Unesco-Biosphäre Entlebuch (Teil 2)

«Fusionsturbos» sind verstummt

Die Unesco-Biosphäre Entlebuch hat ihren Sitz im Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung in Schüpfheim. (Bild: mbe)

Die Unesco-Biosphäre Entlebuch (UBE) ist innovativ im Tourismus und der Regionalprodukte-Vermarktung (zentral+ berichtete). Wagt sich die UBE aber auf das politische Parkett, geht es regelmässig schief. Alle Fusionsprojekte im Tal, mit Ausnahme von Escholzmatt und Marbach, und ebenso der Mehrzweckverband wurden von den Stimmberechtigten abgeschmettert. Dahinter steckt auch ein Machtkampf von SVP- und CVP-Kreisen.

Gemeinde-Fusionen sind für die Entlebucher offenbar ein Schreckgespenst, sie lieben ihre politische Eigenständigkeit. Eine mögliche Erklärung liefert die Geschichte: 1653 war das Entlebuch ein Zentrum der aufständischen Bauern im Bauernkrieg, nach der Niederlage wurden ihre Freiheitsrechte von der Luzerner Obrigkeit eingeschränkt. Seither wehren sie sich immer wieder gegen von oben verordnete Ideen.

Eine andere Erklärung hat Hans Lipp, Gemeindeammann von Flühli. «Es gibt diejenigen, die alles, was neu ist, das Beste finden. Andere hinterfragen die Sache erst einmal.» Ausserdem höre man ja nicht nur Positives über Fusionen, sagt Lipp, und erwähnt Luzern und Littau. Laut Lipp ist die Zusammenlegung gewachsener Institutionen nicht einmal innerhalb derselben Gemeinde einfach. «Es rumort schon bei uns, wenn Kinder aus unserem Dorfteil Flühli nach Sörenberg in die Schule gehen müssen oder umgekehrt. Als die beiden Feuerwehren zusammen gelegt wurden, war es am Anfang auch schwierig. Da trafen zwei Kulturen aufeinander.» Jeder Dorfteil habe ausserdem seine separaten Vereine für Flühli und Sörenberg und sei stolz darauf.

Das letzte politische Fusionsprojekt scheiterte letztes Jahr: Ende 2013 lehnten die Entlebucher die Bildung des «Mehrzweckverbands Region Entlebuch» an der Urne ab. Unter dem Dach der UBE sollten sämtliche regionalen Aufgaben zusammen geführt und über Leistungsvereinbarungen geregelt werden. Dies sollte über eine Statutenänderung geschehen.
Die Diskussionen vor der Abstimmung waren heftig. Vor allem SVP-Kreise kämpften gegen den Zweckverband und schürten Ängste vor einem Verlust an Mitbestimmung. Ein immer wieder gehörtes Argument war auch, «Fusionsturbos» aus der CVP wollten das Tal langfristig zu einer Einheitsgemeinde fusionieren, um ihre Macht zu vergrössern. Der politischen Führung der UBE wurde laut einem Artikel im «Entlebucher Anzeiger» vorgeworfen, sie habe den Eindruck zu erwecken versucht, nur ein Ja zur Statutenänderung sei ein Ja zur Unesco-Biosphäre.

Auch Gegner in der CVP

Hans Lipp war als CVP-Politiker mit den Gegnern des Zweckverbands in einem Boot. Das wurde nicht unbedingt gerne gesehen in seiner Partei. Lipp findet nichtsdestostrotz: «Das Unesco-Biosphären-Management sollte bei seinen Kernaufgaben bleiben und sich nicht in Gemeindeaufgaben einmischen.»

Kritiker nimmt kein Blatt vor den Mund

Fritz Gerber, SVP-Mitglied, Hofbesitzer, wohnt in Wiggen bei Marbach. Er war vor 13 Jahren skeptisch eingestellt zur Idee der Unesco-Biosphäre. «Wir waren nicht grundsätzlich dagegen, wollten aber immer die Notbremse ziehen können. Der Bürger sollte  etwas zu sagen haben zur Weiterentwicklung der UBE.» Heute findet er die Arbeit der UBE gut. Kritisch sieht Gerber die Bereitschaft der UBE-Leitung, die Mitbestimmung auch tatsächlich zu gewährleisten.

