Alles rund um die Luzerner «Chilbi»

Flirt, Spektakel und «abnorme» Menschen

Starke Leistung anno 1960: Kettensprenger Charly de Kiswarth demonstriert an der Luzerner Herbstmesse seine Kraft. (Bild: Ernst Scagnet, Staatsarchiv Luzern)

Chilbi ist mehr als nur eine rosa Zuckerwatte-Welt: Sie ist ein Abbild der Gesellschaft. Die Sonderausstellung des Historischen Museums Luzern taucht mit allen Sinnen in das Spektakel ein und zeigt, was die Chilbi – neben Schüttelbechern, Süssigkeiten und Schaustellern – ausmacht.

Die Zahl ist beeindruckend: Noch heute finden im Kanton Luzern jährlich über 150 Chilbenen statt – von der Älplerchilbi mit Viehschau über Kirchweih-Gottesdienste mit Nostalgie-Karussell bis hin zu grossen Lunaparks mit schwindelerregenden Überkopf-Bahnen.

Das Historische Museum Luzern widmet seine nächste Sonderausstellung diesem lebendigen Kulturgut und schaut hinter die glitzernde Kulisse, auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung dieses Volksfestes und auf den harten Arbeitsalltag der Schaustellerinnen und Schausteller. Die Ausstellung wird am Donnerstag, 19. Mai, um 18.30 Uhr mit Zuckerwatte und gebrannten Mandeln eröffnet und dauert bis zum 16. Oktober.

Die Kuratorin Sibylle Gerber wühlte für die Ausstellung tief in der Luzerner Geschichte. Denn eine historische Aufarbeitung, wie die Chilbi in unserem Kanton stattgefunden hat und noch immer stattfindet, gab es bis anhin noch nicht. «Es ist die erste Bestandesaufnahme überhaupt», sagt sie. Nicht ohne Stolz: Denn sie hat viele Wochen Arbeit in ihre Recherche gesteckt. 

Ein normalgrosser Schausteller mit der kleinwüchsigen «Prinzessin Elisabeth», um 1920.

Ein normalgrosser Schausteller mit der kleinwüchsigen «Prinzessin Elisabeth», um 1920.

Das Resultat ist eine Ausstellung, die sich sehenlassen kann. Der Mix aus Historischem und Aktuellem ist in sechs Teile gegliedert und weckt Erinnerungen an eigene Chilbi-Erfahrungen. Was macht die Faszination aus? Wieso bereitet es dem Menschen Vergnügen, von einer Maschine auf den Kopf gestellt zu werden? Weshalb wird uns nostalgisch ums Herz, wenn wir Magenbrot riechen? Und was ist die Rolle der Schausteller in dieser Chilbi-Welt?

Der Zauber der Schaubuden

«Schaubuden waren lange Zeit die Attraktionen der Chilbenen», sagt Sibylle Gerber. Es gab Attraktionen, Abnormitäten, Affentheater und Spektakel wie der Kettensprenger oder die «Dicke Berta». Letztere wurde als «dickste Frau der Schweiz beworben», und man zahlte Eintritt, nur um sie zu sehen. «Die Präsentation von Spektakulärem, Abnormem oder technischen Innovationen war gang und gäbe.»

Paula Gostelli-Sonderegger (1910-1972) trat beim legendären Schaubuden-Besitzer Pius Buser unter dem Künstlernamen «Dicke Berta» auf.

Paula Gostelli-Sonderegger (1910-1972) trat beim legendären Schaubuden-Besitzer Pius Buser unter dem Künstlernamen «Dicke Berta» auf.

Die Ausstellung gibt Aufschlüsse darüber, wie sich der Beruf des Schaustellers verändert hat. Und apropos: In einem Teil der Ausstellung sind verschiedene Porträts präsentiert, bei denen es um die Menschen hinter den Kulissen geht. Es sind etwa Beiträge zu den Luzerner Familien Zanolla, Moser oder Haegeli. Die Protagonisten erzählen von den Sonnen- und Schattenseiten ihres Berufes, von ihren Fahrgeschäften und ihrer Familiengeschichte und ermöglichen so einen persönlichen Einblick in eine spannende Welt, wie sie von vielen gar nicht wahrgenommen wird.

Flirten an der Chilbi

«Die Chilbi ist ein Ort, um zu sehen und gesehen zu werden. Nicht nur die Schausteller, sondern auch das Publikum inszeniert sich», sagt die Kuratorin. Was wäre ein Hau-den-Lukas ohne Zuschauer, denen man sich beweisen kann? Auch beim Autoscooter zeigen sich alte Muster des Chilbi-Tanzes wieder: Wer lädt wen zum Tanzen oder Mitfahren ein? Eine Fotostrecke mit Aufnahmen aus verschiedenen Jahrzehnten zeigt, dass sich zwar das Aussehen der Kraftmessautomaten und Autoscooter gewandelt hat, die Funktionen aber ähnlich bleiben: Flirten, Spass haben, Werben. «Die Besucher können selbst ihre Kraft an einem Automaten testen und in Autoscooter-Wagen in Chilbi-Erinnerungen schwelgen», so Gerber.

Autoscooter: Flirten nach alter Schule.

Autoscooter: Flirten nach alter Schule.

Hauptsache süss und fettig

Gratis-Jetons für den Besuch

Die Besucher erhalten zu Beginn der Ausstellung ein Chilbi-Guthaben in Form von Jetons. Diese Jetons können an verschiedenen Stationen eingelöst werden und aktivieren beispielsweise einen Film, ein Interview oder einen Chilbi-Automaten.

Separate Führungen durch die Ausstellung finden wie folgt statt:

Jeden Mittwoch (ausser Schulferien), 12.15 Uhr: Öffentliche Führung durch die Ausstellung mit Sibylle Gerber, Kuratorin der Ausstellung, und Gästen. Kosten: Museumseintritt.

Mittwoch, 1. Juni, 18 – 19 Uhr: Geschichte der Luzerner Herbstmesse. Zu Gast: Heiri Hüsler, ehemaliger Platzmeister der «Määs»

Mittwoch, 3. August, 18 – 19 Uhr: Das Leben der Schausteller. Gast: Eugen Zanolla, Schausteller

Mittwoch, 7. September, 18 – 19 Uhr: Schaubudenzauber. Gast: Max Stoop, Chilbi-Fan und Autor von Chilbi-Büchern

Mittwoch, 5. Oktober, 18 – 19 Uhr: Chilbi-Essen – süss, fettig, berauschend. Gast: Michael Haegeli, Markthändler.

Ein anderer Ausstellungsteil widmet sich den typischen Düften und den süssen Esswaren. Bei einem Duft-Quiz müssen Gewürze unterschieden werden, und in einem Video beschreiben zwei Confiseure anschaulich die Herstellung von Magenbrot und gebrannten Mandeln.

Zudem wird die Chilbi historisch eingeordnet und in die Tradition der Kirchweihe gestellt. «Was heute in vielen Gemeinden vor allem ein grosses Dorf- oder Volksfest ist, war früher ein von der Kirche geregeltes Fest zur Weihe der Kirche.» Historisches Material dokumentiert, wie in Luzern diese Chilbifeste gefeiert wurden.

Wo diese kirchliche Verankerung der Chilbi heute noch zu spüren ist, zeigt ein Interview mit dem katholischen Schausteller-Pfarrer Adrian Bolzern. Übrigens: Das Historische Museum Luzern hat eine Karte erstellen lassen, auf der 155 Chilbenen aufgeführt sind: von der Älplerchilbi mit Viehschau über Kirchweih -Gottesdienste bis zu grossen Lunaparks mit Mega-Bahnen.

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