Jahresabschlüsse der Kantone und Gemeinden

Um Hunderte Millionen verrechnet: Das sagt der Experte

Experte Christoph Lengwiler kann nachvollziehen, dass die Finanzdirektoren immer wieder mahnende Worte von sich geben. (Bild: zvg)

Können die nicht rechnen? Die Kantone Zug und Luzern verzeichnen einmal mehr deutlich bessere Finanzabschlüsse als budgetiert. Ein Finanzexperte erklärt, weshalb die öffentliche Hand mit ihren Prognosen so oft deutlich daneben liegt.

Es ist die Zeit der Jahresergebnisse. Sowohl Firmen wie auch öffentliche Institutionen geben dieser Tage bekannt, wie gut oder schlecht das vergangene Jahr finanziell für sie war. Auch die Kantone Luzern und Zug bilden da keine Ausnahme.

Und hier ähnelt sich das Bild hüben wie drüben. Luzern beispielsweise erzielte 2022 bei einem Gesamtaufwand von 4 Milliarden Franken einen Überschuss von 204,5 Millionen Franken (zentralplus berichtete). Zug kam bei einem Gesamtaufwand von 1,6 Milliarden Franken gar auf ein Plus von 332 Millionen (zentralplus berichtete). Beiden Abschlüssen gemein ist, dass sie deutlich über dem jeweiligen Budget liegen. Luzern wirtschaftete um 213 Millionen besser als erwartet, Zug um 128 Millionen.

Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass sich die Finanzdirektoren deutlich verkalkulierten. 2021 lag das tatsächliche Jahresergebnis in Luzern rund 250 Millionen über dem Budget, in Zug waren es gar 263 Millionen Franken. Auch in den beiden Jahren vor der Pandemie lag die Differenz zwischen erwartetem und tatsächlichem Ertrag immer im dreistelligen Millionenbereich.

Die Warnungen der Säckelmeister

Aber nicht nur die Kantone verrechnen sich oft, auch die Stadt Luzern beispielsweise wartete für das Jahr 2022 mit einer deutlichen Differenz von Budget und Rechnung auf (zentralplus berichtete). Ihr Ertrag lag 68,3 Millionen Franken über der Prognose. Emmen, das ein deutlich tieferes Gesamtbudget hat, verzeichnete eine Differenz von mehr als 14 Millionen Franken (zentralplus berichtete). Die Stadt Zug präsentierte für das Jahr 2021 einen Ertragsüberschuss von 77,2 Millionen, die Prognose zuvor lag bei einer schwarzen Null.

Die von den Säckelmeistern beschriebenen Gründe für die Abweichung ähneln sich dabei jeweils. Mehr Einnahmen als erwartet bei den natürlichen und juristischen Personen sowie unerwartete Einmaleffekte. Was sich ebenfalls ähnelt: die Mahnungen zur Vorsicht. Quasi: «Nächstes Jahr wird es dann anders aussehen.» Der oberste Kassier des Kantons Luzern, Finanzdirektor Reto Wyss (Mitte), sagte bei der Präsentation vor wenigen Tagen, es bestehe – trotz einem 200-Millionen-Überschuss – «kein Grund zur Euphorie». Die Einnahmen seien volatil und nicht überall nachhaltig.

«Es ist nicht schlecht, wenn man mit den Finanzen haushälterisch umgeht»

Dass die Finanzdirektoren immer wieder mahnende Worte von sich geben, kann Christoph Lengwiler nachvollziehen. Er ist externer Dozent am Wirtschaftsdepartement der Hochschule Luzern und berät in der Zentralschweiz Gemeinden bei der Erarbeitung von Finanzstrategien. Früher sass er für die CVP unter anderem im Luzerner Kantonsrat. «Es ist nicht schlecht, wenn man mit den Finanzen haushälterisch umgeht», sagt er auf Anfrage, «und deshalb müssen sowohl Kantone als auch Gemeinden immer wieder Möglichkeiten zur Entlastung des Finanzhaushaltes suchen.»

Linke Parteien werfen den oft bürgerlichen Finanzdirektoren vor, absichtlich negativ zu budgetieren, um damit Sparmassnahmen zu rechtfertigen. Lengwiler entgegnet: «Es ist nicht so, dass die Verantwortlichen zusammensitzen und sich fragen, wie man möglichst wenig Einnahmen budgetieren kann.» Vielmehr gehe es darum, die künftigen Einnahmen zum Zeitpunkt der Budgeterstellung möglichst realistisch vorauszusagen, und da gelte das «Vorsichtsprinzip». Die Budgets würden ja jeweils im Sommer für das nächste Jahr erstellt – entsprechend auch mit dem Informationsstand zu diesem Zeitpunkt. «Und man will angesichts der Unsicherheit der Prognosen vermeiden, dass die Budgets zu optimistisch sind. Denn wenn die effektiven Ergebnisse dann schlechter ausfallen, ist das heikel», führt er aus. Quasi also lieber eine positive als eine negative Überraschung.

Sollen nicht vorhersehbare Sonderfälle budgetiert werden?

Christoph Lengwiler erklärt auch, weshalb es so oft zu grossen Differenzen zwischen Budget und Jahresrechnung kommt. «Die meisten Gemeinden, von denen ich die Abschlüsse sehe, stellen fest, dass sie beim Aufwand gut im Budget bleiben konnten.» Das grosse Problem sei die Ertragsseite. «Es sind oft Sonderfälle wie ausserordentliche Grundstückgewinnsteuern, Erbschaftssteuern, Steuernachträge oder juristische Personen, die überraschend viel Steuern bezahlen müssen, weil sie ein besseres Ergebnis als erwartet erzielt haben.» Die Frage sei, ob man solche nicht vorhersehbaren Sonderfälle budgetieren soll. Lengwiler ist hier vorsichtig: «Wie gesagt kann das heikel sein. Denn was ist, wenn die budgetierten Sonderfälle nicht eintreffen?»

Seiner Meinung nach sollte die öffentliche Hand regelmässig punktuelle Spar- und Entlastungsmassnahmen in die Wege leiten, um den Finanzhaushalt nachhaltig im Gleichgewicht zu halten. Das sei vor allem wichtig, wenn sich aufgrund der tatsächlichen Zahlen der Rechnungen strukturelle Defizite abzeichnen. Die Verantwortlichen, sagt der Experte, sollten sich also auf die Fakten stützen und die Unsicherheit bei den Prognosen im Auge behalten. «Denn wenn man wegen eines defizitären Budgets in Hektik verfällt und mit Sparmassnahmen einen riesigen Wirbel macht, gibt es ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn die Rechnung dann viel besser ausfällt als budgetiert.»

Lengwiler findet, die Finanzverantwortlichen der Gemeinden und Kantone sollten klar definieren, ab wann einschneidende Massnahmen nötig sind: «Zum Beispiel wenn die Verschuldung ein gewisses Level erreicht hat oder gewisse Grenzen in der Rechnung bei den Finanzkennzahlen überschritten wurden.»

Verwendete Quellen
6 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon