Jagd im Diskurs

Fast der halbe Rehbestand auf der Abschussliste

«Bestandesregulierung» in der Praxis. (Bild: gian-marchet.ch)

Die Jäger streifen durch die Wälder. Damit hat für das Freiwild die letzte Stunde geschlagen, für zirka 4’000 Rehe, 3’000 Füchse und 350 Gämse. Solche Abschuss-Zahlen alleine in Luzern und Zug werfen Fragen auf. Ist die Jagd wirklich nötig oder nicht? Ist der Jäger tatsächlich ein Tierschützer?

Das Wild hinterlässt seine Spuren: In einer Waldlichtung nahe der Luzerner Krienseregg ist eine junge Weisstanne angeknabbert. Die Rinde ist weg, das helle Innere des Stammes kommt zum Vorschein, ein paar wenige Zweige hängen seitwärts ab. Gleich daneben ist der weiche Waldboden gleichmässig angedrückt. Ein Reh hat hier letzte Nacht geschlafen. Einen Steinwurf von einer Strasse, einem Bauernhof und einer präparierten Waldpiste für Downhill-Biker entfernt.

Für das Reh ist es besser, es versteckt sich in diesen Tagen im Dickicht, irgendwo zwischen Autobahn und Bergstation. Denn die Jäger verfolgen seine Fährte. In diesem Herbst stehen seine Überlebenschancen bei gerade mal 50 Prozent.

Das Reh ist gesucht und gefragt

Hohe Zahl an Abschüssen

Der Kanton Luzern ist in 123 Jagdgebiete unterteilt. Der Kanton Zug in sechs Jagdbezirke. Speziell der Hirsch kam in den letzten Jahren aus den Voralpen wieder zurück und verbreitet sich in Richtung Mittelland. Insgesamt dürfen in diesem Jahr rund 70 davon geschossen werden.

Gemäss der Eidgenössischen Datensammlung der Universität Zürich wird Rehwild am meisten gejagt (ZG: 370, LU: 3'800, nach dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre) gefolgt vom Rotfuchs (ZUG: 410, LU: 2'700), Gamse (Berggebiet LU: 370), Dachs (ZG: 7, LU: 270), Steinmarder (ZG: 5, LU 160), und Feldhasen (LU: 66). Wildschweine sind im Mittelland selten (ZG: 0, LU 1), das Murmeltier wird weitgehend verschont.

Die Steinböcke am Pilatus werden nur durch eine amtliche Vorauswahl geschossen; bei geschätzten 120 Tieren sind das drei bis sechs Steinböcke pro Jahr.

Weiter sind unter anderem folgende Tiere jagdbar: Waschbär, Rabenkrähen, Blässhuhn, Kormoran, versch. Gänse, Enten und Tauben.

 

«95 Prozent der Schüsse sind tödlich und das Tier stirbt sofort», sagt Otto Holzgang, oberster Jagdverwalter und Leiter der Abteilung Natur, Jagd und Fischerei des Kantons Luzern. Das Reh ist das am weitesten verbreitete jagdbare Huftier. Allein im Kanton Luzern werden rund 3800 Rehe geschossen – pro Jahr. Das ist ungefähr die Hälfte des von den Jägern geschätzten Bestandes. Dieser erholt sich gemäss Eidgenössischer Jagdstatistik jährlich aufs Neue.

Den Zuger Rehen ist momentan ein ähnlich tödliches Schicksal bestimmt – zumindest der Wahrscheinlichkeit nach. Auf der offiziellen Abschussliste für diese Saison stehen 465 Tiere. Ungefähr das Doppelte wurde in diesem Frühling gezählt, um die 1’000 Rehe.

Die Kritik pirscht mit

Für Jagdgegner ist es ein Bild, das sich leicht einprägen lässt: Auf der einen Seite der Jäger mit der Waffe, auf der anderen das Tier als Opfer. Das Töten in freier Wildbahn weckt Emotionen. Kritiker sind der Meinung, Trophäen seien die Motivation, Gerüchte rund um Wilderei reissen nicht ab und Schlagzeilen um schiesswütige Weidmänner kommen regelmässig vor.

Nicht erstaunlich, dass sich die Jäger deshalb organisieren und Imagekampagnen lancieren: «Wir sind in der Schweiz eine Minderheit und müssen unser Tun einer Mehrheit erklären», sagt Walter Steffen, Präsident der Revierjagd Luzern. Sein Dachverband organisiert in diesen Tagen erstmals gezielte Öffentlichkeitsarbeit mit einer Veranstaltungswoche. Seine Botschaft: «1’800 Luzerner Jägerinnen und Jäger, Naturfreunde und Jagdinteressierte setzen sich für die Wildtiere und Lebensräume ein.» Wiederum ein eher einfaches Bild.

