1 Kreuz für 188 hingerichtete «Hexen»: ein «Armutszeugnis»
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Der letzte Hexenprozess in Zug liegt fast 300 Jahre zurück, doch die Narben dieser Zeit sind noch spürbar. Eine versteckte Tafel bei der Schutzengelkapelle sorgt nun für Kritik.
Es ist der 7. August im Jahr 1737: Die 16-jährige Katharina Kalbacher tritt vor den Zuger Ammann. Sie verkündet, sie sei eine Hexe. Während des Verhörs denunziert sie rund 20 weitere Personen. Viele von ihnen werden verhört, gefoltert und bei lebendigem Leibe verbrannt.
Der Hexerei bezichtigt Kalbacher auch den Schumacher Josef Markus «Marx» Stadlin, seine Frau Anna Maria Petermann und Stadlins 18-jährige Tochter Euphemia. Auch sie werden verhaftet und verhört. Anna Maria Petermann gesteht und wird am 30. Oktober 1737 bei lebendigem Leib verbrannt.
Euphemia und ihr Vater bleiben standhaft, trotz grausamer Foltermethoden. Beide werden an die Decke gezogen, wobei Gewichte an ihre Beine gehängt wurden – eine Tortur, die ihre Schultergelenke auskugeln lässt. Auch die Daumenschraube kommt zum Einsatz, mit der man ihre Finger und Zehen langsam zerquetscht. Alle diese Methoden hatten nur ein Ziel: ein Geständnis zu erzwingen.
Euphemia und ihr Vater beteuern bis zuletzt ihre Unschuld, die Foltermethoden des Scharfrichters führen zu keinem Geständnis. Die 18-Jährige griff im Verhör zu derben Worten. «Sie sollen Ihme ins füdlen blasen», soll sie gesagt haben.
Im Februar 1738 werden Euphemia und Marx Stadlin aus dem Gefängnis entlassen. An beiden ist das monatelange Foltern nicht spurlos vorbeigegangen. Sie sind so angeschlagen, dass sie nicht mehr arbeiten können.
Mindestens 195 Opfer von Hexenverfolgungen in Zug
Es ist ein düsteres Kapitel Europas: Bis zu 60'000 Personen, insbesondere Frauen, fielen in Europa zwischen 1400 und 1780 der Hexenverfolgung zum Opfer. Auch in Zug machte man emsig mit (zentralplus berichtete).
«Wer nichts von der Gedenkstätte weiss, der findet sie auch nicht.»
Maria Greco
Hier lassen sich von 1559 bis 1738 mindestens 195 Opfer von Hexenverfolgungen nachweisen. 188 von ihnen wurden hingerichtet – darunter Kinder, Männer und Frauen. Doch es dürften laut Historikern viel mehr sein: rund 200 bis 300 Menschen.
Die jetzige Gedenkstätte, «ein Hohn»
Wie man ihrer gedenkt im Kanton Zug? «Mit einem von Vogeldreck beschmutzten Täfeli bei der Schutzengelkapelle», ärgert sich Maria Greco. «Man kann diese Tafel kaum lesen. Die Gedenkstätte ist hinter und nicht vor der Kapelle – wer nichts von der Gedenkstätte weiss, der findet sie auch nicht.»
Die Baarer Geschichtenerzählerin hat die Transkripte von Verhören der Zuger Hexenprozesse gelesen und führt Theatertouren durch (zentralplus berichtete). «Unschuldig schuldig» widmete sich dem letzten grossen Hexenprozess in Zug, der 1737 vonstatten ging.
Die verwitterte Hinweistafel hinter der Kapelle steht bei der ehemaligen Richtstätte. Darauf steht: «Es erinnert an die verurteilt- und hingerichteten Menschen.» Dahinter ist ein kleines, schlichtes Eisenkreuz.
Für Maria Greco ist diese Gedenkstätte nichts weniger als ein Hohn. Zumal der Kanton Zug in der Lage sei, anderer Unglücke und Verstorbener gebührend zu gedenken.
Beispielsweise mit dem grossen Findling mit Inschriftentafel, der fast doppelt so gross wie Greco ist. Dieser ragt beim Schiffsteg in die Höhe und ruft der Bevölkerung die Vorstadtkatastrophe in Erinnerung: Am 5. Juli 1887 brach das Ufer des Zugersees ein, im See versanken 35 Häuser. Elf Personen kamen ums Leben, 600 wurden obdachlos. Greco möchte dieses Unglück nicht kleinreden, doch ärgert sie sich, dass das Andenken an die Opfer der Hexenverfolgung zu spärlich sei.
Zuger Politikerinnen forderten Denkmal für hingerichtete «Hexen»
Dass die jetzige Gedenkstätte den Opfern «in keiner Weise gerecht» werden, monierten auch Mitglieder des Zuger Kantonsrat. Tabea Zimmermann (ALG), Martin Zimmermann (GLP), Anna Bieri (Mitte), Barbara Gysel (SP) und Carina Brüngger (FDP) forderten mit einem Postulat die Regierung auf, «ein Zeichen gegen das Vergessen und eine Anerkennung der zum Tode verurteilten Menschen zu setzen. Ein Denkmal, das an die vielen Opfer der Hexenprozesse erinnert.»
