«In Zug bekommst du ohne Englisch heute kaum noch etwas», sagte uns eine Leserreporterin mit einer gewissen Empörung. Auf dem Papier mag das durchaus einige Funken Wahrheit haben. Zug ist ein Kanton voller Expats. Von den 132’545 Personen, die Ende 2023 im Kanton Zug lebten, waren rund 30 Prozent Ausländer. Kein Wunder, bei all den internationalen Firmen, die hier ihren Hauptsitz aufgeschlagen haben.
Tatsächlich gehört Englisch zu einer der am häufigsten gesprochenen Sprachen im Kanton Zug. 14,1 Prozent der Zuger Bevölkerung haben bei einer Erhebung Anfang 2024 angegeben, dass sie hauptsächlich Englisch sprechen. Damit liegt der Kanton an der Schweizer Spitze (zentralplus berichtete). In der Stadt Zug liegt der Anteil Englisch sprechender Personen bei rund 20 Prozent. Das ist zwar noch weit weg von «In Zug bekommst du ohne Englisch heute kaum noch etwas», aber wir gehen der Sache nach – und stossen auf Erstaunliches.
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Wie weit kommt man in Zug also noch mit Deutsch? Insbesondere mit Schweizerdeutsch? zentralplus hat sich da hinbegeben, wo man sich in der Stadt Zug trifft und plaudert – in die Beizen und Bars, um eine Probe aufs Exempel zu machen. Für unsere Recherche haben wir uns eine Handvoll unterschiedlicher Lokale ausgesucht, in der auch Business-Leute anzutreffen sind. Also jene Expats, die wir in dieser Themenwoche in den Fokus stellen.
Erster Halt: Freiruum
In der Markthalle des Freiruum, wo 14 verschiedene Essensstände um hungrige Gäste buhlen, trifft sich halb Zug zum Mittagessen. Nicht nur, weil man sich hier einmal um die halbe Welt futtern kann – von Momos bis Poké Bowls, BBQ, Pizza und Pasta ist hier alles vertreten, sondern auch, weil sich der Freiruum in der Nähe von verschiedenen grossen Firmensitzen befindet. Darunter illustre Namen wie Johnson & Johnson, Siemens und Holcim.
Unser Englisch hätten wir aber zu Hause lassen können. An den Essständen, an denen wir uns etwas bestellt haben, kamen wir mit Schweizerdeutsch wunderbar durch. In sprachlicher Hinsicht – und nur da – war unser Besuch im Freiruum also eine Pleite. Egal, wir haben noch ein paar Stationen vor uns. Die nächste liegt gar nicht so weit entfernt, denn wir begeben uns zum …
Zweiter Halt: Shed Market
Die Chancen stehen hier auf den ersten Blick gut. Denn hier sitzen zahlreiche Leute an den Tischen, die untereinander Englisch sprechen. Aber im Shed umgeht man ein allfälliges Kommunikationsproblem ziemlich geschickt: Via QR-Code können Gäste hier online und mehrsprachig selbst bestellen, was sie möchten. So leicht lassen wir uns aber nicht abspeisen. Schliesslich muss der bestellte Tee auch noch an den Tisch gebracht werden, und genau da werden wir zuschlagen.
Zumindest hätten wir das gern, denn unsere schweizerdeutsche Begrüssung wird von der jungen Dame, die uns den Tee bringt, mit einem knappen, aber sehr stummen, Lächeln quittiert. In der Mittagseile liegt offenbar nicht mehr drin. Na ja, bleibt immerhin noch die Chance auf einen kurzen Schwatz beim Bezahlen.
Bis dahin lauschen wir dem Team hinter dem Tresen – und hören Deutsch in verschiedenen Variationen und Akzenten. Als wir dann die Rechnung am Tresen bezahlen, verabschiedet man uns auf Schweizerdeutsch mit einem leichten osteuropäischen Akzent. Englischzwang ist im Shed also ebenfalls Fehlanzeige.
Dritter Halt: Park Hotel Zug
Vielleicht sind Mittagsbetriebe auch die falsche Adresse. Einen Spaziergang durch die halbe Stadt bringt uns zum Park Hotel Zug. Ein Viersterne-Business-Hotel, beliebt bei Geschäftsleuten aus dem Aus- und Inland. Beim Restaurant Aigu verweist man uns höflich – und auf Schweizerdeutsch – zur Bar. Hier, in gehobenem Ambiente, müssen einfach wichtige Geschäfte beschlossen werden. Auf Englisch. Falsch gedacht.
Die Barkeeperin begrüsst uns ebenfalls auf Schweizerdeutsch und nimmt auch so unsere Bestellung auf. Ein weiterer Schwatz zur Prüfung ist von unserer Seite her nicht nötig, dieser Innerschweizer Dialekt ist angeboren.
So langsam beginnen wir uns zu fragen, was an der Sprachkritik eigentlich dran ist. Frühzeitig urteilen wollen wir jedoch nicht, weswegen wir unseren Tee runterkippen – für Alkohol ist es noch eine Spur zu früh – und ein Haus weiterziehen.
Vierter Halt: Kaffeehaus Treichler
«Grüezi, was dörfs si?» Okay, danke, reicht eigentlich schon. Wir kaufen einen Trost-Grittibänz und ziehen weiter.
Fünfter Halt: Flanagan’s Irish Pub
Wir fahren gröbere Geschütze auf und bewegen uns zu den Iren beim Bundesplatz 16. «It’s a lovely day for a Guinness», beliebt ein Redaktionsgspänli zu sagen. Und so langsam unterstützen wir diesen Spruch. Nüchtern hält man diese Pleitenreihe auch nicht mehr aus. Beim Betreten des Pubs schöpfen wir Hoffnung. Die zahlreichen Gäste reden fast ausnahmslos Englisch. Aus den Boxen singt Queen «Don’t Stop Me Now» – fast schon prophetisch.
In der Sitznische platziert, geben wir uns gegenüber dem jungen Barmann etwas begriffsstutzig. Wir stellen Fragen zu verschiedenen Ciders – und kriegen sie in lupenreinem Schweizerdeutsch beantwortet. Es ist doch zum Mäusemelken! Mit einem Cider vor der Schnute warten wir erst einmal ab – und haben vielleicht doch Glück. An der Bar kommt es zum Schichtwechsel. Unser Barmann weist seine Nachfolgerin ein – auf Englisch –, zieht sich eine Niklolausmütze an (kein Scherz und auch keine Alkoholhalluzination) und verabschiedet sich in den Feierabend.
Aber die Euphorie versiegt schneller als unser Cider. Die junge Frau spricht mit uns zwar Hochdeutsch mit Akzent, aber unserer «Lozärner Schnorre» ist sie problemlos gewachsen.
Letzter Halt: Mr. Pickwick Pub
Vom Irish Pub stolpern wir über die Strasse zum Mr. Pickwick. Hier ist vieles auf Englisch angeschrieben, von der Speisekarte bis zum Wegweiser zum Klo. Also wenn wir hier nicht zum Englisch gezwungen werden, stürzt der ganze Vorwurf in sich zusammen wie ein Kartenhaus aus Guinness-getränkten Bierdeckeln. Wir bewegen uns – klassisch für Pubs – zum Bartresen um zu bestellen und …
Herrgott noch mal! Nicht einmal hier, in der Englisch sprachigen Enklave schlechthin! Bei der gut gelaunten Barkeeperin hört man zwar einen englischen Akzent raus, aber auch sie beantwortet unsere Fragen auf Schweizerdeutsch und nimmt auch so unsere Bestellung auf. Mr. Pickwick, du bebrillter Eierkopf, warum vermiest du uns die Tour? Es nützt alles nix. Also her mit den Promille und hinfort mit dem Frust – und dem Vorurteil, dass man in Zug ohne Englisch nicht weiterkommt.
Fazit: «A bunch of bulls …»
Also, Quintessenz nach dieser umfangreichen Beizentour – die wir rückwirkend, auf den Pegel betrachtet, vielleicht besser auf zwei Ausflüge aufgeteilt hätten –: nichts als heisse Luft.
Nicht ein einziges Mal wurden wir darum gebeten, auf Englisch, oder nur schon Hochdeutsch, zu wechseln. Klar, unsere Besuche waren nur eine Momentaufnahme, und wir haben uns auch nicht in allen Zuger Gastrobetrieben und stundenlang und auf philosophische Themen spezialisiert mit den Leuten unterhalten.
Aber für einen Besuch in Zuger Restaurants braucht man weder ein Englischdiplom noch überhaupt Englisch. Also an all die Nörgler da draussen: ein durch und durch Schweizerdeutsches: «Chömed mol obenabe.»
Arbeitet seit 2020 bei zentralplus und betreut den Bereich Gastronomie.
In Luzern und Zug aufgewachsen und schon seit bald 20 Jahren als Texter und Autor unterwegs. Steht privat gerne am Herd und war während mehreren Jahren als Assistenz einer Luzerner Störköchin tätig.