierung kam – Henry Ford produzierte seine benutzerfreundlichen Wagen bereits millionenfach –, fehlte im wirtschaftlich schwachen Europa das Geld, für Benzin und Innovation gleichermassen.

Dem Elektroauto wurde dieser Umstand allerdings nicht zum Vorteil. Man erkannte, dass es für weitere Distanzen nichts taugte. Die Post wandte sich von den Elektromobilen ab, ging zurück zu den Pferden. Auch bei Josef Petermanns Vater, dem Luzerner Milchmann, währte die Freude an der Neuheit nicht lange: Der Konsumverein brach das Experiment ab. «Ausserhalb der Stadt waren viele Strassen nicht asphaltiert», erinnert sich Petermann. «Die Holzräder nahmen Schaden, und irgendwann machte die Batterie schlapp.»

Batterie als grosser Nachteil

Das Ding mit der Batterie – es ist ein altes Problem, das auch die moderne neue Welt noch nicht gelöst hat. Und ein weiterer Grund dafür, dass sich das zunehmend billigere Benzin nach dem Zweiten Weltkrieg gegen den Elektromotor durchgesetzt habe, sagt Oberhänsli. Strom zu speichern, ist eine Herausforderung. Es verlangt, zumindest bisher, nach einer riesigen Batterie, aufgrund der ein Elektroauto doppelt so viel wiegt wie ein normaler Personenwagen. Die Reichweite der Batterie, sagt Oberhänsli, habe man inzwischen verbessert, ein Elektroauto könne heute auch längere Strecken zurücklegen. «Der Ladezyklus», sagt er, «ist aber noch immer zu lange. Das Tanken dauert eine gute halbe Stunde.»

Für Otto Normalbürger wird der Haupthaken wohl weiterhin der Preis sein. Je nach Fahrzeug kostet ein Elektroauto doppelt so viel wie ein Benziner. Das war damals bei Mathilde nicht anders gewesen. Allerdings: Wenn der Schlitten dann so lange durchhält wie sie das tat, hat sich die Investition immerhin gelohnt.

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