Letzter Aufruf zum Verbleib von Natalija Osmajlic

Fünf Jahre wird eine Zugerin vermisst – nun soll sie für verschollen erklärt werden

Wann wird jemand für verschollen erklärt? Wir haben bei der Zuger Polizei nachgefragt. (Bild: zvg Adobe Stock)

Eine Zugerin wurde im Herbst 2014 das letzte Mal im zürcherischen Bauma gesehen. Seither ist sie wie vom Erdboden verschluckt. Trotzdem hat die Polizei nicht sofort reagiert, als sie verschwand. Das hat seine Gründe.

Die Meldung erschien in drei Zürcher Medien im Dezember 2014 als Randnotiz. «30-Jährige vermisst», hiess es im Zürcher Oberländer, eineinhalb Monate, nachdem Natalija Osmajlic verschwunden war. Die Frau war Anfang Oktober desselben Jahres das letzte Mal gesehen worden, als sie das Pflegezentrum Bauma verliess.

Bis heute wird die Frau, die damals am Lauriedhofweg 6a wohnte, vermisst. Dies entnimmt man nun einer Meldung des Zuger Amtsblattes. Sollte sich bis Ende Oktober niemand beim Kantonsgericht Zug melden, soll Natalija Osmajlic nach sechs Jahren für verschollen erklärt werden.

«Lange nachrichtenlose Abwesenheit» als Grund

Gemäss Gesetz kann das Gericht Personen für verschollen erklären, wenn deren Tod höchst wahrscheinlich ist, weil sie «in hoher Todesgefahr verschwunden oder seit langem nachrichtlos abwesend» sind. Wie Polizeisprecher Frank Kleiner präzisiert, könne es dabei um Menschen gehen, die etwa in einen Tsunami oder eine Lawine gerieten.

Ist dies der Fall, kann nach Ablauf von einem Jahr ein Gesuch um eine Verschollenenerklärung gestellt werden.

Der Eintrag, wie er im Zuger Amtsblatt Anfang Mai zu finden war.

Länger ist die Frist, wenn es sich – wie vorliegend – um eine lange nachrichtenlose Abwesenheit handelt. Sprich, eine vermisste Person. In diesem Fall kann ein Gesuch um eine Verschollenerklärung fünf Jahre nach der letzten Nachricht gestellt werden. Dies ist im Fall von Natalija Osmajlic passiert. «Zum Antrag berechtigt ist, wer aus dem Tod der vermissten Person Rechte ableitet», erklärt Frank Kleiner. Also beispielsweise Ehepartner oder Eltern.

Ein letzter Aufruf

Das Gericht fordert dann die Öffentlichkeit auf, innert einer Frist von mindestens einem Jahr Anhaltspunkte über den Verbleib der vermissten Person zu melden. In diesem Fall ist dies mittels Publikation im Amtsblatt passiert. Das erste Mal Ende Oktober 2019, das zweite Mal am 1. Mai dieses Jahres, wie das Kantonsgericht auf Anfrage bestätigt.

Sollte sich bis Ende Oktober die Verschwundene oder jemand melden, der mit ihr in Kontakt steht, wird das Gesuch hinfällig.

Meldet sich jedoch niemand, wird die Verschwundene für verschollen erklärt. Dann können «die aus ihrem Tode abgeleiteten Rechte geltend gemacht werden, wie wenn der Tod bewiesen wäre». Heisst: War die Person beispielsweise verheiratet, wird die Ehe aufgelöst, ein Zugriff auf Bankkonten wird möglich, das Vermögen kann gemäss Kantonsgericht unter strengen Voraussetzungen aufgeteilt werden.

Warum wurden die Medien so spät informiert?

Natalija Osmajlic wird seit 3. Oktober 2014 vermisst. Erst um den 20. Dezember 2014 veröffentlichte die Zürcher Polizei eine Vermisstmeldung. Warum so spät?

«Wenn ein erwachsener Mensch für ein paar Tage nicht zu erreichen ist, kann man nicht einfach nach ihm suchen lassen, das darf die Polizei auch gar nicht», sagt Frank Kleiner auf Anfrage. «Auch wenn etwa eine Frau nach einem Streit mit ihrem Partner ein paar Tage auf Tauchstation geht, wird die Polizei erstmal zum Abwarten raten.»

Auch wenn jemand mit gepackten Koffern abgehauen sei, gebe es keinen Grund, die Verfolgung aufzunehmen, so der Polizeisprecher. Anders sehe es aus, wenn beispielsweise eine sonst sehr zuverlässige Mutter nach der Arbeit nicht nach Hause komme.

Bei Suizidverdacht reagiert die Polizei sofort

Bestehe der Verdacht auf ein Verbrechen oder einen Unfall, ist eine sofortige Vermisstenanzeige immer gerechtfertigt. Auch bei möglichen Suizidabsichten sollte man die Polizei schnell einschalten. Bei Depressionen, Demenz oder anderen psychischen Krankheiten beginnt die Polizei grundsätzlich sofort mit der Fahndung.

Das gleiche gelte auch bei Menschen, die auf lebenswichtige Medikamente angewiesen seien sowie bei Kleinkindern. Sofern die Polizei keine anderen Erkenntnisse habe, gehe sie in diesen Fällen automatisch von einer Gefahr für Leib und Leben aus, erklärt Kleiner.

Wer abtauchen will, darf das tun

In Vermisstenfällen von gesunden Erwachsenen werden die Angehörigen zwar darüber informiert, wenn diese wieder auftauchen und wohlauf sind. «Sie haben aber nicht das Recht, zu erfahren, wo sich die vermisste Person befindet, denn ihr Aufenthaltsort darf die Polizei nur mit deren Einverständnis an Dritte weiterleiten», sagt Kleiner. «Womöglich möchte die vermisste Person ja gerne unauffindbar bleiben.»

Anders sieht es aus, wenn eine strafbare Handlung der Grund für das Verschwinden ist. «In diesem Fall gilt die Person nicht mehr als vermisste, sondern als beschuldigte flüchtige Person, welche wie üblich in den Fahndungssystemen zur Verhaftung ausgeschrieben werden kann», so Kleiner.

Osmajlics Lebensmittelpunkt war in Zürich

Osmajlic hatte ihren Wohnsitz in Zug. Trotzdem erschien die Vermisstmeldung nur in wenigen Zürcher Medien. Kleiner erklärt: «Zu diesem Zeitpunkt war die Kantonspolizei Zürich für die vermisste Person zuständig. Die genannte Person war zwar im Kanton Zug gemeldet, hatte ihren Lebensmittelpunkt jedoch im Kanton Zürich.»

Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse sei später auch die Zuger Polizei in diesem Vermisstenfall aktiv geworden und habe sie im Fahndungssystem ausgeschrieben.«Auf eine nochmalige Publikation in den Medien wurde aber aufgrund der Umstände verzichtet», so Frank Kleiner.

Wie der Polizeisprecher abschliessend bestätigt, ist es durchaus möglich, dass Natalija Osmajlic noch am Leben sei. «Ansonsten würde sie für tot erklärt.»

Wie beim Kantonsgericht zu erfahren ist, sind in Zug in den letzten 20 Jahren vier Menschen als verschollen erklärt worden.

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