Zuger Stadtplanung

Gelingt im V-Zug-Areal, was bei Siemens nicht geklappt hat?

Sieht jetzt schon futuristisch aus: Das V-Zug Areal wird bis 2033 eine umfassende Neugestaltung erleben – mit viel grösseren Kubaturen. (Bild: Christian H.Hildebrand)

Die Stadt hat schon einmal ein Industrie-Areal neu entwickelt. Mit umstrittenem Erfolg. Gelingt das jetzt beim Gross-Projekt auf dem V-Zug-Areal? Die Stadt sagt: Wir können gut verhandeln. Und die V-Zug sagt: Wir treffen jeden Nachbarn, der Interesse hat, persönlich. Denn für die Firma gehe es ums Überleben.

Auf dem Modell sind die Unterschiede enorm: Dreimal grösser ist der Styroporblock, der eines der neuen Häuser auf dem zukünftigen V-Zug-Areal skizziert, dreimal grösser als das kleine Arbeiterhäuschen daneben, das schon lange da steht. «Es ist uns klar, dass das Ängste erzeugt», sagt Beat Weiss. «Das ist eine grosse Aufgabe.» Und eine, die Zeit braucht. Weiss ist der Geschäftsführer der V-Zug Immobilien und damit Leiter eines der grössten industriellen Überbauungsprojekte, das die Stadt je beschäftigt hat.

Wo jetzt die V-Zug oft nur eingeschossig auf einer grossen Fläche arbeitet, soll es Platz geben für einen ganzen Stadtteil. Die «geschlossene Stadt» des V-Zug-Areals, so Weiss, soll sich öffnen und Teil der Stadt werden: Verdichtet, in die Höhe gebaut, mit städtischen Funktionen wie Cafés und Läden, aber vor allem als attraktiver städtischer Standort für moderne Industrie. Bis 2033 rechnen die Projektleiter der V-Zug, bis jedes Baufeld auf dem V-Zug-Areal überbaut ist. Bis jetzt sind die exakten Kubaturen noch nicht klar, es existiert erst ein Projekt aus einem städtebaulichen Wettbewerb.

Das Projekt in Kürze

Das rund 80'000 Quadratmeter grosse Areal der V-ZUG soll neu gestaltet werden. Im südlichen Bereich wollen V-Zug und die Stadt Zug öffentlich zugängliche Räume schaffen, die künftig neben der industriellen Infrastruktur der V-ZUG und Metall Zug auch Raum für neue Industrieunternehmen, innovative Start-up-Firmen, Dienstleister, Werkstätten, Ateliers, Labors und Schulen bieten. Die Firma plant mit einer Fertigstellung der Überbauung bis 2033. Zuerst muss aber der Bebauungsplan verschiedene politische Prozesse durchlaufen.

«Wir stossen auf enormen Goodwill»

Die Styroporklötze auf dem Modell der Zürcher Architekten Hosoya Schaefer ragen stolz über die Stadt hinaus. Das Modell ist aber erst städteplanerisch: Es könnte auch alles ganz anders aussehen. «Es wird sogar ganz bestimmt alles ganz anders aussehen», sagt Weiss. Im Moment ist der Bebauungsplan bei der Stadt, muss durch die politischen Mühlen, schlussendlich vor den Grossen Gemeinderat, und vielleicht auch vors Volk.

Und das versucht Beat Weiss fürs Projekt zu gewinnen. «Wir treffen alle Anwohner persönlich und versuchen, ihnen das Projekt näherzubringen. So können wir gewisse Ängste nehmen.» Die Anwohner reagieren gut darauf, sagt Weiss: «Wir stossen auf enormen Goodwill gegenüber der V-Zug.»

Das liegt auch daran, dass die Umgebung in die Überlegungen einfliesse: «Wir möchten zum Beispiel eine Strasse durchs Quartier für den motorisierten Durchgangsverkehr sperren, während eine andere neu geöffnet wird, das ist für die Anwohner sehr interessant. Aber natürlich, gewisse Befürchtungen bleiben. Das ist auch legitim.»

«Industrieprojekt, nicht Immobilienprojekt»

Zum Beispiel die Befürchtung, dass das Jugendzentrum Industrie 45, das an das Areal grenzt, neben den neuen Nutzungen keinen Platz mehr haben könnte. Weiss beschwichtigt: «Wir planen auf unserem benachbarten Grundstück neben dem Jugendhaus Büros, insofern kommt sich das wohl nicht in die Quere.»

«Industrie ist nicht das, womit man bei Bauprojekten grosse Renditen erzielen kann.»