Die Zuger Regierung hat nun Stellung bezogen. Für sie ist klar, dass die aktuelle Gedenkstätte bei der Schutzengelkapelle genügt. Zumal das Projekt «Moderne Zuger Kantonsgeschichte» im «übertragenen Sinn» eine «immaterielle Gedenkstätte» sei. In diesem würden auch «die Geschehnisse rund um die in Zug hingerichteten Menschen» untersucht. Auch die Hexenverfolgungen und die Zuger Hexenprozesse würden umfassend wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Die Regierung wolle aber prüfen, ob das bestehende Kreuz im Schutzengel mit gewonnenen Erkenntnissen «aufgewertet» werden könne, etwa mit einer neuen Hinweistafel.
Für Maria Greco ist klar: «Die jetzige Gedenkstätte beim Schutzengel ist ein Armutszeugnis. Es wäre angemessen, dass der Kanton Zug auch diesem dunklen Kapitel der Geschichte richtig Rechnung trägt.» Die Regierung mache es sich etwas arg bequem.
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Keine Verteidigung, nur Anschuldigungen
Greco hat in den letzten zwei Jahren über 700 Leuten auf ihrer Theatertour «Unschuldig schuldig» den Zuger Hexenprozess nähergebracht. Auch die Teilnehmer dieser Tour könnten ob des momentanen Kreuzes und der Tafel nur die Köpfe schütteln, sagt sie.
Auf die Idee, eine Theatertour zu machen, brachte sie der inzwischen verstorbene Baarer Historiker Philippe Bart. Bart befasste sich in seiner Lizentiatsarbeit mit den letzten Hexenprozessen in der Zentralschweiz im Zeitraum von 1670 bis 1754.
Für die Baarerin war das Lesen dieser Verhörprotokolle keine einfache Kost, wie sie sagt. Mehrmals habe sie diese auf die Seite legen müssen. Was sie am meisten erschütterte: «Reihum wurden unschuldige Frauen, Kinder und Männer der Hexerei bezichtigt. In den Prozessen gab es keine Verteidigung – durchs Band waren es nur Anklagen.» Auch die Fragen seien immer dieselben gewesen. Ob sie mit dem Teufel gewesen wären, Frevel getrieben hätten, zum Beispiel mit Hostienschändung.
Kam keine Antwort, kein Geständnis, so wurde brutalst gefoltert.
Opfer medialer Hexenjagd
Greco betont, warum es auch im 21. Jahrhundert noch wichtig sei, all der Opfer von Hexenprozessen zu gedenken. «Wenn wir unsere Geschichte kennen, können wir es vermeiden, die gleichen Fehler zu wiederholen.» Wir würden in unsicheren Zeiten leben. Kriege werden geführt und «gefoltert wird auch heute noch, mit sehr ähnlichen Methoden wie vor zweihundert Jahren».
«Es gibt auch heute noch Hexenverfolgungen – auch bei uns.»
Maria Greco
«Es gibt auch heute noch Hexenverfolgungen – auch bei uns. Man sagt dem nicht mehr so», sagt Greco. «Aber man kann schnell über falsche Anklagen jemanden fertigmachen. Menschen können angeprangert werden, vor allem solche, die im öffentlichen Leben im Rampenlicht stehen.» Diese gelten dann schnell mal als Opfer «medialen Hexenjagden». Zwar habe sich das Transportmittel geändert. Und auch die Todesstrafe gibt es bei uns nicht mehr.
Deshalb ist es gemäss Maria Greco wichtig, dass wir auch die negativen Seiten unserer Geschichte nicht ausser Acht lassen, akzeptieren und dieses Kulturgut schützen und erhalten.
Nicht auf der Prioritätenliste
Besser als Zug mache es der Kanton Glarus, der mit einem diskreten Mahnmal und einem ganzen Museum Anna Göldin gedenkt, bekannt als «letzte Hexe Europas». Auch Fribourg und Basel würden mit Gedenkstätten oder Plaketten der Opfer besser gedenken.
Greco würde etwas Schlichtes vorschweben für den Kanton Zug – sicher nichts mit Holz und Feuer, «denn gebrannt haben sie alle mal. Und sicherlich auch keine QR-Code-Gedenkstätte.»
Positiv streicht sie das Hexendenkmal in Berlin-Bernau hervor. Neben dem damaligen Henkerhaus steht eine vertikale, rostfarbene Stahlstruktur, auf der Namen eingraviert sind – die Opfer von Hexenverfolgungen. Die Stahlkonstruktion wird durch zwei gläserne, spitz zulaufende Elemente ergänzt, die wie zerbrochene oder aufbrechende Flügel wirken.
Greco sagt: «Doch in Zug steht das anscheinend nicht auf der Prioritätenliste.»
- Telefonat mit Maria Greco
- Postulat von Tabea Zimmermann Gibson (ALG Zug), Martin Zimmermann (GLP Baar), Anna Bieri (Mitte Hünenberg), Barbara Gysel (SP Zug), Carina Brüngger (FDP Steinhausen)
- Bericht und Antrag des Zuger Regierungsrats
- Website vom «Nachtwächter»
- Auszüge aus den Originalprotokollen des Verhörs von Euphemia Stadlin