«Rüüdig Samschtig»: ein «ganz verreckter» Tag in Luzern
Was haben Ottifanten, Miss Piggys und wandelnde Schachbretter gemeinsam? Genau, nichts! Ganz anders sieht die fasnächtliche Chose am «Rüüdig Samschtig» an der «Lozärner Fasnacht» aus. Da scheint nämlich (fast) alles erlaubt. zentralplus mischte sich unters Volk und gab sich dem närrischen Treiben hin – ein Stimmungsbericht.
Meine Runde durch den «Rüüdig Samschtig» starte ich standesgemäss in der neuen Fasnachtsheimat des Lozärner Fasnachtskomitees (LFK) im Jesuitenhof, dem Innenhof des Regierungsgebäudes. Die LFK-Beiz ist bereits um den Mittag herum besser besucht als in der meisten Zeit am Schmudo. Hier tummeln sich Mitglieder von Guuggenmusigen und Familien mit kleinen Kindern und verdrücken Hotdogs und Hamburger, um sich für die kommenden Stunden zu rüsten.
Wesentlich lauter ist die Atmosphäre in der Krongasse: Die «RüüssSuuger», die «Rotseemöven Littau» und die «CH-Guugger» blasen zum gemeinsamen Stelldichein. Wie schon am Schmudo präsentiert sich die Reussbrücke als eine Art Kostüm-Catwalk. Hier scheinen sich die besonders Kreativen an der warmen Fasnachtssonne zu räkeln: Ein Paar – er mit Schmerbauch, riesenhafter Charlie-Chaplin-Maske und einem Veston mit gefühlt hundert Plaketten, sie mit Miss-Piggy-Birne und einem roten Kussmund, so gross wie eine Wassermelone – schieben gemächlich einen weissen Kinderwagen, der randvoll mit Bierflaschen gefüllt ist, über die schmale Brücke.
Tentakel-Trubel im Zöpfli
Oder da wären die beiden komischen Vogelscheuchen in überdimensionierten Flickenhosen, bewaffnet mit wüsten Heugabeln und Dreschflegeln. Oder die düsteren Zombies mit ihren Monster-«Grinde», die gebieterisch ihre totenkopfverzierten Zepter schwingen. Der kleine Platz «Im Zöpfli», den normalerweise Kleinformationen ihre Heimat nennen, wird von einer überlebensgrossen Krake bewacht. Sie ist die mobile Basis der «Alkademiker:innen», einer Gruppe von jungen Personen, die gerade ein Gruppenfoto macht.
Dario, der Präsident der «Alkademiker:innen», berichtet, wie die Krake entstanden ist: «Die Idee ist an der vergangenen Fasnacht geboren worden. An der Sommer-GV im Tessin haben wir dann vier Tage lang die Köpfe zusammengesteckt. Danach haben wir angefangen, am Wagen zu basteln – ab September jedes Wochenende. Wir haben buchstäblich Schweiss, Blut und Tränen geschwitzt.» Ob der Name eine Mischung aus Alkoholiker und Akademiker darstellt, entkräftet der Dreissigjährige zumindest teilweise. «Wir waren damals alle Studentinnen und Studenten, und ein bisschen Alkohol gehört bei der Fasnacht einfach dazu.»
Dario, Präsident der «Alkademiker:innen»«Wir haben Schweiss, Blut und Tränen geschwitzt.»
Hüttengaudi auf dem Weinmarkt
Auf dem Weinmarkt, der Heimat der Wagenbauer, geht es vorbei an kreativ verzierten Minibars der «Kursivierten» und der «Möschteler» oder an Getränkeständen mit Namen wie «Garten House» und «TBS Club». Die Bee Gees trällern ihr «Stayin’ Alive», das sich mit dem Trommelwirbel der «Nachtheueler Horw» vermischt, bevor es auf dem Hirschenplatz heisst: «Esch das es Gaudi?» Urplötzlich finden sich die Fasnächtlerinnen auf dem bayrischen Oktoberfest wieder. Da läuft gerade der Mallorca-Hit «Ich bin morgens immer müde» von Peter Wackel.
Marcel von «Après Soleil»«1000 bis 1200 Stunden am Wagen gebaut.»
Weit entfernt von müde scheint die tanzende Meute in Lederhosen und Ledermänteln zu sein, die vor ihrem Biertruck ein munteres Tänzchen aufführt. Der 61-jährige Marcel von «Après Soleil», einer Gruppe, die bereits seit 1993 existiert, erklärt, wie es dazu kam: «Wir haben jedes Jahr ein neues Sujet. Im 2024 bringen wir Bayern nach Luzern. Zusammen mit meiner Frau haben wir 1000 bis 1200 Stunden am Wagen gebaut.»