Beat Weiss, Leiter V-Zug Immobilien

Es ist ein komplexes Projekt, in räumlicher, zeitlicher und organisatorischer Hinsicht: Bei laufendem Betrieb will die V-Zug ihre Anlagen auf einen Drittel der Fläche zusammenziehen, und damit Raum schaffen für andere Nutzungen. «Das ist ein Industrieprojekt, kein Immobilienprojekt», sagt Weiss. «Wir haben in allen Gesprächen mit der Stadt immer darum gekämpft, dass der Industrie-Anteil erhalten  bleibt.»

Denn was der V-Zug vorschwebt, ist ein Stück geballte moderne Industrie mitten in der Stadt: «Technology Cluster», heisst das Projekt. Die V-Zug will auf dem Areal andere Technologie-Unternehmen und Ausbildungsinstitute anziehen, auch um ein Technologie-Zentrum mit Synergie-Möglichkeiten zu schaffen.

«Man weiss, dass eine räumliche Nähe von solchen Unternehmen dazu führt, dass Synergien entstehen können. Durch informelle Kontakte zwischen den Mitarbeitern zum Beispiel.»

Geht’s um die Rendite auf dem Grundstück?

Es gibt auch andere Beispiele solcher Industrieareal-Überbauungen, solche, bei denen die Industrie eher Altlast als Ziel ist: Die Cham Paper Group etwa fährt in Cham ihre Industrie fast ganz zurück, und baut auf dem Gelände Wohnungen und Gewerbeflächen.

Geht es bei der V-Zug schlussendlich nicht auch darum, bessere Rendite mit dem Land zu erzielen? «Wenn wir einfach das Land zu Geld machen wollten, dann gäbe es bessere Wege», sagt Weiss. «Industrie ist nicht das, womit man bei Bauprojekten grosse Renditen erzielen kann. Nein, es geht uns ganz klar darum, das Areal als Industriestandort weiterzuentwickeln.» Das sei für die Firma überlebenswichtig. «Wir wollen damit auch die V-Zug selber weiterentwickeln.»

Denn es soll nicht nur neue Häuser geben. Mit dem Umbau soll auch die ganze Fabrikation umgekrempelt werden. «Wir schauen alle Bereiche kritisch an und machen uns Gedanken dazu, wie ein Prozess in Zukunft stattfinden soll. Das Projekt ist eine Art Katalysator für die ganze Produktion der V-Zug.»

Keine Angst vor Kündigungen

Man wolle die Produktion in den neuen Räumlichkeiten steigern können, wolle mehr Maschinen produzieren und exportieren. «Das ist für uns eine Gelegenheit, die Produktion zu modernisieren. Wir haben zum Beispiel einen grossen Emaille-Ofen, da kann man sich fragen, braucht es den in Zukunft noch in dieser Form, oder könnte man auch andere Materialien verwenden?»

Bringt das auch eine Automatisierung mit sich? Müssen Arbeitnehmer von V-Zug um ihre Jobs fürchten? «Im Gegenteil: Die V-Zug will ja noch mehr produzieren. Aber es verlangt natürlich eine gewisse Flexibilität von unseren Arbeitnehmern: Es wird neue Arbeitsplätze geben, neue Abläufe.

Der erste Schritt in diese Richtung ist mit dem «Mistral»-Gebäude schon getan, es befindet sich gerade im Bau. Der Rest des Projekts muss als Gesamtbebauungsplan erst alle politischen Prozesse durchlaufen. «Die Stadt hat ein grosses Interesse an diesem Projekt», sagt Weiss. «Sie hat uns auch dazu gedrängt, einen Plan zur Arealentwicklung aufzugleisen.»

Was erhofft sich die Stadt?

«Wir möchten natürlich die Industrie in der Stadt behalten», sagt der Zuger Bauchef André Wicki. «Es ist ein Glücksfall, dass wir die Siemens, vorher Landis & Gyr, und die hundertjährige V-Zug an ihren Standorten behalten können. Das ist ein wirtschaftlicher Standortfaktor.» Zudem liege die Verdichtung im Interesse der Stadt. «Wir müssen verdichten, und das bedeutet nach innen und nach oben verdichten», sagt Wicki. «Und damit die Bauherren und Investoren auch ein Interesse daran haben, zu verdichten, können wir ihnen mit einer Aufzonung des Grundstücks einen Mehrwert bieten.»

