Zwei Wege führten nach Luzern

1095 Tage auf der Flucht

Renate Metzger-Breitenfeller (links) im Gespräch mit dem Iraner Homayoun Kaviyani und der Eritreerin Merbrhit Tesfay. (Bild: cha)

Millionen von Flüchtlingen riskieren jährlich ihr Leben für eine bessere Zukunft. Ein gefährliches und oft auch tödliches Unterfangen. Zwei in Luzern lebende Flüchtlinge haben das an eigenem Leibe erfahren und erzählen ihre – in so mancher Hinsicht völlig unterschiedlichen – Erlebnisse.

170’000 Menschen sind im vergangenen Jahr über das Mittelmeer geflohen. Und ein Ende ist 2015 nicht in Sicht. Tausende Menschen warten derzeit noch auf die lebensgefährliche Überfahrt in eine hoffentlich bessere Zukunft. Wenige Tage nach der Ankunft in Südeuropa erreichen viele auch die Schweiz. Massiv mehr Flüchtlinge als bisher angenommen werden im Kanton Luzern erwartet, der 4,9 Prozent aller in der Schweiz Ankommenden aufnehmen und unterbringen muss.

Zwei, die es bis nach Luzern geschafft und viele Strapazen überwunden haben, wurden im Namen des Zentralschweizerischen Arbeitshilfswerkes (SAH) am Donnerstagabend ins Bourbaki eingeladen. Im Rahmen der Themenmonate «Menschlichkeit» erzählten sie über ihre alte Heimat, die Beschwerlichkeiten auf dem Fluchtweg und über die Schwierigkeiten, in der neuen Heimat Fuss zu fassen. 

Schwierigkeiten vor Ort, für die sich auch die Behörden nicht aus der Verantwortung ziehen könnten. Insbesondere in Punkto Menschlichkeit, so die freischaffende Journalistin Renate Metzger-Breitenfeller, die das Gespräch leitet. «Menschlichkeit ist etwas, das wir in der Schweizer Asyl- und Migrationspolitik oftmals vermissen.»

Merbrhit Tesfay’s Geschichte

Merbrhit Tesfay wurde in Eritrea geboren und lebt seit 2006 in der Schweiz. Sie spricht gut Deutsch und absolviert momentan eine Lehre zur Pflegerin in Engelberg. «Ich lebe eigentlich in der ganzen Zentralschweiz», sagt Tesfay und lacht. «Mein Wohnort ist Buchrain. Gleichzeitig bin ich als Wochenaufenthalterin in Engelberg gemeldet, weil ich dort in Ausbildung bin.» Ihr F-Ausweis (vorläufig Aufgenommene) erlaubt es ihr nicht, den Kanton zu wechseln.

So humorvoll und aufgestellt die junge Tesfay auch ist, ihre Geschichte ist geprägt von Angst und lebensgefährlichen Situationen. «Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf, ganz im Süden von Eritrea.» Kleiner als Buchrain, sagt sie. «Und Touristen gab es da auch keine.» Aufgewachsen sei Merbrhit Tesfay bei ihrer Grossmutter, wo sie schöne 14 Jahre verbrachte. «Ich ging zur Schule und musste nie hungern.» Und ihre Eltern? «Meine Mutter starb bei der Geburt und meinen Vater habe ich nie kennen gelernt.»

«Ich wurde im Gefängnis geschlagen.»

Merbrhit Tesfay, Flüchtling aus Eritrea

Der Grund, weshalb sie das Land als Mädchen im Alter von 14 Jahren verliess, habe eher den Charakter eines blöden Zufalls. «Eine Frau, vermutlich gerade mit dem Schlepper am Festland angekommen, dachte, sie sei in Äthiopien. Ich erklärte ihr, dass sie in Eritrea sei, die Grenze jedoch sehr nah ist.» Schliesslich habe Tesfay ihr den Weg gewiesen, dem die Frau dann folgte.

Narben wecken schlimme Erinnerungen

«Zwei Tage später stand die Polizei vor meiner Tür und verhaftete mich. Sie verhafteten mich, ein 14-jähriges Mädchen, mit dem Verdacht, als sogenannter Schlepper zu arbeiten. Die Polizei dachte, ich hätte der Frau geholfen zu flüchten und dafür Geld kassiert.» Merbrhit Tesfay wurde für Monate im Gefängnis festgehalten und geschlagen. Noch heute zeugen Narben von dem Leid, das ihr damals zugefügt wurde.