Vor dem Brunnen in der Eisengasse trompetet gerade die Musikgruppe «Altstadtkanone» ein Lied von den Blues Brothers, gefolgt von «Walking On Sunshine» von Katrina and The Waves, das wiederum abgelöst wird von «Es Buurebüebli». In der Nachbarsgasse donnern die «Sonnechöbler Äbike» vorbei. Eine Mutter, die sich in ein graues Rattenkostüm gezwängt hat, tanzt ausgelassen Ringelreihe mit ihrem kleinen Sohn, der von Kopf bis Fuss in ein Drachenkleid gewickelt ist. Weder sie noch der kleine CR-7-Ronaldo, der Unglaubliche Hulk, zwei Skifahrer im Achtzigerlook oder eine Frau, die sich als eine Mischung aus Ritterin und menschgewordene Chilischote entpuppt, scheinen sich am kakophonischen Geplärre zu stören.
In der Weggisgasse treffe ich Steffi aus Gisikon und ihren Sohn Elias. Die als Piratin verkleidete 37-Jährige erklärt mir, wieso sie hier ist: «Ich gehe an die Fasnacht, weil ich von klein auf mit dabei bin und mein Mann in einer Guuggenmusig spielt. Jetzt nehmen wir den Junior nach, und auch er ist bereits ein rüüdiger Fasnächtler.»
Hexen und Zwerge im Delirium
Vorbei an Super Mario Bros, zickigen Principessas, Sultanen mit grossen blauen Turbanen auf dem Kopf, wandelnden Schachbrettern, putzigen Giraffen, schmerbäuchigen Wikingern und einer ganzen Horde Top-Gun-Piloten, die sich in grüne Overalls geworfen haben (sie scheinen an der Fasnacht, Ausgabe 2024, die sonst äusserst beliebten Mexikaner mengenmässig zu verdrängen), geht es am innen und aussen bestens gefüllten «Doorzögli» vorbei in Richtung Kapellplatz. Auch da tummeln sich Panzerknacker, kleine Supermänner, Steckenpferde und Hexen, die für einmal nicht auf Besen, sondern auf umgebauten Kleinwagen unterwegs sind. Tja, auch hier hat scheinbar die Moderne Einzug gehalten.
Und bei den sieben Zwergen scheint ebenfalls die Belegschaft in der Zwischenzeit klar angewachsen zu sein. Ob das an den «Kafi Zwätschge» liegt, die schon um die Mittagszeit prächtig gebechert werden, sei dahingestellt. Gleich daneben sitzt ein Mann auf einem riesigen Schaukelpferd vor einem Wagen mit der Aufschrift «Delirium». Da scheint wohl der Name Programm zu sein. Gleich vor der Kapellbrücke schaut ein Ottifant und der Melchior von den Heiligen Drei Königen gebannt dem Treiben der Polittheatergruppe «Motsgugi» zu. Beide blenden das von Büne Huber zum Besten gebrachte Lied «Für immer uf di» und das gleichzeitige Schränzen der «Leuechotzeler Lozärn» gekonnt aus.
«Immer wieder hoam»
Vor dem Restaurant Mostrose hat sich die jüngere Version des Papstes in seinem Pope-Mobil aufgestellt und schwatzt geduldig mit einem Senior, der ihm allerhand Fragen stellt. Als ich den 53-jährigen Adi fotografiere, gibt er mir noch einen Tipp mit auf den Weg: «Als wir früher einmal als Wikinger an die Fasnacht gingen, hat mal jemand von einer Zeitung unter ein Bild geschrieben, dass die vom hohen Norden hergekommen sind, um die Frauen zu erobern. Das kam bei unseren weiblichen Mitgliedern gar nicht gut an.» Sagts und winkt weiter den Vorbeilaufenden zu, die Spass an diesem ausgefallenen Sujet finden.
Vorbei an einer Gruppe Flamingos, einer Frau, die aus einem Kuba-Ferien-Werbespot entsprungen sein könnte (sie trägt eine Früchteschale auf dem Kopf), und den Klängen der «Dracheschwänz Chriens» auf der Treppe zum Kornmarkt geht es für mich weiter zum Theaterplatz. Da erinnert mich der Song «Immer wieder hoam» von S.T.S. daran, langsam den Heimweg anzutreten. Aber nicht etwa nach Fürstenfeld, sondern durch die Buobenmatt-Gasse, in der sich das närrische Treiben langsam, aber sicher ausdünnt. Nach dem Streifzug durch den «Rüüdig Samschtig» kann ich getrost festhalten: Die Fasnacht 2024 ist einfach «rüüdig» schön!
- Augenschein vor Ort
- Gespräche mit Fasnächtlern