Durch die Umzonung des südlichen V-Zug Areals, die bei der letzten Zonenplanrevision vorgenommen wurde, hat das Land erheblich an Wert gewonnen. Muss die V-Zug davon auch etwas an die Stadt abgeben? Stadtplaner Harald Klein sagt: «Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind noch nicht gegeben, dass die Stadt bei einer Umzonung einen Teil des Mehrwertes direkt abschöpfen kann. Darüber muss der Kantonsrat noch befinden. Aber eine indirekte Abschöpfung erfolgt, indem wir Nutzungen für die Öffentlichkeit fordern: Velowege, multifunktionale Erdgeschosse, in denen verschiedene Nutzungen möglich sind, öffentliche Plätze und Pärke oder sonstige Grünflächen.»

«Damit hat man quasi das öffentliche Interesse geopfert und den Privaten die Carte Blanche gegeben.»

Stadtpräsident Dolfi Müller über die damalige Entwicklung im Siemensareal

Die Stadt hat schon einmal ein grosses Industrieareal neu entwickelt, allerdings mit umstrittenem Erfolg: Der Stadtrat habe zu wenig stark verhandelt, sagte Stadtpräsident Dolfi Müller über die Entwicklung des Siemens-Areals, die 2003 mit einer Volksabstimmung beschlossen worden war. Es hätte ein «lebendiges Stadtquartier» werden sollen, hiess es in der Abstimmungsbroschüre, davon ist jedoch bis heute wenig auszumachen (zentral+ berichtete).

Man hätte die öffentliche Nutzung konkreter fordern und fixieren müssen, sagte Müller gegenüber zentral+. Damals hiess es: «Was für die Siemens gut ist, ist auch für die Stadt gut.» Das war laut Müller damals Tenor im Grossen Gemeinderat. «Damit hat man quasi das öffentliche Interesse geopfert und den Privaten die Carte Blanche gegeben.»

Wird das beim V-Zug Areal anders laufen? «Es stimmt, die Stadt hätte damals konkreter im Bebauungsplan fixieren müssen, was sie möchte», sagt Stadtplaner Klein. «Dies müssen wir zugeben. Bei der V-Zug werden wir die öffentlich relevanten Interessen klarer aushandeln und im Bebauungsplan fixieren.» Allerdings sei es zu früh, so Klein, um die Situation im Siemens-Areal abschliessend zu beurteilen: «Die Bauten, die zur Flaniermeile in Zug werden sollen, sind ja noch gar nicht gebaut. Da muss man Geduld haben.»

«Ein Geben und ein Nehmen»

Kann aber die Stadt mit der V-Zug überhaupt hart verhandeln? Könnte sie es verkraften, wenn die V-Zug geht? «Es ist uns natürlich sehr wichtig, dass die V-Zug sich hier entwickeln kann. Aber in solchen Verhandlungen ist es ein Geben und ein Nehmen», sagt Wicki. «Wir können sehr gut miteinander verhandeln. Es wollen alle zusammenspannen und dieses Projekt verwirklichen. Denn es ist eine tolle Chance. Wichtig ist jetzt, dass wir möglichst flexibel bleiben.»

Niemand wisse, welche Nutzungen in 30 Jahren wichtig sind. «Deshalb soll die Aufteilung im Bereich der Industriebauten möglichst frei formuliert sein», sagt auch Klein. Konkret solle man da werden, wo das Areal an sensible Nachbarschaften angrenzt. Zum Beispiel die Arbeiterhäuschen gleich hinter dem Areal, entlang der Oberallmendstrasse. «Da werden wir zum Beispiel klar festlegen, dass die Randbebauung nicht höher als 12 Meter werden darf, damit eine angemessene Übergangszone entsteht.»

Intelligentes Quartier

Auf Flexibilität beim Bebauungsplan hofft auch die V-Zug: Er solle nicht starr geformt sein, sondern möglichst viele Möglichkeiten zur Gestaltung offen lassen. «Das ist so ein komplexer Prozess, wir brauchen grösstmögliche Flexibilität», sagt Beat Weiss. «Wir müssen auch mal ein Gebäude vielleicht etwas kürzer machen können, oder anders anordnen, damit es passt.»

Zudem wolle die V-Zug dabei grosses Augenmerk auf die Umwelteinflüsse der Bebauung richten. «Wir möchten die Häuser auch untereinander in mehreren Hinsichten vernetzen, thermisch, energetisch, mit einem Smart-Grid, mit intelligenten Verbindungen.»

Der Technologie-Cluster soll so zum ersten intelligenten Quartier in der Stadt werden. Bis dahin allerdings könnte noch ganz anderes auf dem Areal stattfinden. «Es wird zum Teil auch lange dauern, bis gewisse Gebäude abgerissen und ersetzt werden können. Da planen wir natürlich, Zwischennutzungen anzugehen.» Kreativwirtschaft, Architekturbüros, auch kulturelle Zwischennutzungen? «Ja klar, das ist alles möglich.»

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