Uralte Steinmauer hinter Maschendraht

Einblick in ein Krienser Haus mit besonderer Geschichte

Einer der letzten Zeitzeugen der Pocken-Seuche im Kanton Luzern: das ehemalige Absonderungshaus in Kriens. (Bild: cbu)

Während Corona-Kranke sich in den letzten Jahren in heimischer Quarantäne auskurierten, drohte früher eine Unterkunft in sogenannten «Absonderungshäusern». Eines dieser Relikte steht heute noch in Kriens.

Wer heute am Schappe Center in Kriens vorbeigeht und vor dem Denner rechts in den Pulvermühleweg einbiegt, sieht nach wenigen Metern ein altes Haus. Zwischen all den modernen Wohnblöcken geht es fast etwas unter. Eine uralte Steinmauer, Maschendrahtzäune und viel Grün halten es vor allzu neugierigen Augen geschützt. Für die meisten dürfte das zweistöckige Gebäude mit Giebeldach und hölzernen Rundbogenfenstern kaum einen zweiten Blick wert sein. Dabei steht hinter dem Haus eine bewegte Geschichte.

Es ist eine Geschichte, deren Thematik jüngst wieder aktuell geworden ist: Pandemien. Das Corona-Virus hat uns bewusst gemacht, dass Seuchen, wie einst die Pest oder die Cholera, kein schwindender Erinnerungsstreif aus Schulbüchern über das Mittelalter sind, sondern in ihrer Tragweite durchaus in der heutigen Gesellschaft wüten können.

Wer in der Vergangenheit an Corona erkrankt war und einen einigermassen milden Verlauf hatte, konnte sich zu Hause in Selbstisolation begeben. Die Quarantäne bequem im heimischen Wohnzimmer absitzen. Das war nicht immer so.

Von Pesthäusern und Pocken-Epidemien

Im Mittelalter wurden an Seuchen erkrankte Personen in Häuser jenseits der Stadtmauern oder Wohngebiete «ausgelagert». Zur Zeit der Pest nannte man solche Unterkünfte Siechenhaus oder Pesthaus – in der Stadt Luzern stand ein solches Siechenhaus im 13. Jahrhundert am Fusse des Gütsch an der heutigen Baselstrasse beim alten Sentispital.

Ein weitere hochansteckende Krankheit – die Pocken – wütete in der Schweiz in den 1880er- und 1890er-Jahren. Das veranlasste den Bund zu handeln. Er erliess am 2. Juli 1886 das Gesetz betreffend «Massnahmen gegen gemeingefährliche Epidemien». Eine dieser Massnahmen: die schweizweite Errichtung von «Absonderungshäusern», an deren Bau sich der Bund auch finanziell beteiligte.

Absonderungshäuser sollen es richten

«Jede Epidemie ist im Anfang klein, oft für Tage, oft für Wochen. Die plötzlichen grossen Ausbrüche sind immer aus kleinen verheimlichten Anfängen entstanden», heisst es in einer Broschüre des Bundes aus dem Jahr 1889. Habe die Epidemie einen grösseren Umfang angenommen, würden nur noch «möglichst viele, gutbestellte, wenn auch kleine Isolirspitäler (sic!)» helfen. Gemeint sind eben jene «Absonderungshäuser».

Der Zweck dieser Absonderungshäuser war denen der Pesthäuser nicht unähnlich: die Unterbringung und ärztliche Behandlung von Personen mit einer ansteckenden Krankheit – wie Pocken, Diphtherie, Scharlach oder Cholera – abseits der unmittelbaren Wohnbevölkerung.

Ein Stück Krienser Geschichte

Womit wir wieder bei dem alten Haus in Kriens wären. Denn was wir heute hier sehen, ist eines dieser Absonderungshäuser. Gebaut wurde es im Jahr 1895. Über 43'000 Franken hat der Neubau damals gekostet, wie dem Behandlungsprotokoll des Regierungsrates vom 4. Januar 1887 zu entnehmen ist.

Der Bund gab sich bis auf Details – die Heizungen seien nur schwer zu desinfizieren und die Wände wären besser mit Öl- statt Kalkfarbe bestrichen worden – zufrieden mit dem Bau. Er beteiligte sich mit 5'000 Franken an den Kosten. Der Rest wurde hälftig von der Gemeinde Kriens und dem Kanton Luzern übernommen.

Von Mauern und Zäunen umgeben: Das Absonderungshaus in Kriens.
Von Mauern und Zäunen umgeben: das Absonderungshaus in Kriens. (Bild: cbu)

Die Broschüre des Bundes gibt auch Auskunft, wie gut gesichert die Anlage sein musste: «Um das Asyl, mit Einschluss seiner Nebengebäude, muss in einer Entfernung von 15 bis 100 Meter eine Einfriedung gezogen sein», heisst es da. «1,5 Meter hoch, kräftig, mit einer einzigen verschliessbaren Thüre.»

Ein Bezirksarzt sollte die Anlage mindestens einmal pro Jahr auf Bestand und Betrieb überprüfen und sein Fazit dem Kanton und dem Bund mitteilen. Über den täglichen Betrieb selbst ist nur wenig bekannt, handschriftlicher Briefverkehr zwischen Gemeinde und Kanton ist zwar in grossen Mengen im Staatsarchiv Luzern einsehbar, aber kaum zu entziffern. Auch historische Bilder gibt es keine in den Akten.

Der Bund bewertete das Krienser Absonderungshaus mehrheitlich positiv.
Der Bund bewertete das Krienser Absonderungshaus in einem Schreiben von 1896 mehrheitlich positiv. (Bild: Staatsarchiv / AKT 34/50 A)

Kriens wollte lieber ein Kinderheim

Ein mit Schreibmaschine verfasstes Dokument zeigt aber, dass der Gemeinderat Kriens am 28. April 1927 beim Militär- und Polizeidepartement des Kantons Luzern anfragte, ob die Gemeinde das Absonderungshaus umnutzen könne. Das Haus sei nämlich «seiner Zweckbestimmung entsprechend nur ganz selten in Anspruch genommen» worden.

Dies auch, weil in der Stadt Luzern ein weiteres Absonderungshaus beim Gopplimoos, bei der heutigen Jugendherberge nahe dem Kantonsspital – dazu später mehr – errichtet wurde. Die Gemeinde Kriens liebäugelte damit, das Gebäude zu einem Kinderheim umzubauen.

Der Kanton wollte davon aber nichts wissen. «Ihre Auffassung, dass die Erstellung eines Absonderungshauses im Kantonsspital das Absonderungshaus in Kriens überflüssig gemacht habe, ist nicht zutreffend», steht in einem Antwortschreiben. Das Stadtluzerner Haus sei nämlich nur für Fälle von Scharlach und Diphtherie gedacht, wohingegen das Krienser Haus auch Pockenkranke «sowie an anderen gemeingefährlichen ansteckenden Krankheiten Erkrankte» aufnehmen musste. «Wir müssen daher verlangen, dass das Absonderungshaus der Gemeinde Kriens seiner Zweckbestimmung erhalten bleibt», hiess es seitens des Kantons.

Absonderungshaus ist heute ein Kunstatelier

Mit dem Abflauen der Pockenepidemie Ende der 1920er-Jahre (der letzte Schweizer Fall wurde 1963 registriert) konnte Kriens das Absonderungshaus dann doch noch umnutzen. Erst wurde das Haus als Werkgebäude und Zivilschutzmagazin genutzt. Heute wird das Gebäude am Pulvermühleweg 11 von der Stadt Kriens als Atelier-Platz für Künstlerinnen vermietet. Die Räume sind begehrt. Verschiedene Holzskulpturen im Innenhof zeugen davon, dass heute hier vor allem Späne fliegen.

Heute wird das Gebäude von verschiedenen Künstlern als Atelier genutzt. (Bild: cbu)

Optisch hat sich seit damals nur wenig geändert. Gemäss dem Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Luzern ist das äussere Erscheinungsbild nämlich «weitgehend im ursprünglichen Zustand» erhalten. Auch im Innern sei die originale Struktur in Teilen noch vorhanden.

Einst Krankenhaus, heute Jugendherberge

Das Krienser Absonderungshaus war nicht das einzige seiner Art im Kanton. Aber dafür eines der wenigen, die erhalten geblieben sind. Darum hat das Amt für Denkmalpflege und Archäologie des Kantons Luzern den Bau 2016 als «schützenswert» eingestuft.

Ein zweites, ebenfalls noch bestehendes Gebäude, in welchem ein «Absonderungshaus» untergebracht war, steht in der Nähe der heutigen Jugendherberge an der Sedelstrasse. Auch das ist in seiner äusserlichen Form noch klar erkennbar. Im ähnlichen Zeitraum war auch eines in Sursee bei der Ruetschwinkelmatte in Betrieb.

Schaut man sich die Bilder an und versetzt sich in die damalige Lage, wirken zwei Wochen Selbstquarantäne im heimischen Wohnzimmer mit Lieferdienst und Netflix gar nicht mehr so schlimm.

Das Absonderungshaus in Zug

Auch in der Stadt Zug war ein Absonderungshaus von 1879 bis 1899 in Betrieb (zentralplus berichtete). Gebaut wurde es an der Ecke Aabachstrasse und General-Guisan-Strasse, wo heute das Kaufmännische Bildungszentrum steht. Später wurde es auf eidgenössische Weisung hin geschlossen. Dies, weil die Gotthardbahn am Absonderungshaus vorbeiführte, deswegen Ansteckungen für die Zuggäste befürchtet wurden und es andererseits einen Heidenlärm für die Patientinnen bedeutete.

Ein Ersatzbau wurde erst 1908 auf der Aamülimatte aus dem Boden gestampft. Es war bis 1967 in Betrieb, wurde dann unter anderem als Männerheim und Werkhof genutzt, bevor 1988 die Bagger auffuhren und das Absonderungshaus abrissen. Heute steht an dieser Stelle die Herkunft dieser Informationen: das Verwaltungsgebäude an der Aa mit dem Staatsarchiv.

Verwendete Quellen
  • «Personalziitig» Januar 2017, Kanton Zug
  • Sentispital und Siechenhaus, Sentikirche.ch
  • Dokumente Staatsarchiv: SA 2042, SA 2043, AKT 44/3309, AKT 44/3307, AKT 34/50 A
  • Bildstrecke der Stadt Luzern mit Bildern des Stadtarchivs
  • Schriftlicher Austausch mit Benedikt Anderes, Mediensprecher Kriens
  • Inventar des Amtes für Denkmalpflege und Archäologie Kanton Luzern
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Meier Samantha
    Meier Samantha, 14.09.2022, 13:51 Uhr

    Ist nicht die Ölfarbe als Anstrich zu priorisieren? Aber der Kalk kann dann ja noch überstrichen werden.

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  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 11.09.2022, 20:35 Uhr

    Interessanter Artikel, vielen Dank! A propos «handschriftlicher Briefverkehr zwischen Gemeinde und Kanton ist zwar in grossen Mengen im Staatsarchiv Luzern einsehbar, aber kaum zu entziffern»: Vermutlich sind diese Briefe in der Kurrentschrift (entspricht nicht unserer heutigen «normalen» Schrift verfasst). Es gibt bis heute einige Fachleute, welche diese Dokumente lesen und in normale Schrift transkribieren können.

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