Die Tage der Luzerner Rumpelkisten sind gezählt

Adieu VBL-Anhänger, wir werden euch nicht vermissen

Zwei Exemplare fahren noch bis Anfang September – hier auf der Linie 6.

(Bild: jwy)

Sie ächzen, sie ruckeln und ihre Türen knallen. Zudem sind sie keine Schönheit. Die Luzerner Trolleybus-Anhänger sind das beständigste Provisorium, seit es Linienbusse gibt. Einst gab es 16 davon, in den nächsten Tagen werden die letzten beiden Exemplare eingemottet. Wir haben uns schon jetzt verabschiedet.

Ganz subjektiv gesehen: Schön sind sie nicht. Den Trolleybus-Anhängern haftete immer das Image einer Notlösung an. Aber sie hatten gerade dadurch einen ganz eigenen, etwas unbeholfenen Charme. Und sie verkörpern typisch schweizerische Eigenheiten: Pragmatismus, Zuverlässigkeit, Unauffälligkeit.

Auch komfortabel sind sie nicht wirklich: Eng an ihren Lastbus gebunden, ruckeln und rütteln sie charmant durch die Strassen der Stadt. Und geht’s mal etwas gar schwungvoll in eine enge Kurve, muss man mitunter fürchten, dass das Teil umkippt.

Die Anhänger verkörpern etwas, das man heute vermisst, wenn man die durchdesignten Busse betrachtet. Die Kistchen sind schlicht und praktikabel. Seit 19 Jahren unterwegs, rollen sie jetzt aber ihrem Ende entgegen, noch zwei Stück sind auf den Linien 1, 6 oder 8 unterwegs.

Fahrt aufs Exempel

Als wir am Donnerstagnachmittag im Anhänger mit der Nummer 313 im 6er-Bus Platz nehmen und von der Neustadt Richtung Büttenenhalden ruckeln, treffen wir auf allerlei verwunderte Fahrgäste. Sowas fährt noch?, so der Tenor. Das sei man sich gar nicht mehr gewohnt, tönt es.

Die Türen knallen und gleiten weit weniger sanft als in den neuen Gefährten. Ein Kind fragt: «Wie alt ist dieser Bus?» Wenn beim Anfahren ein Ächzen und schliesslich ein heftiger Ruck durch die Kiste geht, erschrecken viele Fahrgäste und suchen Halt. Die Trolley-Anhänger – sie sind anscheinend schon etwas vergessen gegangen.

Und hier im Videobeweis:

Schnell und günstig

Die Anhänger eroberten die Luzerner Strassen ab 1998, weil man auf der 1er-Linie die Kapazität erhöhen musste. Sie waren dafür die schnellste und günstigste Lösung, um die kurzen Zweiachser-Trolleybusse zu erweitern. Zudem waren sie niederflurig, also freundlicher für Gehbehinderte, Rollstühle und Kinderwagen.

Speziell auch: Die Luzerner waren Spätzünder. «Als Luzern die Anhänger einführte, waren sie in der restlichen Schweiz schon fast von den Strassen verschwunden», weiss Sandro Flückiger. Der Luzerner ist im Vorstand des Schweizer Trolleybus-Vereins, der sich für die Erhaltung historischer Trolleybusse in der Schweiz einsetzt. Entstanden sind die Anhänger nämlich schon viel früher ab den 40er- und 50er-Jahren – in Luzern traten sie den Siegeszug also erst viel später an.

Nachdem das Stadtparlament einen Sonderkredit über 3,5 Millionen Franken genehmigte – die VBL war damals noch städtisch – rollten schliesslich die ersten sieben Stück über die Strassen Luzerns. Die Anhänger-Flotte wuchs später auf 16 Stück an.

ÖV-Fans fiebern auf Facebook dem Ende der Trolley-Anhänger entgegen:

(Bild: Screenshot Facebook)

Nun naht die Pension

Ab 2014 kamen die ersten Doppelgelenkbusse auf – und damit wurde das Ende der kurzen NAW-Trolleybusse mit ihren Anhängern eingeläutet (NAW steht für Nutzfahrzeuge Arbon und Wetzikon, der Konzern wurde 2008 aufgelöst). «Der RBus ist die Ablösung der Anhänger in modernerem Rahmen», sagt Flückiger, «sie sind etwa gleich lang, bieten aber mehr Leuten Platz.»

Und man staunt, jetzt da die Rumpelkisten in Pension gehen, dass sie ganze 19 Jahre durchgehalten haben. Und es gibt in Luzern – Achtung Wortspiel! – anscheinend durchaus ein paar Anhänger dieser Anhänger. Darum veranstalten die Verkehrsbetriebe VBL am 9. September eine Abschiedstour.

Abschiedsfahrt der letzten Trolley-Anhänger

Nach 19 Jahren geht in Luzern die Ära der Trolleybus-Anhängerzüge zu Ende. Darum organisiert die VBL eine Abschiedsfahrt: Samstag, 9. September 2017, am Vormittag. Details folgen in den nächsten Tagen auf der Website des Trolleybus-Vereins. Bis am 9. September sind die verbliebenen beiden Anhängerzüge 260+312 sowie 262+313 von Montag bis Freitag hauptsächlich auf den Linien 1, 6 und 8 unterwegs.

Die emotionale Komponente rührt auch daher, weil mit den NAW die letzten Busse aus Schweizer Produktion vom Netz gehen. Und damit auch die letzten Hochflur-Busse. «Man hat sie halt liebgewonnen und sich daran gewöhnt, die Trolley-Busse mit Anhänger machten einen guten Teil der Flotte aus», sagt Sandro Flückiger. Es verschwinde damit ein Typ Bus, der die Stadt geprägt habe.

Die Bus-Spotter warten bereits

Der Beweis der Fans erwartet uns an der Endstationen «Büttenenhalden» in Form von ein paar Leuten mit gezückten Kameras. Das müssen Bus-Spotter sein! Als der Bus schliesslich steht, fotografieren sie ihn von allen Seiten. «Das muss man festhalten, solange man noch kann», sagt ein freundlicher Mann, der mit dem Fotoapparat um den Bus tigert.

Wer noch vor dem 9. September seine persönliche Abschiedsfahrt in einem Anhänger machen will: An einer Haltestelle postieren, warten und irgendwann kommt ein 1er, 6er- oder 8er-Bus mit Anhänger. Danach werden auch diese letzten beiden Anhänger durch modernere Doppelgelenkbusse ersetzt, wie sie inzwischen die Flotte prägen.

Aber auf dem Schrottplatz landen die NAW-Busse mit ihren Kisten trotzdem nicht: Die Anhänger rollen in Siegen (zwischen Frankfurt und Dortmund) und Lauterbrunnen (an Postautos gehängt) weiter. Die NAW-Zugfahrzeuge hingegen finden im Chilenischen Valparaíso weitere Verwendung.

Mehr Bilder von Anhängerzügen gibt’s in der Galerie:

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