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Die «Wilhelm Tell» prägt Luzern seit über 50 Jahren. Doch im nostalgischen Restaurant steckt harte Arbeit – und eine unsichere Zukunft. Ein Gespräch mit Kapitän Eduard Räber über Hong Kong, Lecks und Dinosaurier.
Das Wasser des Vierwaldstättersees schwappt langsam gegen die Bordwand, ein eisiger Wind weht über das verlassene Deck. Trotzdem empfängt uns Kapitän Eduard Räber gut gelaunt in weisser Uniform und erteilt uns die Erlaubnis, an Bord der «Wilhelm Tell» kommen zu dürfen. Das Schiff ruht seit über fünfzig Jahren an Ort und Stelle am Schweizerhofquai und ist für viele Luzerner aus dem Stadtbild nicht wegzudenken. Dass das Dampfschiff wohl nie wieder auf dem Vierwaldstättersee herumfahren wird, hat einen guten Grund: Die «Tell» ist ein Restaurant.
Eduard Räber steuert die Geschicke des Schiffrestaurants seit rund 30 Jahren. Davor hatte sein Vater, Eduard Räber Senior, den Posten als Kapitän inne. Die Geschichte der «Tell» ist somit auch die Geschichte der Familie Räber. Denn Eduard Räber Senior, der einst auch als Matrose für die Schifffahrtgesellschaft tätig war, kaufte das Dampfschiff 1971 und rettete es dadurch vor der Verschrottung.
Hong Kong als Vorbild
Der Gastronom – er und seine Frau leiteten einst das Restaurant Regatta am Rotsee – hatte eine eigenwillige Idee, was er mit dem Schiff machen könnte. «Mein Vater hat in Hong Kong das ‹floating restaurant› gesehen und wollte so etwas auch hier in Luzern umsetzen», erzählt Räber Junior.
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Das «Jumbo Kingdom» in der Bucht von Hong Kong bestand aus zwei Restaurants, die als Schiff vereint im Stadtteil Aberdeen vor Anker lagen. Die bunt beleuchtete Sehenswürdigkeit lockte während Jahrzehnten internationale Prominenz an, darunter auch Queen Elizabeth II. und Schauspieler Tom Cruise. 2022 wurde es aus der Bucht gezogen und sollte nach Kambodscha übersiedeln, geriet während der Reise aber in Unwetter, kenterte und versank.
Ein Schiff wird zum Restaurant
Die gewagte Idee eines schwimmenden Restaurants stiess im Luzern der 1970er-Jahre nicht überall auf Gegenliebe. «Mein Vater wurde belächelt», erinnert sich der heutige Kapitän. Trotzdem, das Schiffrestaurant Tell eröffnete am 2. Juni 1972, nachdem die Familie fast 14'000 Arbeitsstunden investiert hatte, um das Schiff in einen Gastronomiebetrieb umzubauen.
Am Aufwändigsten sei die Küche gewesen, die rund ein Drittel der Schiffslänge einnimmt - ein Fakt, den Gäste immer wieder überrascht, wie Räber sagt. Die Kombüse samt Kühl- und Lagerräume befinden sich unter Deck, die Menüs werden über einen Speiseaufzug aufs Gästedeck gebracht. Für die Küche musste denn auch der Dampfkessel weichen. Bis heute erhalten und sichtbar sind hingegen die Dampfmaschine, das Steuerrad und die Schiffsglocke, die 2009 nach rund 40 Jahren Abwesenheit per Zufall in einem Archiv gefunden und zum Schiff zurückgebracht wurde.
Eduard Räber Seniors Wagnis zahlte sich aus. Das als Sommerbetrieb konzipierte Restaurant Tell erfreute sich in Luzern bald grosser Beliebtheit, etablierte sich als fester Bestandteil des Stadtbilds. Bis heute kehren hier immer wieder prominente Gäste ein – sehr zur Freude des Inhabers. Im April 1995 übernahm Räber Junior schliesslich den Betrieb. «Ich habe meinen Eltern schon als Kind über die Schultern geschaut und gesehen, wie viel Freude die Gäste hatten», sagt Räber. «Das hat mich schon als Junge beeindruckt.»
Der gelernte Koch war es denn auch, der das Schiffrestaurant «Tell» zu dem machte, was es heute ist. «Ich wollte das ganze Jahr über offen haben und hier auch Lehrlinge ausbilden können», erklärt er. Veränderungen machte er auch bei der Speisekarte.
Aus der Not zum Fondue
Denn heute ist das Schiffrestaurant besonders für seine Fondues bekannt (zentralplus berichtete). Vor allem das Käsefondue, das vor dem Gast am Tisch zubereitet wird, sei ein Renner, sagt der Kapitän. Dabei stand das Käsegericht ursprünglich gar nicht auf der Karte.
Als Räber Junior nach seiner Übernahme das Restaurant von einem Sommer- auf einen Ganzjahresbetrieb umstellte, musste er sich etwas einfallen lassen, um auch über die Wintermonate Gäste an Bord zu holen. In der Stadt Luzern habe es damals nur wenige Restaurants gegeben, in denen Fondue angeboten wurde. «Fondue ass man früher vor allem Zuhause», meint Räber. Darum setzte er es auf die Karte und liess es als Schauwert direkt am Tisch zubereiten.
Obwohl es mit Hackbraten, Fischspeisen und Suppen auch andere Gerichte auf der Speisekarte gibt, kämen im Winter der Gäste hauptsächlich wegen des Fondue Chinoise und des Käsefondues. Und wegen der nostalgischen Atmosphäre, die das 1908 erbaute Dampfschiff mit seinen roten Teppichböden, Wandleuchten und Holzdecken versprüht.
Nostalgie hat ihren Preis
Hinter der Nostalgie steckt aber auch jede Menge Arbeit. Die «Tell» hat schon mehrere Hochwasser, Regenstürme und Schneegestöber überstanden. Unzerstörbar ist das 1908 gebaute Schiff nicht. Räber muss pro Jahr an die 100'000 Franken für den Unterhalt des Schiffs aufwenden – bezahlt aus eigener Tasche. Ein angestellter Techniker kümmert sich das ganze Jahr um anfallende Reparaturarbeiten. «Irgendwo tropft es immer rein», sagt Räber und lächelt. «Wir müssen dann jeweils herausfinden, ob das Wasser von oben oder unten kommt.»
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Die rund 6000 Laufmeter Holzplanken müssen regelmässig kontrolliert und ersetzt werden, zudem überprüft die Luzerner Tauchgruppe Poseidon regelmässig die Schiffshülle auf Schäden oder Muschelbefall. In der Vergangenheit war das Schiff auch schon mehrfach für mehrwöchige Revisionen im Trockendock der SGV. Zu tun gibt es also immer. «Ein Dampfschiff ist in dieser Hinsicht ein Fass ohne Boden.»
Räber räumt an dieser Stelle gleich mit einem hartnäckigen Mythos auf. «Das Schiff ist nicht am Seegrund einbetoniert, wie viele behaupten.» Es schwimme eigentlich. Nur bei niedrigem Wasserstand liegt der Bug im Sand auf dem Seegrund. Dass man kaum Wellenbewegungen merkt, liege daran, dass die «Tell» an sich schon sehr schwer ist.
Das Schiffrestaurant steuert in eine ungewisse Zukunft
Räbers Crew umfasst an die 25 Mitarbeiter, viele davon sind seit langer Zeit dabei. Teils schon über 20 Jahre. Involviert ist auch Räbers Familie, die Frau im Büro, die Schwester im Service, auch die Mutter sei manchmal noch an Deck anzutreffen. Der Vater, Räber Senior, starb vor einigen Jahren. Über Generationen hinweg geführte Familienbetriebe seien leider ein aussterbendes Modell, ein Dinosaurier, befürchtet Räber. Dennoch hat er das Gastro-Gen auch an den eigenen Nachwuchs weitergegeben. Eine seiner Töchter arbeitet derzeit im «Montana». Forciert habe er diesen Berufsweg nicht. «Entweder man hat Freude daran oder nicht.»
Er selbst liebe die Gastro, schätzt privat aber auch die ruhigen Momente, findet den Ausgleich in der Natur oder der Musik. Oder bei einem gemütlichen Abendessen mit einem guten Glas Wein. «Der Wein ist sehr wichtig», sagt Räber und lacht. Auch wenn er in den letzten Jahren eher aus dem Hintergrund agiert, denkt er nicht ans aufhören.
«Ich bin jetzt 57 Jahre alt. Mit 65 aufhören, werde ich aber nicht», sagt der Gastronom. Trotzdem sei die Nachfolge ein Thema, mit dem er sich in den nächsten zehn Jahren akuter werde befassen müssen. Besonders hinsichtlich des geplanten Durchgangbahnhofs in Luzern. Würde das Projekt nämlich realisiert, so Räber, müsste das Schiff von seinem heutigen Standort, den es nun seit über fünfzig Jahre innehat, weichen.
Wohin das Dampfschiff «Wilhelm Tell» dann steuern würde, ist noch nicht in Stein gemeisselt. Alternative Standorte würden bereits diskutiert. Aber bis dahin bleibt das Schiffrestaurant Tell fix im Luzerner Seebecken – und der hiesigen Gastronomie – verankert. Buchstäblich.