«Entweder bringe ich mich um oder ich flüchte.»

Merbrhit Tesfay

«Entlassen hatte mich die Polizei als sich Wasser in meinen Beinen abgelagert hat. Sie haben mich einfach vor die Tür gesetzt, ohne auch nur an eine ärztliche Behandlung zu denken.» Zwei Wochen später sei eine Anhörungsaufforderung im Briefkasten gelandet. Doch für die Eritreerin kam dies nicht in Frage. Traumatisiert von den Erlebnissen sagte sie sich: «Entweder bringe ich mich um oder ich flüchte.»

Drei Jahre Flucht bis ans Ziel

Kurze Zeit später war sie in Begleitung ihres Cousins auf der Flucht. Von Eritrea nach Äthiopien und Lybien. «Von dort aus sass ich mit 50 anderen Flüchtlingen in einem Gummiboot in Richtung Sizilien, Italien.» 80 Euro habe sie bezahlt, damit Unbekannte die 14-Jährige nach Mailand und schliesslich Basel brachten. Drei Jahre war Tesfay auf der Flucht, ehe sie an der Basler Grenze ankam, wo sie dann von den Schweizer Gesetzeshütern abgewiesen wurde.

Das Gefühl, in der Schweiz angekommen zu sein, sei unbeschreiblich gewesen: «Das Allerschönste war, dass ich meine Füsse auf den Boden setzen konnte.» Doch unter anderem mit dem Aufnahmeverfahren verschwand auch die Euphorie. «Ich suchte lange einen Job, eine Ausbildung, was als ‹vorläufig Aufgenommene› enorm schwierig ist.» Doch Tesfay sei sehr glücklich mit dem Entscheid, in die Schweiz zu kommen. «Ich kann aussprechen, was ich denke. Der Schutz, den ich hier erleben darf, ist enorm schön.»

Homayoun Kaviyani – ein politischer Flüchtling

Der Iraner Homayoun Kaviyani ist seit gut acht Jahren in der Schweiz und ist mittlerweile im Besitz eines C-Ausweises (Aufenthaltsbewilligung). Geboren wurde er in der Hauptstadt Teheran. «Mir und meiner Familie ging es im Mittelstand relativ gut.» Kaviyani ist und war damals schon ein belesener Mensch, worauf hin er gegen das «Regime» politisch aktiv und schliesslich für elf Jahre ins Gefängnis gesteckt wurde. «Das war mit 17 Jahren. Mit 28 Jahren kam ich dann raus und flüchtete wenige Jahre später», da ihm die freie Meinungsäusserung untersagt wurde.

Der Plan sei allerdings England oder Schweden gewesen, wie der Iraner sagt. «Durch meine guten Englischkenntnisse wären diese Länder die erste Wahl für mich gewesen.» Seine finanziellen Mittel konnten ihn jedoch nur gerade in die Schweiz bringen. Auch Homayoun Kaviyani kam mit einem Schlepper als erstes in Basel an. «Ich konnte mich in Ruhe und mit einem Gefühl von Sicherheit für kurze Zeit hinlegen. Das war wunderbar.»

«In der Schweiz bin ich frei und muss nicht jeden Tag Angst haben.»

Homayoun Kaviyani, Flüchtling aus dem Iran

Anschliessend kam er ins Asylheim Sonnenhof. «Das gesamte Aufnahmeverfahren ist für mich recht einfach verlaufen.» Umso schwieriger jedoch wurde die Jobsuche. «Als gelernter Bibliothekar habe ich ein einjähriges Praktikum in der Uni-Bibliothek absolviert. Seither suche ich einen Job.» Er sei aber glücklich hier. «In der Schweiz bin ich frei und muss nicht jeden Tag Angst haben», so der Iraner. Die Schweiz sei schon besonders. «Die Bevölkerung lebt hier seit mehreren hundert Jahren ohne Krieg. Das spürt man.»

Aufgrund der derzeitigen Situation im Mittelmeer und den Erfahrungen der beiden Flüchtlinge mit Schleppern möchte Renate Metzger-Breitenfeller von den zwei Gästen wissen, ob es sinnvoll sei, die Schlepper zu bestrafen. Unter den beiden Flüchtlingen herrscht Einigkeit. «Das löst das Problem sicher nicht. Die Schlepper selbst sind arm und wollen einfach mit etwas Geld ihr Überleben sichern», sagt Homayoun Kaviyani. Und Merbrhit Tesfay fügt an: «Das Problem liegt viel tiefer und ist viel grösser.»

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