Dann wird er sehr konkret. Gerber nimmt eine Namensliste vom Vorstand des Gemeindeverbands Unesco-Biosphäre Entlebuch zur Hand und erklärt, dieser sei immer stark CVP-dominiert gewesen. «Einige Köpfe dirigieren alles.» Anders denkende Personen, auch aus der CVP, würden nicht gerne gesehen, «das Demokratieverständnis ist nicht sehr ausgeprägt.» Einer dieser Köpfe, so Fritz Gerber, sei CVP-Politiker Pius Kaufmann, der sich als einer von verschiedenen «Fusions-Turbos» für die kommenden Nationalratswahlen profilieren wolle. Nach der Niederlage von 2013 mit dem abgelehnten Zweckverband werde wohl nichts mehr passieren bis zu den Wahlen, prophezeit Gerber.

Gemeinden lieber eigenständig

Seit 2004 diskutieren Projektgruppen planerisch-politische Entwicklungsvarianten des Entlebuchs im Rahmen des Projektes «Vogelschau». Optionen sind der Alleingang, Teilfusionen einzelner Gemeinden oder die Grossfusion zu einer «Talgemeinde». Eine flächendeckende Volksbefragung, wie sie Escholzmatt gefordert hatte, lehnte der Vorstand der UBE 2007 ab. Seither sind alle vorgeschlagenen Fusionsprojekte an der Urne gescheitert. Abgelehnt wurde die Teilfusion «G4» von Entlebuch, Hasle, Schüpfheim und Flühli. Nein sagten die Stimmberechtigen zur Bildung eines Zweckverbands unter dem Dach der UBE. Nur eine kleine Fusion fand bisher Zuspruch: Escholzmatt und Marbach bilden seit 1. Januar 2013 eine Gemeinde.

Tatsächlich fällt auf: Von zehn Vorstandsmitgliedern des Gemeindeverbandes Unesco-Biosphäre Entlebuch, der politischen Leitung der UBE, sind sechs in der CVP. Zwei sind FDP-Mitglieder und einer SVP-Mitglied. Neben sieben Gemeindevertretern gehören dem Vorstand Stefan Felder-Reicher an sowie Carolina Rüegg vom Verein Freunde der Biosphäre Entlebuch. Präsidiert wird der Vorstand von Pius Kaufmann. Kaufmann ist nicht nur Präsident des Gemeindeverbands Unesco-Biosphäre Entlebuch, sondern auch Gemeindeammann der Fusionsgemeinde Escholzmatt-Marbach und politisiert seit 2007 für die CVP im Kantonsrat Luzern.

Kaufmann erstaunt über Kritik

Zum Vorwurf, er habe persönlich Mühe mit Kritik, sagt Pius Kaufmann zentral+: «Ich finde konstruktive Kritik immer gut und habe keine Mühe mit politisch anders denkenden Leuten.» Auf den Vorwurf angesprochen, die Kritiker von UBE-Fusionsprojekten fühlten sich in der Vergangenheit teilweise nicht ernst genommen, räumt Kaufmann Fehler ein: «Wir haben bei der abgelehnten Statutenrevision 2013 unser Lehrgeld bezahlt.» Das gegnerische Referendum wurde durch die Entlebucher Stimmberechtigten angenommen, der geplante Zweckverband abgelehnt. «Ich zolle den Gegnern Respekt für die Sammlung der 1000 Unterschriften.»

Befremdet und erstaunt reagiert Kaufmann auf den Vorwurf, er wolle sich mit den Fusionsprojekten für die Nationalratswahlen profilieren. «Ich habe noch nie gesagt, dass ich kandidiere. Aber es gibt schon Leute, die das erwarten oder denken», sagt Pius Kaufmann. Er weist darauf hin, dass sein im Januar 2013 angetretenes Amt als Gemeindeammann ein fordernder 95-Prozent-Job sei. Auf die Frage, ob er deshalb auf eine Kandidatur verzichtet, antwortet er mit Ja.

Kaufmann zerstreut ausserdem Ängste. Weitere Fusionsprojekte seien nicht geplant, sagt der Präsident des Gemeindeverbands. «Die Strukturdiskussionen müssen die Gemeinden jetzt selber führen. Die Ablehnung des Zweckverbands ist ein Signal des Stimmbürgers, das man ernst nehmen muss.» Die UBE werde sich in nächster Zeit auf ihre Kernaufgabe konzentrieren: Raumplanung, Regionalprodukte, Tourismus.

UBE-Direktor hält sich zurück

Theo Schnider, Direktor der UBE, hält sich lieber raus aus politischen Diskussionen. «Wer mich kennt, weiss, dass ich mich mit Herzblut und Sachverstand für meine tolle Region und die Biosphäre einsetze. Ich erwarte daher auch immer eine konstruktive und sachliche Auseinandersetzung», sagt er. «Mein Pragmatismus wird gestärkt durch die Überzeugung, dass wir uns auch als politischer Gemeindeverband respektive als Biosphärenorganisation unternehmerisch orientieren und verhalten müssen. Ich sage immer, so viel Markt wie möglich – so viel Politik wie nötig.»

Kritik an den Kosten

Eine Kritik lässt UBE-Direktor Theo Schnider aber nicht kalt. Fritz Gerber kritisierte im Gespräch mit zentral+ auch, dass die UBE gewachsen sei, «wie eine Verwaltung». Er findet das jährliche Budget von 2,5 Millionen Franken zu hoch. Eine Kritik, die auch andere Personen im Entlebuch gelegentlich äussern.

Theo Schnider: «Der Umsatz von zirka 2,5 Millionen Franken ist korrekt. Aber man darf nicht nur die Kosten betrachten, sondern auch die Finanzierung.» Die Beiträge der öffentlichen Hand, eingeschlossen die Gemeindebeiträge, Bundes- und Kantonsbeiträge, machten rund 1,1 Millionen Franken aus. «Den grossen Rest von 1,4 Millionen Franken  beschaffen wir vom Management durch Projekte, Dienstleistungen für Dritte, Exkursionen, Kurse, Vermittlungen.» Das heisse,  wenn die UBE einen Partner wie eine Hochschule oder Universität für ein Projekt finde, müsse dieser Partner auch häufig die Finanzierung mitbringen, zum Beispiel durch Forschungsgelder. «Wir bringen unser Wissen in das Projekt ein und suchen Kooperationspartner in der Wirtschaft», sagt Schnider.

Aufwand reduziert

Der Personal- und Sachaufwand habe die UBE trotz kräftigem Ausbau des Engagements im Rahmen der Vorjahre halten, teils sogar reduzieren können. «Das ist eine bemerkenswerte Leistung. Mit den Mitteln der öffentlichen Hand alleine könnten wir viel, viel weniger bewirken.  Wir brauchen immer neue Finanzierungsquellen», schreibt Schnider.

Schnider gibt ferner zu bedenken, dass das Geldbeschaffen ein «Herkulesprojekt» sei. «Man muss heute viel bieten können, um zu einer Kooperation zu kommen. Wir haben uns gerade in den letzten beiden Jahren einen ausgezeichneten Namen geschaffen.» Der UBE-Direktor erwähnt den besten Prüfbericht des Bundes und den Prüfbericht der UNESCO mit dem Prädikat «vorzüglich». «Das hilft uns glücklicherweise etwas, mit potentiellen Projektpartnern überhaupt ins Gespräch zu kommen und gemeinsam Projekte anzuschieben und zu finanzieren.

Fritz Gerber aus Wiggen bei Marbach: «Ich stehe der UBE positiv-kritisch gegenüber».

Fritz Gerber aus Wiggen bei Marbach: «Ich stehe der UBE positiv-kritisch gegenüber».

(Bild: mbe)

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon