Der Luzerner Verein für historische Kampfkunst trifft sich zweimal die Woche in der Turnhalle der Kanti Musegg, um mit Langschwertern zu fechten. zentralplus hat eines der Trainings besucht und erfahren, was hinter dem besonderen Hobby steckt.
«Wir hauen uns gerne gegenseitig mit Schwertern.» So kurz und knapp beschreibt sich der Luzerner Verein für historische Kampfkunst auf seiner eigenen Website. Zweimal die Woche am Mittwochabend und Samstagvormittag trifft sich ein Teil der 20 bis 30 Mitglieder in der Turnhalle der Kanti Musegg.
Sie trainieren «Hema», was für «historical european martial arts» steht. Zu deutsch: historische europäische Kampfkunst, oder in diesem Fall: Fechten mit Langschwertern. zentralplus hat eines der Trainings besucht, um herauszufinden, was hinter der speziellen Freizeitbeschäftigung steckt.
Balance zwischen Kraft und Lockerheit
Das zweistündige Training beginnt mit ein paar kurzen Aufwärmübungen. Diese sind nötig, will man sich als Anfänger nicht verletzen oder später mit Muskelkater in Armen und Schultern herumschlagen. Danach geht es direkt weiter mit dem stumpfen, etwa eineinhalb Kilogramm schweren Stahlschwert in beiden Händen. Die ersten Trockenübungen dienen dazu, das Gefühl für die Basics zu verinnerlichen – stabiler Stand in den Füssen, robuster Griff in den Händen und solide Position im Körper.
«Wir müssen uns auf Wissen verlassen, das nicht aus dem europäischen Raum kommt, um die europäischen Kampfkünste wieder aufleben zu lassen.»
Lukas Hebeisen
Das Ziel beim Kampf mit dem Langschwert ist, nicht zu viel Kraft aufzuwenden bei den Hieben. Sondern locker zu bleiben und mit Hebelwirkungen zu arbeiten. Dabei gilt es, die Gewichtsverlagerung zu beachten, die Winkel zu lernen und die richtige Mischung aus Kraft und Geschwindigkeit zu finden.
«Hier haben sich Interessierte aus verschiedenen Kampfsportarten zusammengefunden», erzählt Instruktor Lukas Hebeisen. Er begann als Jugendlicher mit olympischem Fechten und kam später zu Kendo, dem japanischen Schwertkampf. Die anderen Gründungsmitglieder lernten Escrima, eine indonesische Messerkampfkunst.
Fremdländisches Wissen für einheimische Kampfkunst
Grundlagen aus einer anderen Kampfkunst seien bei Hema von Vorteil, sagt Lukas Hebeisen. Aber lernen könne es jede. «Das Wichtigste ist, dranzubleiben.» Für den historischen Schwertkampf in Europa gibt es keine mündlichen Überlieferungen mehr, da das Kämpfen mit Langschwertern hier längere Zeit ausgestorben war.
Entsprechend ist Hema eine sehr junge Sportart, erst etwas über 30 Jahre alt. Interessierte müssen sich ihr Fachwissen aus alten Manuskripten in Altdeutsch, Latein oder anderen Fremdsprachen aneignen. «Es gibt noch keine Grossmeister, die den Sport perfektioniert haben», so Hebeisen.
In der jungen Szene müsse noch vieles ausprobiert werden. Darum sei auch Know-how aus anderen Sportarten wichtig, wo Dinge bereits erprobt sind, wie beispielsweise Wrestling, Boxen oder Judo. Besonders Kendo habe ihm wertvolle Details beigebracht und aufgezeigt, wie man diese kontinuierlich überprüft und verbessert.
«Die japanische Schule gibt sehr detaillierte Instruktionen – genau das, was uns hier fehlt», sagt Hebeisen. «Wir müssen uns auf Wissen verlassen, das nicht aus dem europäischen Raum kommt, um die europäischen Kampfkünste wieder aufleben zu lassen.»
Eine Zecke zum Kopf mit dem Twerhau
Für Hema gebe es sehr grobe Instruktionen aus hunderte Jahre alten Skripten. «Damit können wir nur erraten, in welche Richtung es geht», erklärt Hebeisen. Als Beispiel zitiert er eine Schrift aus dem 15. Jahrhundert: «Häw nahent waß du wilt kain wechßler kompt in dinen schilt zu kopff zu lÿbe die recke nitt ver mÿde mitt ganczem leÿbe fechten waß du starck gerest trÿben.»
Daraus versuchen Hema-Kämpfer, Instruktionen zu interpretieren. In diesem Fall gehe es darum, auf die Abwehr zu achten und den ganzen Körper beim Fechten einzusetzen. «Es gibt sehr breit interpretierbare Textstellen», sagt Hebeisen, «manche sind wesentlich konkreter.» Dank einer aktiven Online-Community, die viel Übersetzungsarbeit leistet, würden Einblicke in alte Quellen erleichtert. «Aber danach ist es immer noch sehr viel Arbeit, das zu verstehen und diese Texte in sinnvolle Bewegungsabläufe zu bringen», sagt Hebeisen.
Durch die alten Texte wirkt auch die Fachsprache altertümlich. So wird beispielsweise bei der Schlagtechnik von «Hau» gesprochen, wie dem Zornhau oder Twerhau – Hiebe von oben oder der Seite.
Während bei anderen Schwertkampfkünsten in der Regel mit Holzschwertern trainiert wird, üben die Hema-Fechter mit echtem Metall. «Wir haben mit Plastik angefangen», sagt Hebeisen, «aber ich habe damit aufgehört, weil man ein falsches Gefühl für das Gewicht erhält.» Plastikschwerter seien recht klobig und täten mit der richtigen Technik nicht weniger weh als Stahl. Die eigene Geschwindigkeit und Beweglichkeit sowie das Timing machten den Effekt des Hiebes aus.
Der heilige Gral der Fechtkunst
Beim Langschwert-Fechten gebe es wenig Verletzungen, erzählt Lukas Hebeisen. «Regelmässige blaue Flecken gehören zwar quasi zum guten Ton.» Schwer seien die Verletzungen aber fast nie. «Es ist ein sehr kontrollierter Sport. Im Vergleich zu Fussballern haben wir weniger unerwartete Bewegungen.»
Höchstens wenn die Ausrüstung mal an ihre Grenzen komme, könne es einen schwarzen Fingernagel geben. «Die Handschuhe sind der heilige Gral der Fechtkunst», witzelt ein anwesender Trainingskollege. «Es ist fast unmöglich, einen Handschuh zu finden, der genug Mobilität bietet und trotzdem genug Sicherheit.»
Nach den Trockenübungen geht es beim Hema-Training richtig los. Die Mitglieder montieren ihre Rüstung. Die Schläge beim Langschwert-Fechten werden zur Kehle des Gegners gerichtet. Dabei geht es fiktiv um Leben und Tod.
Entsprechend besteht die Ausrüstung aus verschiedenen Komponenten wie einer Maske, einem Halsschutz und schlagfesten Handschuhen. Dazu kommen eine stichfeste Jacke und Hose sowie Knie-, Schienbein- und Tiefschutz. Insgesamt kostet die komplette Rüstung inklusive Schwert fast 1'400 Franken. «Die Ausrüstung für Hema gibt es seit rund zehn Jahren in der Qualität, wie man sie heute bekommt», erzählt Hebeisen. Davor hätten sich die Leute mit selbstgebauten Rüstungen, Eishockey- oder Motorrad-Bekleidungen geschützt.
Hema-Fechten ist kein Schaukampf
Im Gegensatz zu Schaukämpfen auf Mittelaltermärkten, wo die Kämpfer sich gegenseitig anzeigen, wie sie als Nächstes attackieren, ist die Technik beim Hema-Fechten darauf ausgelegt, den Gegner unerwartet anzugreifen.
Noch gibt es beim historischen Schwertkampf keine Unterscheidungen der Fähigkeitsstufen, wie dies zum Beispiel beim Karate mit den verschiedenfarbigen Gurten der Fall ist. Auch gebe es noch keine offiziellen Meisterschaften, obwohl hin und wieder Wettkämpfe veranstaltet werden und Turniere, um sich zu messen. «Wir sind recht kollegial unterwegs und schauen, dass wir die kleine Szene so gut wie möglich beleben», sagt Hebeisen, der mit dem Luzerner Verein auch Teil des schweizerischen Verbands Swiss Hema aktiv ist.
Gegen Ende des Trainings gibt es ein freundschaftliches Sparring, bei dem die Kämpfer nochmals all ihre Fertigkeiten austesten. Die ganze Turnhalle schallt gehörig, während die Schwerter aufeinanderprallen. «Es gibt Turnierregeln, die sich langsam herauskristallisieren», erklärt Lukas Hebeisen. Die Sportart entwickle sich ständig weiter. Eines der grössten Turniere, das «Swordfish», finde jeweils in Schweden statt und bilde langsam einen allgemeinen Turnierregel-Standard. Bis dieser aber endgültig erreicht sei, sagt Hebeisen, «wird es wohl noch ein paar Jahrzehnte dauern».
- Mitmach-Besuch beim Schwertkampf-Samstagstraining
- Persönliches Interview mit Lukas Hebeisen
- Website des Vereins