Die geheime Türe im vierten Stock

Wo der Samichlaus wirklich wohnt

Ein Samichlaus – aber nicht der wahre – eröffnete am Donnerstag die Adventszeit in der Stadt Luzern. (Bild: Emmanuel Ammon / Aura)

Zum Samichlaus hatte unsere Autorin immer eine besondere Beziehung. Sie hat schon mit fünf Jahren herausgefunden, dass er keineswegs im Wald lebt. Sondern an der Winkelriedstrasse in Luzern – und zwar im vierten Stock.

Es gibt nur einen wahren Samichlaus. Er ist sehr gross, hat ein schmales Gesicht und eine schöne Stimme. Alle anderen sind nur verkleidet.

Ich weiss genau, wo er wohnt. Im Pfarreiheim Barfüesser an der Winkelriedstrasse 5 in Luzern. Im vierten Stock, in dem Zimmer ganz hinten am Gang, um genau zu sein. Da habe ich ihn als Fünfjährige immer rauskommen sehen, bevor er uns besuchen kam.

Wir wohnten damals einen Stock darüber. Wenn es im Treppenhaus zu klingeln begann, dann wusste ich: Bald wird er kommen.

Er nahm uns so, wie wir waren

Einmal, da hatte der echte Samichlaus keine Zeit. Da haben meine Eltern den Jugendarbeiter der Pfarrei gebeten, für ihn einzuspringen. Aber mich konnte man nicht täuschen! Das laute Lachen. Da habe ich sofort erkannt, dass man mir hier einen Bären aufbinden will. «Ja, das ist Claudio!», flüsterte mir mein Bruder bestätigend zu. Im Jahr darauf musste wieder der Richtige ran, da liess ich nicht mit mir reden.

Ein Samichlaus zieht durch die Pfistergasse – auch er ist nur verkleidet.
Ein Samichlaus zieht durch die Pfistergasse – auch er ist nur verkleidet. (Bild: Emanuel Ammon / Aura)

Der Samichlaus war lieb. Er brachte uns die langersehnten Mandarinli, die es bei uns immer erst ab dem 6. Dezember zu essen gab. Schimpfen tat er nie. Er fragte auch nicht, ob wir brav gewesen seien. Er nahm uns so, wie wir waren. Und vielleicht habe ich ihn drum so gern gehabt.

Sie jagten uns durchs Quartier und schlugen mit den Ruten zu

Denn es gab da noch die andere Seite. Das Herzklopfen im Lift in der ersten Adventswoche. Das ist meine unangenehmste Erinnerung. Einsteigen und inständig hoffen: Bitte fährt er ganz hoch, ohne dass jemand zusteigen will. Vor allem nicht im vierten Stock. Schon von ganz unten hatte ich sie grölen gehört: Die gefühlt Hunderten von Schmutzlis mit ihren Ruten, die sich vor der «Samichlaus-Wohnung» darauf vorbereiteten, mit ihm durchs Quartier zu ziehen.

Sie machten sich einen Spass daraus, uns zu erschrecken. Sie jagten uns und schlugen mit den Ruten zu, wenn sie uns erwischten. Ich wurde immer von ihnen eingeholt. Noch heute habe ich Ressentiments gegen die «Pfädeler», die damals in den Kostümen steckten.

Körbe mit Geschenken für die Kinder

Zu uns nach Hause kamen sie nie. Ich dachte damals, dass der Samichlaus uns vor ihnen beschützt. Tatsächlich konnten wohl meine Eltern mit diesem Teil der Tradition wenig anfangen.

Als ich gross war – also acht Jahre alt – bin ich dem Geheimnis dann auf die Spur gekommen. Als Ministrantin durfte auch ich den Samichlaus begleiten. Natürlich nicht als Schmutzli. Ich und meine Freundin trugen die Körbe mit den Geschenken für die Kinder. Stolzer als ich konnte man auf diese Aufgabe nicht sein.

Der Samichlaus hat ein Pseudonym: Herr Meyer

Damals erfuhr ich, dass der wahre Samichlaus unter dem Jahr inkognito lebt und sich «Herr Meyer» nennt. Ich machte im Kopf immer diese Anführungsstriche, wenn ich ihm begegnete. Für mich und meine Geschwister war er der Samichlaus – auch wenn wir ihm mal im Frühling ohne Bart beim Suppenzmittag trafen.

Ihn zu begleiten, war schön. Ehrfürchtig sass ich neben ihm, während er mit den Kindern sprach, die wir besuchten. Alle bekamen etwas geschenkt. Manche mehr als andere.

Der wahre Samichlaus, der sich unter dem Jahr «Herr Meyer» nannte.
Das ist der wahre Samichlaus, der sich unter dem Jahr «Herr Meyer» nannte. (Bild: Privat)

Ob reich oder arm: Der Samichlaus kommt zu allen

Einmal waren wir in der Stube einer Familie, die mit einem Juweliergeschäft viel Geld gemacht hatte. Ein Bub und ein Mädchen waren da. Die Körbe auf unseren Rücken wurden schwer beladen, bevor wir in die Wohnung traten. Päckchen um Päckchen wurde ausgepackt. Es war wie Weihnachten – nur drei Wochen zu früh.

Am liebsten hätte ich einen Teil der Geschenke wieder mitgenommen und der nächsten Familie gebracht. Es gab mir schwer zu denken, dass die einen Kinder so viel haben und die anderen fast nichts. Das tut es heute noch.

Aber: Dem Samichlaus, dem geht es nicht um die Geschenke, wie «Herr Meyer» mir erklärte. «Alle Kinder haben Freude, wenn wir kommen», sagte er. Und es stimmt: Auch wenn nur ein paar Nüssli, Mandarinli und Schoggi im Korb lagen, so waren sie doch glücklich, wenn sie dem Samichlaus ein Versli aufsagen konnten.

Sie wurden dafür gelobt, auch wenn sie sich verhaspelten oder den Text vergassen. Der richtige Samichlaus, der nimmt die Kinder eben so, wie sie sind. Und darum ist «Herr Meyer» bis heute ein Vorbild für mich.

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