Es klingt fast schon zynisch, wenn sich ein Jäger mit einer Tierschutzorganisation wie dem WWF vergleicht: «Wir wollen ja auch, dass sich der Wolf vermehrt. Dann können wir ihn jagen.» Die eher saloppe Aussage eines Jägers beim Revierrundgang auf der Krienseregg scheint eher das Klischee des Trophäenjägers zu bedienen.

Blutige Szenen auf der Jagd

Es sind gewiss seltene Fälle, doch was Vorurteile nährt und eine fein säuberlichen Imagekampagne befleckt, sind Vorkommnisse wie auf der Zuger Hirschjagd: Am 2. September schoss ein Jäger in Unterägeri ein Hirschkalb. Es wog gerade einmal 36.5 Kilo und war noch kein Jahr alt. Der Abschuss war ein Fehler.

So etwas gefalle beiden Seiten nicht, den Tierschützern wie auch den Jägern: «Pro Jahr gibt es in Zug durchschnittlich einen Irrtumsabschuss», sagt Jagdverwalter Peter Ulmann. Fehlbare werden nach Jagdverordnung gebüsst. In diesem Fall mit einer Schadenersatzgebühr von 600 Franken.

Ein weiterer Fehlschuss wurde am 23. September in Oberwil abgegeben. Dies führte zu einem speziellen (**)-Vermerk auf der Zuger Hirschjagd-Liste: Ein «erfolglos nachgesuchter und erst Tage später aufgefundener Spiesser». Oder verständlicher: Der Hirsch wurde angeschossen, konnte aber flüchten. Der darauf angesetzte Schweisshund schaffte es nicht, die Spur zu verfolgen. Das Tier starb irgendwo im Wald.

«Das passiert häufiger, im Schnitt schätzungsweise jedes zehnte bis 15. Mal», sagt Ulmann. Das ist dem Bild des humanen Tierschützers, das die Jäger gerne in der Öffentlichkeit zeigen, nicht unbedingt zuträglich.

Die Frage nach dem «Warum?»

Die Meinung, Jagd sei nicht nötig, weil sich Wildbestände von selber regulieren würden, ist in der Schweiz weit verbreitet. Grossraubtiere würden die schwachen und alten Tiere entfernen, wenn man sie nur machen liesse.

«Ist Jagd nötig?» fragt sich auch der Verband Jagd Schweiz gleich selbst auf seiner Website. Die Antworten fehlen, sie würden sehr bald folgen. Wir nehmen sie vorweg. David Clavadetscher, Geschäftsführer von Jagd Schweiz, widerspricht der These der Selbstregulierung:  «Nein, dies funktioniert so nicht», zeigt er sich gegenüber zentral+ überzeugt. Es sei nun mal so, dass der natürliche Lebensraum oft fehle oder nur eingeschränkt vorhanden sei.

«In unserer stark beanspruchten Natur- und Kulturlandschaft wird der Platz für Flora und Fauna zunehmend enger», sagt er. Autostrassen und Bahnlinien seien zu unüberwindbaren Hindernissen für Wildtiere geworden; von einem «natürlichen Gleichgewicht» könne längst keine Rede mehr sein, so Clavadetscher weiter. «Ein Jäger engagiert sich für die Erhaltung, Aufwertung und Beruhigung der Lebensräume. Die Passion Jagen bedeutet nicht Freude am Töten», beteuert er.

Das Erlegen der Tiere ist streng geregelt und nur ein kleiner Arbeitsteil des Amtlichen Auftrags. Neben der Nutzung ist der Schutz der wildlebenden Säugetiere und Vögel ein gleichberechtigtes Anliegen der Jagd. Oder, wie es das Amt für Landwirtschaft und Wald des Kantons Luzern formuliert: «Artenschutz bedeutet immer auch Lebensraumschutz.

Hegepreis und Tierschutz

Zu Clavadetschers Erklärungen passen die Aktivitäten der Luzerner Jäger als praktische Beispiele: Sie engagieren sich mit zahlreichen Hegearbeiten, veranstalten dazu Wettbewerbe und vergeben Preise. Die Jagdgesellschaft Kriens-Horw-Schattenberg kümmert sich um die Ameisenhaufen in ihrem Revier und schützt sie vor Zerstörung und Parasiten. Die Gruppe Kriens-Grüebli pflegt und bepflanzt gefährdete Flachmoorlandschaften. Jede Gesellschaft hat so ihre ganz konkreten Aufgaben im Revier.

Nicht nur deshalb hat auch Josef Blum vom Tierschutz Luzern ein gutes Verhältnis zu den Jägern. «Die Luzerner Revierjagd ist ständiges Mitglied im Vorstand des Tierschutzvereins». Und Falls es Probleme gäbe, würden sie auf dieser Ebene ausdiskutiert.

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