Wieso das bargeldlose Stadtfest eine Kontroverse auslöst
Team Bargeld oder Team Cashless? Das Luzerner Stadtfest will ein bargeldloses Fest veranstalten – und erntet dafür viel Kritik. Dabei ist es längst nicht der einzige Grossanlass, der Kleingeld vom Gelände verbannt.
Vor dem Getränkestand das Portemonnaie aus der verschwitzten Hose klauben und den Fünfliber herausfischen: Das scheint bald passé. So hat das Luzerner Stadtfest geplant, während dem 24. und 25. Juni nur bargeldlose Bezahlmöglichkeiten zu akzeptieren.
Dafür haben die Veranstalter jedoch viel Kritik geerntet (zentralplus berichtete). Inzwischen geht das Stadtfest punkto Bezahlsystem über die Bücher – am 11. Mai soll eine Entscheidung vorliegen (zentralplus berichtete).
Zeichen der Zeit oder Ausgrenzung?
Doch wieso schlägt dieser Entscheid so hohe Wellen? Ein Grund ist, weil bei einem rein bargeldlosen Fest zweifellos einige Menschen ausgeschlossen werden. So beispielsweise ältere Luzernerinnen, wie Angelica Ferroni von «Luzern60plus» erklärt. Oder auch Menschen mit einer Beeinträchtigung, wie Michael Ledergerber, Präsident von Procap Zentralschweiz, sagt. Procap setzt sich für die Anliegen von Menschen mit Behinderungen ein.
«Gerade nach Corona gehen viele davon aus, dass alle digital bezahlen. Aber damit gehen unweigerlich Personen vergessen.»
Michael Ledergerber, Präsident Procap Zentralschweiz
Zwar seien digitale Bezahlmöglichkeiten nicht per se ein Problem für Menschen mit Beeinträchtigungen. So bezahlt beispielsweise die Mehrheit ihrer rund 1800 Mitglieder Kursgebühren per Twint oder mit Karte. Aber es kann doch zum Problem werden. So gäbe es beispielsweise Menschen mit kognitiver Behinderung, die kein Handy bedienen können. Oder wegen eines eingesetzten Beistands kein eigenes Bankkonto und damit keine eigene Debitkarte haben. «Gerade nach Corona gehen viele davon aus, dass alle digital bezahlen. Aber damit gehen unweigerlich Personen vergessen.»
Für den SP-Kantonsrat ist darum klar: «Solange es einen Teil gibt, der nicht mitkommt, braucht es auch eine Möglichkeit, diese Leute zu inkludieren.». Umso mehr begrüsse er deshalb den Entscheid des Stadtfestes, das Bezahlsystem zu überdenken.
Er schlägt die Möglichkeit einer Stadtfest-Karte vor, die man auch mit Bargeld vor Ort aufladen kann. Oder dass in kleinem Rahmen Bargeld akzeptiert wird. Die gleiche Idee hatte auch ein zentralplus-Leser, der die Nutzung von Transpondern vorschlägt.
Bargeldlose Festivals sind nicht neu
Das Stadtfest ist allerdings bei weitem nicht die einzige Veranstaltung, die auf bargeldloses Bezahlen setzt. So bleiben beispielsweise am Openair St. Gallen oder Frauenfeld schon seit längerem die Scheine zuhause. Auch in Luzern selbst gibt es Anlässe, die bereits vor dem Stadtfest bargeldlos waren. So zum Beispiel «Rudolfs Weihnacht» oder das B-Sides Festival auf dem Sonnenberg.
Bei letzterem setzt man auf eine Festival-Karte, die ans eigene Ticket gebunden ist. Diese kann vorab per Kreditkarte oder Twint, während des Festivals auch per Debitkarte und mit Bargeld, aufgeladen werden (zentralplus berichtete). Bleibt am Ende des Festivals noch Guthaben übrig, kann es gespendet oder rückvergütet werden.
Wie das B-Sides System funktioniert, siehst du im Video:
Für dieses System zieht das B-Sides-Festival ein sehr positives Fazit. Für Besucher, Helferinnen und uns Organisatoren habe die Umstellung viel Positives gehabt, hält Mediensprecher Dominik Unternährer auf Anfrage fest. Sie hätten deshalb auch «fast ausschliesslich» positive Rückmeldungen erhalten. Auch das System habe einwandfrei funktioniert. Negative Rückmeldungen dazu hat es nur vereinzelt gegeben.
Wieso gerät das Luzerner Stadtfest so in die Kritik?
Besonders letzterer Punkt lässt aufhorchen. Vor drei Jahren hat es beim B-Sides nur vereinzelt Kritik gegeben – der Stadtfest-Entscheid löst hingegen eine Welle der Empörung aus. Wo liegt der Unterschied?
Ein möglicher Grund könnte das Zielpublikum der beiden Anlässe sein. Während das B-Sides Festival ein eher jüngeres Publikum anspricht, möchte das Stadtfest Luzern explizit ein Fest für alle Luzernerinnen sein. Entsprechend wird der Bargeldlos-Entscheid kritisiert, wenn deswegen eine Gruppe von Luzernern ausgeschlossen werden.
- Find ich gut. Ich bin sowieso nur noch mit Twint und Kreditkarte unterwegs.
- Geht gar nicht! Damit werden viele Personen ausgeschlossen.
- Ich verstehe nicht, wieso man nicht beides anbieten kann.
Ein anderer Grund ist die politische Komponente, die mitspielt. Im August 2021 hat die Freiheitliche Bewegung Schweiz, die sich unter anderem gegen eine Impfpflicht engagiert, die «Bargeld ist Freiheit»-Initiative lanciert. Ihr Ziel ist es, die Bereitstellung von Bargeld in der Bundesverfassung zu verankern. Die Initianten nennen Anonymität, Sicherheit und Tradition als Gründe. Folglich verurteilen sie und ähnlich denkende Gruppierungen wie «Mass-voll» das Stadtfest und rufen zu Boykotts und Demonstrationen auf.
Einer ihrer Kritikpunkte: die Akzeptanz von Bargeld als Zahlungsmittel ist gesetzlich verankert. Im Bundesgesetz über Währung und Zahlungsmittel steht, dass Schweizer Banknoten unbeschränkt als Zahlungsmittel akzeptiert werden müssen.
Aber dies gilt nicht in jedem Fall. Wie der Bundesrat auf eine Interpellation der Luzerner SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo erklärt, handelt es sich dabei um ein «dispositives Recht»: Per Vertrag kann also von dieser gesetzlichen Regel abgewichen werden. «So kann zum Beispiel mittels AGB eine Barzahlung mit Münzen oder Banknoten ausgeschlossen werden», schreibt der Bundesrat.
- Telefonat mit Michael Ledergerber, Präsident von Procap Zentralschweiz
- Schriftlicher Austausch mit Dominik Unternährer, Mediensprecher des B-Sides Festivals
- Publikation der Bundeskanzlei zur Volksinitiative «Bargeld ist Freiheit»
- Bundesgesetz über Währung und Zahlungsmittel
- Interpellation von Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo