Wo Experten Raritäten von Schnickschnack unterscheiden
Der Archäologe Gishan Schaeren nimmt eine Einschätzung eines antiken Gefässes vor (Bild: wia)
Wie «Bares für Rares», nur ohne Versteigerung: In Zug können Interessierte den Wert eigener Gegenstände schätzen lassen. Auch zentralplus lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen und wird überrascht.
Antiquitäten-Sendungen wie «Bares für Rares» sind ein Phänomen. Millionen von Normalsterblichen schauen anderen Normalsterblichen zu, die ihre möglichen Wertgegenstände von Experten einschätzen lassen. Das Schönste, was dabei passieren kann: dass sich vermeintliche Nippsachen als wertvolle Trouvaillen oder gar unbezahlbare Unikate entpuppen. 700 Euro für eine Teekanne, während sich der vermeintliche Diamantring als billiger Modeschmuck entpuppt. Purer Nervenkitzel von der Sicherheit der Couch aus.
Am Samstag haben Zuger live die Gelegenheit, diesen Nervenkitzel zu erleben. Zum vierten Mal führt das Museum Burg Zug die Veranstaltung «Kleinod oder Trödelkram» durch, bei dem Zugerinnen eigene Objekte mitbringen und deren Wert ermitteln lassen können.
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Die zentralplus-Journalistin lässt sich nicht zweimal bitten. Mit zwei Objekten ausgerüstet, gehts ins Untergeschoss des Museums Burg Zug, um sich von einem der sieben Experten eine Einschätzung dazu geben zu lassen.
Beim ersten Objekt handelt es sich vermeintlich um eine kleine Zinndose, die als Hochzeitsgeschenk Ende der 1970er-Jahre den Weg in die Sippe fand. Zuoberst auf deren Deckel thront eine kleine Eichel. Eher ulkiger Natur sind die zwei Aufhängebügel aus Plastik in Form von Händen.
Das vermeintliche Zuckerdöschen
13 Uhr: Bereits haben sich 20 Menschen in der Burg Zug eingefunden. Zunächst gehts zur Triage: Die Kuratoren des Museums ordnen ein, zu welcher Expertin die Besitzer der Objekte hin müssen, und verteilen entsprechende Zettelchen.
Sowohl Dose als auch Plastikhände werden unter dem Begriff «Alltagskultur» gehandelt. Der Mann, der bei deren Einordnung helfen kann, heisst Peter Bretscher und ist Kulturwissenschaftler und Museologe. Der Pensionierte war viele Jahre als Kurator beim historischen Museum Thurgau tätig.
Bretscher nimmt die kleine, runde Dose zur Hand und sagt: «Ich hatte ja im Voraus Bilder davon gesehen und dachte, es handle sich um ein Zinnobjekt. Dem ist aber nicht so. Diese Dose ist so dünn, dass es sich um eine Legierung handeln muss. Zinn allein wäre zu weich.» Er ergänzt: «Für eine Expertise, die nur anhand eines Bildes ausgestellt wird, ist es zudem wichtig, dass man einen Massstab mit aufs Foto nimmt. Ich war überzeugt, dass es sich um eine Zuckerdose handelt.» Nun, da er sie live sehe, sei er sicher, dass das nicht der Fall sei. Die Metalldose sei dafür viel zu klein.
Ins Antiquariat würde es die Dose nicht schaffen
Nach kurzer Untersuchung und einem raschen Google-Exkurs zu den Informationen des Herstellers lautet das Verdikt des Experten: «Der Wert des Objekts ist nicht sonderlich hoch. Es handelt sich vielmehr um einen zierlichen Gebrauchsgegenstand, der wohl Mitte des 20. Jahrhunderts von Hand hergestellt wurde.» Auch die Frage, ob die Eichel ein besonderes Symbol sein könnte, hält er für «überinterpretiert». Denn: «Formen wie Eicheln, Früchte oder Blüten waren Jahrhunderte lang sehr gebräuchlich bei solchen Knäufen. Hier handelt es sich wohl um ein reines Schmuckelement.»
Wie steht es um den Wert des Gegenstands? Bretscher ziert sich etwas und sagt dann: «Es gibt hier wohl eine grosse Spannbreite, was den Wert anbelangt. Ein Antiquariat würde ein solches Objekt wohl nicht verkaufen. Viel eher würde man es beispielsweise auf ricardo.ch oder an einem Flohmarkt finden. Ich würde sagen, die Dose kostet dort zwischen 20 und 80 Franken.» Doch auch deutlich tiefere Preise seien möglich.
Nun gut. Der Wert der Dose liegt schliesslich auch woanders. Nämlich darin, dass sie vor über 40 Jahren als freundliche Geste verschenkt wurde und seither zum treuen Kücheninventar gehört.
Eine Überraschung aus Plastik
Wenig hoffnungsvoll werden dem Experten die beiden Plastikhandkonturen vorgelegt. Bretscher sagt: «Es handelt sich um Gestelle, an denen man feine Handschuhe, etwa aus Leder, aufbewahrt hat, damit diese ihre Form wahren. Solche Bügel gibt es noch immer, doch sind sie heute aus Draht.» Auch für Socken und Strümpfe habe es in früheren Zeiten solche Rahmen gegeben. «Diese bestanden jedoch aus Holz.»
Überraschend erzählt er: «Diese Plastikgestelle sind ohne jeden dekorativen Wert und wurden als reiner Alltagsgegenstand verwendet. Weil sie aber trotzdem überlebt haben, sind sie bemerkenswert, denn: Was keinen ästhetischen Wert hat, ist gefährdet. Wertvolles überlebt viel eher.» Bretschen weiter: «Ich würde diesen Rahmen darum mehr Sorge tragen als dem Döschen.»
Während der Experte für Alltagskultur erzählt, wird auch an den Nebentischen diskutiert. Eine Person hat nicht nur einen Degen mitgebracht, sondern auch eine alte Flinte, die mindestens 180 Zentimeter lang ist. Gleich daneben lässt eine Baarerin eine hölzerne Marienstatue bestimmen, die sie von ihrem verstorbenen Schwiegervater erbte. «Er wollte, dass ich ihren Wert schätzen lasse. Nun begleiche ich diese Schuld endlich.» Auch wenn das Fazit des Kunsthistorikers Walter Abegglen keines ist, das sich auf «Bares für Rares» sehen liesse. Er geht davon aus, dass ihr Wert bei wenigen Hundert Franken liege.
Ein Relikt, das vor Kolumbus in Amerika war
Derweil setzt sich ein älterer Herr an jenen Tisch, der Besitzern archäologischer Gegenstände vorbehalten ist. Aus seiner Tasche zaubert er zwei kunstvoll verzierte Gefässe. «Diese hat mein Ururgrossvater 1888 aus Costa Rica heimgebracht. Man sagt sich, dass sie aus einem Grab stammen. Ich zweifle daran.»
Der Archäologe Gishan Schaeren streift sich weisse Handschuhe über und untersucht das grössere Gefäss. Er sagt: «Dass die Objekte aus einem Grab stammen, würde ich nicht bestreiten.» Er begutachtet den Becher und sagt: «Gerade dieser Frosch, den man sieht, verbindet man mit südamerikanischen Keramiken. Es ist vorstellbar, dass sie dereinst Grabbeigaben waren.»
Und weiter: «Die Qualität der Keramik – es handelt sich um gebrannte Becher von beständiger Machart – spricht dafür, dass es sich um Gefässe handelt, die vor Kolumbus geschaffen wurden. Später geriet dieses Handwerk im Amazonasbecken in Vergessenheit.»
Heisst konkret: «Die Objekte wurden wohl zwischen 500 vor Christus und 1492 geschaffen, sind also mindestens 700 Jahre alt.» Schaeren lässt sich jedoch, was den Wert der «tollen, sehr integral erhaltenen Stücke» angeht, nicht auf die Äste heraus. «Das müsste man an Auktionen feststellen.»
Ein wichtiger Punkt: «Wenn die Gegenstände wirklich 1888 in die Schweiz gelangt sind, fallen sie nicht unter das Kulturgütertransfergesetz. Damals waren solche Gegenstände frei handelbar.»
Zu erleben, wie die Anwesenden gespannt den Expertisen lauschen, zuweilen begeistert, zuweilen auch etwas ernüchtert über die Erkenntnisse, ist hochspannend. Das wundert wenig, wird hier doch Geschichte wunderbar lebendig gemacht. Und die Handschuhrahmen kommen nun zu Hause an die Wand, wo sie endlich den ästhetischen Wert erhalten, den sie verdienen.
Journalistin und langjährige Autorin bei zentralplus. Schreibt über politische Querelen, aufregende Bauprojekte und gesellschaftlich Bewegendes. Am liebsten jedoch schreibt sie über Menschen. Und natürlich Hunde.