Sprunghafter Anstieg 2021

Immer mehr Hundebisse in Zug: die Gründe

In Zug und Luzern wurden im vergangenen Jahr mehr Hundebisse registriert als im Vorjahr. (Bild: zvg Unsplash/bearbeitet)

Die Zahl der «Vorfälle mit Hunden» stieg in Zug 2021 sprunghaft an. Das mag zunächst nicht überraschen. Denn viele haben sich während Corona einen Hund zugelegt. Führen mehr Hunde zu mehr Hundebissen? Ganz so einfach ist die Rechnung nicht.

Schweizerinnen mögen Hunde. Das hat sich spätestens 2020 gezeigt, als sich viele entschieden, es sei nun Zeit für den eigenen Hund. Die Zahlen dazu sind überdeutlich: Mehr als drei Mal so viele Menschen kauften sich 2021 einen Hund (18'181) als noch im Jahr 2019 (5'554).

Dieselbe Tendenz ist im Kanton Luzern zu beobachten. Gemäss dem Stand vom 1. Januar 2022 leben knapp 1'548 Hunde mehr im Kanton als noch Ende 2019 (plus 7,9 Prozent). Im Kanton Zug hat die Zahl der Hunde allein zwischen Anfang 2020 und Ende 2021 um 621 zugenommen. Das sind 12,7 Prozent mehr Hunde innerhalb von zwei Jahren (2020: 4'979; 2021: 5'610).

Wo es viele Hunde hat, da findet man auch eine Menge Freude, könnte man meinen. Die Statistiken deuten aber in eine andere Richtung. Denn die Anzahl der Beissvorfälle hat in den beiden Kantonen ebenfalls zugenommen.

Nicht alle Vorfälle werden gemeldet

Um das zu erklären, braucht es jedoch einen kurzen Exkurs. Denn nicht alle Vorfälle mit Hunden werden den Behörden gemeldet. Das Bundesamt für Veterinärwesen sagt auf Anfrage, dass die Kantone den Auftrag hätten, Informationen zu Vorfällen mit Hunden zu sammeln. Eine Meldepflicht bestehe dann, wenn ein Hund Menschen oder Tiere erheblich verletzt habe oder ein übermässiges Aggressionsverhalten zeige.

Wenn ein aggressiver Dackel halbherzig nach einem Labrador schnappt und dieser mit einem blauen Flecken davonkommt, wird der Dackel vermutlich nicht gemeldet. Auch nicht, wenn der Dackel eine Tendenz hat, nach Menschen zu schnappen, diese aber nie wirklich erwischt. Bis also eine Meldung bei den Kantonen ankommt, braucht es schon mehr ... nun, mehr Biss.

Was einen Hund gefährlich macht

Martin Rohdewald ist Tierarzt in Oberwil bei Zug. Er hat vor fast zwei Jahrzehnten eine Spezialausbildung zur Beurteilung von gefährlichen Hunden gemacht. Er erklärt gegenüber zentralplus: «Es gibt dabei eine Formel, die es, kurz zusammengefasst, zu beachten gibt. Zwei Parameter sind dabei wichtig. Einerseits, ist es wichtig zu wissen, wie ein Hund beisst. Hinterlässt er dabei eine kleine Schürfung? Oder beisst er zu und macht das Maul dann nicht mehr auf?»

Anderseits, so der Tierarzt, komme es auf die Grösse des Hundes an. «Wenn ein Rottweiler eine starke Bissintensität aufweist und nur einmal zupackt, dann ist er als brandgefährlich einzustufen. Dann muss das Veterinäramt einschreiten und erlegt dem Tier vermutlich eine Maulkorb- und Leinenpflicht.» Anders sei es, wenn ein sehr kleiner Hund zuschnappe, da dann in der Regel deutlich weniger gefährliche Verletzungen entstünden.

Rohdewald macht selber heute keine Beurteilungen gefährlicher Hunde mehr. «Das übernimmt ein Kollege aus Luzern. So kann sichergestellt werden, dass der Ablauf neutral verläuft.»

Kaum mehr Hundebisse im Kanton Luzern

Der Luzerner Kantonstierarzt, Martin Brügger, erklärt auf Anfrage: «Die Zahlen der Hundebissmeldungen sind Schwankungen unterworfen. 2016/17 waren sie vergleichbar hoch, zwischenzeitlich gingen sie etwas zurück. Der Hundebestand im Kanton Luzern ist seit 2018 um circa 10 Prozent gestiegen, die Hundebissmeldungen haben im gleichen Zeitraum etwa in der gleichen Grössenordnung zugenommen.»

Im letzten Jahr seien im Kanton Luzern 321 Beissvorfälle gemeldet worden. Dies entspricht ungefähr dem Wert von 2016. Tatsächlich lassen die Zahlen aus Luzern aus den letzten sechs Jahren keine grossen Auffälligkeiten erkennen.

136 Mal bissen Hunde im Kanton Zug 2021 zu

Im Kanton Zug sieht die Situation etwas anders aus. 2016 gab es total 100 Vorfälle mit Hunden. In den darauffolgenden Jahren blieb die Anzahl Hundebisse noch relativ konstant: Es wurden jährlich zwischen 104 und 109 Bisse gemeldet. 2021 hingegen schlägt die Statistik deutlich nach oben aus. 136 Vorfälle wurden im letzten Jahr gemeldet. Darunter waren 66 Fälle, bei denen Erwachsene verletzt wurden und 54 Fälle, in denen andere Hunde gebissen wurden.

Im Jahr 2021 waren bei Vorfällen sechs sogenannt «auffällige Hunde» involviert. Zwei waren es im Jahr davor, fünf im Jahr 2019. Eine Statistik, welche Hunderassen für die meisten Bisse verantwortlich sind, wird indes weder im Kanton Luzern noch im Kanton Zug geführt.

Es zeigt sich aber, dass die Zwischenfälle mit Hunden im Kanton Zug seit 2019 um 28,3 Prozent angestiegen sind. Und damit deutlich überproportional zur Zunahme der Hundepopulation.

Was passiert nach einem gemeldeten Hundebiss?

Der stellvertretende Zuger Kantonstierarzt, Kai Caspari, erklärt, dass Ärzte und Tierärzte verpflichtet sind, Beissvorfälle dem Veterinärdienst zu melden. Er führt aus: «Sie sind zu dieser Meldung gemäss Tierschutzverordnung Art. 78 verpflichtet. Auf dieser Meldung baut das weitere Vorgehen unsererseits auf.»

Der Veterinärdienst beurteile jeden Vorfall individuell und leite allfällige Massnahmen ein. «Die Massnahmen beinhalten etwa eine Verwarnung, die Verpflichtung, entsprechende Erziehungskurse mit dem Hund zu besuchen, oder eine Leinen- und Maulkorbpflicht», so Caspari.

In Zug werden deutlich weniger Hunde eingeschläfert

Seit 2018 habe gerade mal ein Hund im Kanton Zug euthanasiert, also eingeschläfert werden müssen. Im Kanton Luzern waren es hingegen deutlich mehr. Allein im Jahr 2021 wurden 16 Hunde im Zusammenhang mit Beissvorfällen euthanasiert. Die Zahl bewegt sich im Rahmen jener der Vorjahre.

Die Zahlen sind bemerkenswert: Denn in Luzern gibt es rund vier Mal mehr Hunde als in Zug. Das allein erklärt die markant höhere Zahl der Euthanasierungen jedoch noch nicht. Offenbar scheint man im Kanton Luzern wesentlich weniger zurückhaltend zu sein, als gefährlich eingestufte Hunde einzuschläfern.

Diese «Ultima Ratio» ist dort explizit im kantonalen Hundegesetz verankert. Sie tritt dann in Kraft, wenn «eine tierärztliche Behandlung oder sonstige Massnahmen keinen Erfolg versprechen oder wenn der Halter oder die Halterin eine angeordnete Behandlung oder sonstige Massnahmen nicht befolgt.» Der Kanton Zug kennt kein vergleichbares Hundegesetz (zentralplus berichtete).

21 Prozent mehr Hunde im Kanton Zug seit 2017

Es ist möglich, dass die starke Zunahme der Anzahl Hunde seit 2017 im Jahr 2021 zu vermehrten Vorfällen geführt hat. Immerhin leben im Kanton Zug heute 21 Prozent mehr Hunde als noch Ende 2017. Je mehr Hunde in derselben Region leben, desto eher kann es zu Reibungen kommen.

Ein weiterer Aspekt darf allerdings nicht vernachlässigt werden: Im Herbst 2016 hat der Nationalrat beschlossen, das Obligatorium für den Erwerb eines Sachkundenachweises für Hundehalterinnen aufzuheben.

Für das Eidgenössische Veterinäramt wäre ein solches Obligatorium allerdings weiterhin wünschenswert: «Angesichts der grossen Zahl von Hundekäufen über das Internet wäre es wünschenswert, wenn Besitzer eines ersten Hundes verpflichtet wären, vor dessen Kauf einen Theoriekurs zu absolvieren.» Es sei bedauerlich, führt die Vertretung des Veterinäramts aus, dass die obligatorische Teilnahme an den Kursen wegfalle. Damit sei eine wichtige Hürde für den unüberlegten Kauf von Hunden weggefallen.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit dem eidgenössischen Veterinäramt
  • E-Mail-Austausch mit dem stellvertretenden Zuger Kantonstierarzt
  • Schriftlicher Austausch mit dem Luzerner Kantonstierarzt
  • Entwicklung Hunde in der Schweiz, Identitas
  • Statistiken der Veterinärämter der Kantone Zug und Luzern
  • Kantonales Hundegesetz Luzern
  • Artikel «Zuger Zeitung» zu Hundeangriff
  • Artikel «Beobachter» zu vermehrten Hundeangriffen seit Corona
  • «Tier im Recht» zur Gesetzeslage in Luzern
  • Telefongespräch mit Martin Rohdewald
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2 Kommentare
  • Profilfoto von Hampi R.
    Hampi R., 27.05.2022, 11:20 Uhr

    Wir leben seit 4 Jahren auf Madeira und hier beissen die Hunde nicht … vielleicht sind die Besitzer einfach viel ruhiger, gehen das Leben nicht so stressreich an! Sicherlich überträgt sich dieses Verhalten auch auf die Tiere! Hier laufen die Tiere frei herum und spielen miteinander … sogar mit kleinen Kindern!

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    • Profilfoto von Tell
      Tell, 27.05.2022, 16:14 Uhr

      So ist es. Hierzulande sind immer mehr Hundehaltende dermassen verkrampft, sodass sie sogar begonnen haben,
      untereinander aufeinander losgehen. Zum Beispiel wenn ein größerer Hund einen kleineren Hund anbellt.

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