Demo für mehr Solidarität

«Flucht ist kein Verbrechen»

Der Umgang mit Flüchtlingen sei unmenschlich, sagte Redner am Dienstagnachmittag. (Bild: jakob ineichen)

Gut 100 Personen demonstrierten am Dienstag in der Stadt Luzern für mehr Solidarität. Menschen auf der Flucht seien «nicht wertlos». Anlass der Kundgebung war der Suizid eines Nothilfebezügers im Juli, der eine Woche unentdeckt geblieben war. Die Veranstalter sparten nicht mit Kritik an der Kantonsregierung. 

«Kein Mensch ist illegal», war an diesem Dienstagnachmittag mehrmals lautstark zu hören. Vor dem Luzerner Regierungsgebäude versammelten sich rund 100 Personen, um auf die schwierigen Umstände in der sozialen Nothilfe aufmerksam zu machen.

Die Stimmung war friedlich, das Thema aber emotionsgeladen. «Es kann nicht sein, dass Menschen derart von der Gesellschaft ausgegrenzt werden», rief etwa Aktivist Lukas Moor ins Megafon. Das Publikum war auf seiner Seite. Die bewilligte Kundgebung setzte darüber hinaus ein Zeichen für mehr Solidarität gegenüber Flüchtlingen. 

 «Das Nothilfe-Regime ist menschenverachtend und macht krank.»

Kollektiv ohne Grenzen

Erinnerung an Suizid

Die Organisatoren, zusammengesetzt aus Mitgliedern verschiedener Gruppierungen, wollen vor allem eins: Die Situation von Nothilfe beziehenden Menschen verbessern. Nothilfe erhalten etwa Personen, die durch das Asylverfahren gefallen sind. Auf ihr Gesuch sind die Behörden nicht eingetreten oder sie haben einen Wegweisungsentscheid erhalten. «Das Nothilfe-Regime ist menschenverachtend und macht krank», so Felix Kuhn vom Luzerner Asylnetz. Der Verein setzt sich für eine offene Asylpolitik ein und wehrt sich seit Jahren gegen die Verschärfungen des Asylgesetzes (siehe Box). 

(Bild: jakob ineichen)

Mit der Kundgebung erinnerten die Initianten an den tragischen Freitod eines Mannes in der Notunterkunft Ibach vom vergangenen Juli. Zwölf Jahre lebte er in der Schweiz. Sein Leichnam wurde tagelang nicht gefunden. «Das Leben am Rande der Gesellschaft hatte damit ein tragisches Ende gefunden», so die Organisatoren. Erst durch den Verwesungsgeruch wurde man auf den Toten aufmerksam (zentral+ berichtete).

Verschärfung des Asylgesetzes

Abgewiesene Menschen in Nothilfe bekommen pro Tag einen Coop-Gutschein im Wert von zehn Franken. Die Unterkunft sowie Krankenversicherung wird ebenfalls bezahlt. Nothilfe erhalten Personen, die durch das Asylverfahren gefallen sind und sich demnach illegal hier aufhalten. Sie müssten das Land gemäss Gesetz verlassen. Im Kanton Luzern erhalten nach Schätzungen zwischen 50 und 90 betroffene Personen Nothilfe. 

Die Ausdehnung des Sozialhilfestopps ist im Januar 2008 mit dem neuen Asylgesetz in Kraft getreten. Damit werden nicht nur Personen mit Nichteintretensentscheid (NEE) von der Sozialhilfe ausgeschlossen. Auch Asylsuchende, deren Gesuch die Migrationsbehörde erst nach Jahren abgewiesen hat, sind von der restriktiven Regelung betroffen. Sie können gemäss Bundesverfassung Nothilfe beim zuständigen Kanton beantragen. 

«Wir sind das Sprachrohr für jene, die nichts zu sagen haben», sagte Eliane Amstad am Rande der Menge. Sie ist Mitglied des Kollektivs ohne Grenzen und Mitorganisatorin der Demonstration. «Wer in Nothilfe lebt, leidet unter absoluter Perspektivelosigkeit. Das Gesetz ist nicht menschlich. Das muss gesagt sein.» 

