Zuger Schuldenberater kennt die Gründe

Warum die junge Generation vermehrt Schulden anhäuft

Wenn am Ende des Geldes viel Monat übrig bleibt: Im Bild Schuldenberater André Widmer.

Fast die Hälfte der Schweizer Haushalte ist verschuldet. Und im Anhäufen von Schulden sind junge Zeitgenossen besonders talentiert. Wir haben den Zuger Schuldenberater André Widmer gefragt: Sind die jungen Leute konsumwütig?

Der Umgang mit dem lieben Geld: Der will gelernt sein. Und nicht alle haben ihre Finanzen im Griff. Das zeigen auch neue Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS).

Diese lassen aufhorchen: Im Jahr 2020 lebte jeder Zweite in einem Haushalt, in welchem es mindestens eine Art von Verschuldung gab. Sei es ein geleastes Auto, Schulden bei einem Kumpel, offene Kreditkartenrechnungen oder überzogene Konten.

Generell lässt sich sagen: Je älter jemand ist, desto weniger Schulden hat er. Junge häufen besonders oft Schulden an. Bei denjenigen, die mindestens drei verschiedene Arten von Schulden angehäuft haben, sind die jüngeren Generationen zwischen 18 und 24 besonders zahlreich vertreten. Von ihnen hat mehr als jede 11. Person mindestens drei Arten von Schulden.

Wie hoch ist das Risiko für junge Menschen, sich zu verschulden und in die Schuldenfalle zu geraten? Dazu haben wir André Widmer befragt. Er ist Stellenleiter und Schuldenberater bei der Zuger Beratungsstelle Triangel.

Auszug aus dem Elternhaus ist ein böses finanzielles Erwachen

Widmer sagt: «In jungen Jahren unmittelbar nach der Lehre hat man in der Regel seinen ganzen Lohn zur Verfügung.» Jugendliche leben zu Hause bei den Eltern, im Hotel Mama. Sie müssen nichts oder nur wenig an die Essens- und Unterhaltskosten zahlen. Sich dann ein Leasing leisten, die Strandferien über die Kreditkarte abrechnen und das neueste Handy über einen Abzahlungsvertrag kaufen: alles kein Problem.

Und wenn man einmal kurz vor der Lohnüberweisung kein Geld mehr hat, kann das Konto überzogen werden. Das geht laut Widmer so lange gut, bis man auszieht und für die erste eigene Wohnung aufkommen muss. Oder man den Job verliert. Oder in einen Autounfall verwickelt wird.

«Wenn ich die Werbung mit Christa Rigozzi anschaue, so denke ich: Es ist extrem cool, Schulden zu machen.»

André Widmer, Schuldenberater

«Dann kann ich plötzlich die Leasingrate nicht mehr bezahlen und es reicht nicht mehr für die zehn Prozent der Kreditkartenausstände, welche die Bank monatlich von mir einfordert», fährt Widmer fort. Inzwischen ist die Person 30 Jahre alt, möchte eine Familie gründen. Seit Jahren ist sie sich gewöhnt, einen hohen Lebensstandard zu geniessen, einen Sportwagen mit allem möglichen Zubehör zu fahren und das modernste iPhone zu haben.

«Wenn es gestern noch gereicht hat, dann reicht der Lohn heute nicht mehr.» Allenfalls nimmt man einen Kleinkredit über 50'000 Franken auf oder die Termine auf dem Betreibungsamt häufen sich. Sich einschränken? Fehlanzeige, hat man noch nie gemacht. «Die Schuldenspirale ist schon munter am Drehen. Und ja: Die Chance den Fortgang stoppen zu können, werden immer kleiner.»

Führt Konsumwut zu Geldproblemen?

Sind Junge denn konsumwütig? Widmer verneint nicht. Fügt aber an: «Man muss aber bedenken, dass sie damit aufgewachsen sind und gar nichts anderes kennen. Wir als Gesellschaft haben uns dahin entwickelt.»

«Junge wissen schlichtweg nicht, dass es Ausgaben wie Steuern und Krankenkassenprämien gibt.»

André Widmer

Auch die Werbung lässt uns glauben, dass es ganz easy sei, einen Kredit aufzunehmen. Beispielsweise wirbt Ex-Miss-Schweiz Christa Rigozzi entsprechend für Kredite der Cembra Money Bank.

Die Markenbotschafterin hat damit schon früher für Kritik gesorgt. Und auch Widmer sagt: «Wenn ich die Werbung mit Christa Rigozzi anschaue, so denke ich: Es ist extrem cool, Schulden zu machen. Er verweist auf ein weiteres Beispiel: Beim Kauf von Autos höre man nichts von Preisen. «Nur von Null-Komma irgendetwas Prozent Leasingkosten.» Das klinge natürlich verlockend.

Geld ausgeben, das man gar nicht hat

Fassen wir also zusammen: Der Auszug aus dem Elternhaus kann für viele Junge zur Schulden-Stolperfalle werden. Weil sie schlicht nicht wissen, was alles an Ausgaben auf sie zukommt. «Bei jungen Menschen gehen Steuern, Krankenkassenprämien und andere Kosten nicht einfach vergessen», sagt Widmer. «Sie wissen schlichtweg nicht, dass es diese Ausgaben gibt. Und dann, wenn sie keine Rückstellungen gemacht haben, ist es schon zu spät.»

Auch Phänomene wie «buy now, pay later» – also erst kaufen, dann bezahlen – tragen dazu bei, dass sich bei Jungen offene Rechnungen stapeln und sie diese nicht rechtzeitig bezahlen können. Das Motto: Erst bezahlen, dann konsumieren wäre natürlich hilfreich. Widmer fügt an: «Man muss jedoch ehrlicherweise auch sagen, dass ein grosser Teil diese Verlockungen im Griff hat.»

Eltern müssen mit ihren Kindern über Geld reden

Gemäss Schuldenberater Widmer ist es deswegen umso wichtiger, dass Eltern mit ihren Kindern am Tisch über die Finanzen reden. Und ihnen eine gewisse «Finanzkompetenz» mitgeben, wie er sagt. Er empfiehlt Eltern, dass sie ihren Kindern ab der 1. Klasse Sackgeld geben. Und zwar einen Franken pro Stufe und Woche. Ab der Oberstufe dann einen Jugendlohn.

«Es lohnt sich, immer wieder mit den Kindern zu diskutieren, was die Welt kostet. Also die gemeinsamen Ferien, das neue Kick-Board und die Wohnung. Wenn sie es langsam verstehen, kann man ihnen das Familienbudget erklären.»

Auch könnten Eltern den Kindern eine Art «Vertrauensbonus» geben. Damit sie Verantwortung übernehmen. «Hat es nicht geklappt, können Eltern zusammen herausfinden, wieso.»

Verwendete Quellen

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


4 Kommentare
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 08.07.2022, 11:05 Uhr

    Die sinnlosen Corona-Massnahmen haben die Psyche, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft der Jugend zerstört. Alles, was André Widmer sagt mag stimmen, nützt aber der Jugend nichts. Sie haben alles verloren, weil die Politiker den Konzernen dehnte statt zu recherchieren.Diese Generation ist verloren und das habt ihr zu verantworten und nicht die Eltern

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎3Daumen runter
    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 08.07.2022, 15:48 Uhr

      Die Generation ist alles andere als verloren, bei Ihrer Verbitterung bin ich mir indes nicht ganz sicher. Kopf hoch!

      👍0Gefällt mir👏2Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 08.07.2022, 07:27 Uhr

    Danke für das Aufgreifen dieses sehr wichtigen Themas und den ausgewogenen Bericht.

    👍3Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
    • Profilfoto von tore
      tore, 06.09.2022, 21:01 Uhr

      Finde ich auch.

      👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon