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Denkmäler sollen uns erinnern. Doch das ist kein einfacher Job. Das zeigt sich auch beim Löwendenkmal in Luzern.
Das Wort «Denkmal» ist eine Aufforderung. Jedoch nicht eine Aufforderung dazu, an sich mal nachzudenken. «Denkmal» ist die Aufforderung, sich zu erinnern. Das Denkmal will kollektives Erinnern. Wie auch die gerade wiederkehrenden Europäischen Tage des Denkmals.
Wer verdient ein Denkmal?
«Helvetiorum fidei ac virtuti» hat man über dem Luzerner Löwen in die Wand gehauen. «Der Treue und Tapferkeit der Schweizer.» Das Denkmal wurde aber natürlich nicht für alle Schweizer erbaut, sondern im Gedenken an die Soldaten, die in fremden Diensten starben. Ein Denkmal für Söldner – Helden also oder arme Schlucker, die für Geld für jeden gekämpft hätten. In diesem Fall für den französischen König, den sie vor der Revolution bewahren wollten. Vor einer Revolution, die wir heute wahrlich nicht mehr würden verhindern wollen.
Die erwähnten Helden kämpften, weil sie dafür Sold bekamen und nicht, weil sie die Welt verbessern wollten. «Im Gegenteil, ihr Auftrag lautete ausdrücklich, die Weltverbesserer, sprich die Revolutionäre, abzuwehren», wie Peter Fischer beim Anlass «Mit Denkmälern sprechen?» 2018 passend anmerkte. Im heutigen Kontext müsste man also sagen: Die Söldner starben für einen «fremden» Autokraten, für eine «undemokratische» Sache.
Versteht mich nicht falsch: Der Tod dieser Menschen war tragisch, die Gewalt dieser Revolution brutal. Und doch fragt man sich in diesem Zusammenhang: Woran sollen wir uns erinnern? Woran wollen wir uns erinnern? Wer verdient ein Denkmal?
Für die meisten ist das Denkmal wohl hauptsächlich ein super Selfie-Hotspot.
Ich setze mich auf die Bank ganz links beim Teich. Hier hat man den besten Blick auf das Gesicht des sterbenden Löwen. Auf seine leeren Augen, das leicht geöffnete Maul und auf die riesige Pranke, die kraftlos über dem Felsvorsprung hängt. Der Wind raschelt im Laub, die Sonne zeichnet Muster auf Wasser und Fels. Der Löwe scheint in diesem Moment eine Ruhe auszustrahlen. Keinen Schmerz, keinen Stolz löst er in mir aus. Nur Ruhe und vielleicht etwas Bewunderung für das Handwerk. Denn der Löwe ist eine beeindruckende skulpturale Arbeit.
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Mark Twain nannte ihn «The sadest rock in the world», Königin Victoria war tief berührt und Patti Smith fühlte ihn nach dem Tod von Schauspieler Sam Shepard im Regen: «A colossal, noble, stoic lion carved from the rock of a low cliff. The rain fell, obscuring tears.» Emotionen suchen sich symbolische Orte.
Auf den Löwen lässt sich projizieren, was man gerade fühlt. Doch dafür muss man auch tatsächlich davorstehen. Das taten jedoch in den vergangenen Jahren vornehmlich Touristinnen. Eine nicht repräsentative Umfrage zeichnet ein klares Bild: Der Löwe steht für die Touristenstadt Luzern. Ein Symbol für den Cartourismus, für die Hundertschaften asiatischer Tagesbesucher und für die Kuckucksuhren. Oder auf Instragram: «#sleepinglion #schlafend – Lasst mich in Ruhe #tiredoftourists».
Das Löwendenkmal wird jährlich von über einer Million Menschen besucht. Für die meisten von ihnen ist das Denkmal wohl hauptsächlich ein Häkchen auf ihrer Travel-Bucket-List und ein super Selfie-Hotspot. «#roar #urbanart»
Der historische Kontext jedenfalls ist für wenige relevant. Er wird zitiert, doch zu berühren scheint die Geschichte kaum noch. Ausser natürlich, man packt richtig amerikanische Dramatik dazu: «Swiss soldiers who would fight until their last breath. Really powerful stuff. #lionmonument». Oder man macht es sich einfach und ihn zum Wunschbrunnen. «makeawish and it will be granted #lionmonument». Zu einem Glücksbringer. Die nächste Münze platscht ins Wasser und verschwindet im trüben Teich.
Ich erinnere mich an die Geschichte von Luzerner Studentinnen, die hier nachts nach den Münzen tauchten, um sich mit dem Geld – mit den Wünschen der Touristen – anschliessend Zigaretten zu kaufen.
Das Löwendenkmal hat sich verselbständigt. Doch es ist kein Rütli geworden.
Das Löwendenkmal ist kaum so bekannt und beliebt geworden, weil es an den Tuileriensturm erinnert. Touristen wie auch die Luzernerinnen besuchen es wohl eher weniger, weil es an das Sterben im Kampf gegen die Französische Revolution erinnert. Oder weil es melancholisch auf den Tod der französischen Monarchie blickt. Ausser vielleicht ein paar wenige treue Royalisten.
Das Löwendenkmal hat sich verselbständigt. Doch es ist kein Sempach und kein Rütli geworden. Kein Ort der Kriegsverherrlichung oder des konservativen Nationalstolzes. Der Vorteil unseres Löwen ist, dass er nicht dermassen plakativ ist. Bildhauer Bertel Thorvaldsen hat keinen Soldaten mit Lanzen im Bauch, keine Kämpfer mit erhobenen Hellebarden geschaffen. Sondern einen Löwen – der für so vieles stehen kann. Er bietet sich geradezu an, individuell oder auch allgemein neu und anders gedeutet zu werden.
Er kann uns an die tragische Geschichte des Söldnertums erinnern, an den Tod von Sam Shepard oder an münzentauchende Studentinnen. Er kann ein Denkmal für den Tod der Monarchie sein, ein zynisches für den Opportunismus der Schweiz in Zeiten des Krieges, eines für Tierleid oder den Tourismus – der Löwe wird beeindruckendes Handwerk bleiben.
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Dieser Text ist bereits in der Publikation «Löwendenkmal 21» erschienen. Diese wurde von der Kunsthalle Luzern für das 200-Jahre-Jubiläum des bekanntesten Löwen der Schweiz herausgegeben. Die Publikation mit diversen Texten und Bildern von Kunstprojekten ist im Buchhandel und in der Kunsthalle Luzern erhältlich.
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