Das sagt der Mann, der schuld sein soll

Mega-Diebstahl am Luzerner Fest: Ist Naivität strafbar?

Am Luzerner Fest 2018 wurde erstmals eine Lichtshow gezeigt – nutzten Diebe die Ablenkung, um sich zu bereichern? (Bild: zvg)

Der Platzchef soll schuld sein, dass am Luzerner Fest 2018 insgesamt 50'000 Franken verschwunden sind. Vor Gericht bestreitet der Mann, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Er werde zum Sündenbock gemacht.

Bestes Wetter, tolle Konzerte und friedliche Stimmung: 100'000 Besucherinnen waren in der Stadt, als 2018 das zehnte Luzerner Fest stattfand. Luca Hänni, Dada Ante Portas und Florian Ast traten auf. Zum Geburtstag gab es erstmals eine Lichtanimation am Schwanenplatz, die mit Spannung erwartet wurde.

Das Organisationskomitée war mit dem Verlauf sehr zufrieden, wie es tags darauf mitteilte. Ein ganz anderes Fazit zieht der Mann, der an diesem Donnerstag vor dem Bezirksgericht Luzern steht. «Es war tote Hose. Schon nach wenigen Stunden merkte ich: Das wird vom Umsatz her das schlechteste Fest seit Jahren», sagt der heute 48-Jährige.

Mehr Geld ausgegeben als eingenommen

Tatsächlich fiel der Kassensturz auf dem Schwanenplatz, für den er zuständig war, katastrophal aus. Nur knapp 7'000 Franken nahmen die Stände an jenem Abend ein. Dabei hatten die Getränke, die ausgeschenkt wurden, allein schon einen Einkaufswert von 13'500 Franken. Es braucht keine Mathematikerin, um zu wissen: Da geht irgendetwas nicht auf.

Die Staatsanwaltschaft hat berechnet, dass bei der Zahl der verkauften Getränke mindestens 50'000 Franken mehr in der Kasse hätten sein müssen (zentralplus berichtete).

Ermöglichte seine Nachlässigkeit den Diebstahl?

Zunächst gingen die Untersuchungsbehörden davon aus, dass der Platzchef in die eigene Tasche wirtschaftete. Sie stellten einen Strafbefehl wegen Veruntreuung aus. Nach einer Einsprache machte die Staatsanwaltschaft dann aber einen Rückzieher.

«Wenn wir so viel Umsatz gemacht hätten, wäre das ja geil gewesen. Es war aber nicht so.»

Beschuldigter

Sie geht nun davon aus, dass der Mann sich lediglich der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig gemacht hat. Konkret: Er habe die Barmitarbeiterinnen zu wenig beaufsichtigt. «Durch seine Nachlässigkeit hat der Beschuldigte bewirkt, dass eine oder mehrere Personen Geld aus den Kassen entwenden konnten», heisst es im neusten Strafbefehl.

Beschuldigter will nicht glauben, dass die Helfer in die Kasse langten

Nur: War das wirklich so? Diese Frage gilt es nach einer erneuten Einsprache nun vor dem Bezirksgericht zu klären. Der Mann selber bestreitet, etwas falsch gemacht zu haben. Seit fast 20 Jahren arbeitet er am Stadtfest freiwillig mit. Für ihn geht es darum, dass alle «Plausch» an der Sache haben. «Seinen» Helfern bezahlt er nach getaner Arbeit immer 100 Franken aus dem eigenen Sack, damit diese noch ein bisschen feiern können. Das sogenannte Platzgeld bekommt er erst später vom OK bezahlt, deshalb streckt er etwas vor. «Ich wollte die Freiwilligen nicht warten lassen», erklärt er. Mit dem übriggebliebenen Geld organisierte er jeweils ein Fest für die Helfer – auch wenn er dann und wann draufzahlte. «Das war es mir wert.»

Geld zu stehlen, das für einen guten Zweck vorgesehen ist, läge ihm völlig fern. «Ich habe nie etwas genommen, das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren», versichert er. Wie das Loch von 50'000 Franken entstanden ist, kann er sich nicht erklären. Irgendwie hofft er, dass etwas bei der Abrechnung schiefgegangen ist. Er vermutet, dass weniger Getränke als ausgewiesen geliefert wurden. Dass einer der Helfer in die Kasse gelangt haben könnte, will er einfach nicht glauben. «Es ist nicht möglich. Niemand kann so viel abgezügelt haben. Wenn wir so viel Umsatz gemacht hätten, wäre das ja geil gewesen. Es war aber nicht so», ist er überzeugt.

Wer waren die Leute, die das Geld abholten?

Der Einzelrichter hält ihm vor, dass es fast nicht anders gewesen sein kann. Mehrere Barmitarbeiter hätten gesagt, dass immer mal wieder Leute beim Stand vorbeigekommen seien, um das Geld zur Bank zu tragen. Eigentlich hätten das nur der Platzchef und sein Stellvertreter tun dürfen. Hat vielleicht jemand die Gunst der Stunde genutzt und die Helfer übers Ohr gehauen?

Der Platzchef bestreitet auch dies und versichert, dass nur er regelmässig die Runde gemacht habe, um die vollen Kassen zu leeren. Er räumt ein, dass er sich dabei nicht an die vorgeschriebenen Zeiten hielt. «Ich habe das Geld abgeholt, wenn welches da war. Aber wegen ein paar einzelner Scheine zur Bank zu gehen, macht keinen Sinn.»

«Der Beschuldigte rechnete überhaupt nicht damit, dass jemand diese Situation ausnutzt.»

Verteidiger

Die Aussage lässt darauf schliessen, dass eben gar nie wirklich viel Geld in den Kassen landete. Sprich: dass es schon vorher verschwunden sein könnte. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätte der Platzchef das merken und seine Helfer besser kontrollieren müssen. «Ich war für drei Wagen zuständig. Ich konnte nicht überall sein. Es muss doch ein gewisses Vertrauen da sein, sonst funktioniert so ein Fest nicht», sagt der Mann dazu. «Dass ich jetzt den Kopf hinhalten muss, finde ich nicht fair.»

Knackpunkt: Nahm er den Diebstahl in Kauf oder nicht?

Der Verteidiger fordert, dass der Mann freigesprochen wird. «Er ist ein korrekter Mensch, der seinen Mitmenschen gerne hilt. Er engagiert sich seit Jahren für das Luzerner Fest und es gab nie Anlass zur Klage», so der Anwalt. 25 Personen hätten an jenem Tag an den Ständen gearbeitet, «jeder könnte als Dieb in Frage kommen», argumentiert er.

Voraussetzung für eine Verurteilung wäre, dass der Beschuldigte mit seinem Verhalten billigend in Kauf nahm, dass Geld aus der Kasse genommen wurde. Genau das sei aber nicht der Fall. «Das Fest basiert auf Vertrauen, die Helfer arbeiten freiwillig und werden nicht entlöhnt. Der Beschuldigte rechnete überhaupt nicht damit, dass jemand diese Situation ausnutzt», so der Verteidiger. Auch bei einer besseren Organisation wäre das aus seiner Sicht nicht vermeidbar gewesen. Fahrlässigkeit reiche beim Vorwurf der ungetreuen Geschäftsführung nicht aus für eine Verurteilung.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann weiter vor, dass er nach dem Fest angebrochene Getränke mit nach Hause nahm. Dies aber sei gängige Praxis gewesen, sagt der Verteidiger. Grund: Flaschen aus angebrochenen Packungen nahm der Getränkelieferant nicht mehr zurück. Auch da habe sich sein Mandant nicht schuldig gemacht.

Die Frage, ob dem Mann strafrechtlich etwas vorzuwerfen ist, wird das Gericht klären. Das Urteil steht noch aus. In der Verhandlung stellte sich immerhin unbestrittenermassen heraus, dass sich der Beschuldigte selbst nicht an dem Geld bereichert hat, das für einen wohltätigen Zweck vorgesehen war. Zumindest den Vorwurf, naiv zu sein, was das Vertrauen in seine Mitmenschen angeht, muss er sich aber wohl gefallen lassen.

Dass dafür im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten angemessen ist, findet der Verteidiger nicht.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 30.10.2021, 22:36 Uhr

    Ich frage mich, wie sich denn die Verantwortlichen des Luzern-Festes dazu stellen? Es ist natürlich einfach dann einer Einzelperson die Schuld zu zu schieben. Zu einem solchen Fest gehört ein Sicherheitskonzept. In diesem Sicherheitskonzept muss ganz klar festgelegt sein wie die Geldflüsse laufen und wer dafür verantwortlich ist. Und «Miese» entstehen nicht einfach so. Wenn bei der Abrechnung 7500 Fr Einnahmen 13500 Fr Ausgaben gegenüberstehen, dann ist prinzipiell etwas falsch gelaufen. Da müssen sich die Verantwortlichen wohl selbst an die Nase fassen. Nicht jeder zahlt für ein Bier 10 Fr. (inklusive Depot). Viele Besucher haben aus den vergangenen Jahren gelernt und sich halt ihr Bier selber mitgenommen. Eigentlich dürften sich die Verantwortlichen dann auch nicht wundern wenn solche Zahlen entstehen. Und ja wer meint mit Gigantomanie prahlen zu können der muss damit rechnen, dass irgendwann die Rechnung nicht mehr aufgeht und die Besucher zu Hause bleiben.

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