Offener Brief an Regierungsrat

Mit einem offenen Brief prangerte das Kollektiv ohne Grenzen die Lage innerhalb der Nothilfe an. Sie machte die Luzerner Regierung für den Suizid in Ibach verantwortlich und führte den Todesfall auf die menschenverachtenden Zustände im Asylwesen zurück.

«Das Nothilfe-Regime führt zu Depressionen und psychosomatischen Beschwerden. Es ist eine unwürdige Wohnsituation und die Teilnahme am sozialen Leben bleibt den Nothilfe-Beziehenden verwehrt», so die Mitteilung. Am 23. März dieses Jahres fand zudem vor dem Amt für Migration eine Demonstration unter dem Motto «Würde statt Hürde» statt (zentral+ berichtete). Auslöser dieser Kundgebung waren wiederum Suizidversuche zweier Nothilfebezügern.

Regierungsrat: «Menschenwürdige Unterbringung»

Auf Anfrage von zentral+ nahm die Staatskanzlei am Dienstagnachmittag nochmals schriftlich Stellung zu den einzelnen Anschuldigungen. Dabei drückt die Regierung auch ihr Bedauern über den Suizid des Nothilfebezügers aus. «Dass der Suizid des Nothilfebezügers nicht rasch festgestellt wurde, ist auf die Tatsache zurückzuführen, dass er ein Einzelzimmer bewohnte und sich über zwei Wochen für die Kontroll-Kontakte abgemeldet hatte», schreibt Philipp Berger von der Staatskanzlei im Namen des Regierungsrates. Aus diesen Gründen sei er vom Betreuungspersonal nicht vermisst worden.

«Die Notunterkunft Ibach wird regelmässig durch den Kanton Luzern überprüft.»

Philipp Berger, Sprecher Staatskanzlei Luzern

Für den Suizid fühlt sich der Regierungsrat nicht verantwortlich. «Die Notunterkunft Ibach wird regelmässig durch den Kanton Luzern überprüft», so Berger. Die menschenwürdige Unterbringung sei entsprechend den Nothilferichtlinien sichergestellt. Zur Kritik über das Nothilfe-Regime hielt die Regierung fest, dass sich der Kanton Luzern an die gesetzlichen Grundlangen hält und sich bei der Ausgestaltung der Nothilfe nach den Empfehlungen der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren richtet (SODK, im Detail). 

«Die Forderungen des Kollektivs ohne Grenzen, Nothilfebezüger, welche sich illegal in der Schweiz aufhalten, gesellschaftlich und beruflich zu integrieren sowie deren Wohnsituation zu verbessern, widersprechen den gesetzlichen Grundlagen», so Berger. Die Regierung habe darum beschlossen, an der Kundgebung nicht aufzutreten.

Mehr Fotos sehen sie hier in unserer Slideshow (Fotos: Jakob Ineichen):

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1 Kommentar
  • Profilfoto von zombie1969
    zombie1969, 14.09.2015, 16:05 Uhr

    muss die Flüchtlinge endlich dort ansiedeln, wo sie willkommen sind, wo die Mehrheit der Bevölkerung wohnt, die sich eine bunte Umgebung wünscht und nicht eben dort, wo die Flüchtlinge nun ausgerechnet nicht erwünscht sind. Ebenso wäre dann die leidige Finanzierungsdebatte gelöst. Gemeinden die sich um Flüchtlinge bewerben und dann den Nutzen der kulturellen und kulinarischen Bereicherung für sich einstreichen, sowie über genügend Fachkräfte für den Arbeitsmarkt verfügen, sind mit Sicherheit gern bereit, die Finanzierung für Lebensunterhalt und Unterbringung zu erbringen. Ebenso wird in diesen Gebieten die Hilfsbereitschaft der bunten Einwohner so hoch sein, dass die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge bei Engpässen auch durch Spenden aus der Bevölkerung gewährleistet wäre. Alle anderen Menschen die den ganzen Asylschwachsinn ablehnen hätten endlich ihre Ruhe und könnten in ihrer Buntlosigkeit weiterleben. Es müsste nur einmal bei der nächsten Wahl vom Volk entschieden werden, ob man jeweils bunt oder nicht bunt sein möchte. Und dann könnten sich die jeweils bunten Gemeinden um die Flüchtlinge bewerben. So wäre dieses Thema endlich zu aller Zufriedenheit geklärt.

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