Immer bewegen und strahlen: Ein Tag als «Noggeler»

Fasnacht als Sport: 20 Stunden mit der Guugge unterwegs

Auch dieses Jahr verweist die Luzerner Polizei auf Strassensperrungen und -umleitungen.

(Bild: pze)

Sie sind laut, sie sind berüchtigt und sie tragen klingende Namen: die Luzerner Guuggenmusigen. zentralplus hat sich am «Schmotzige Donnschtig» einen Grind der «Noggeler» Guuggenmusig Luzern aufgesetzt. Und dabei gelernt, wie man sich nach 20 Stunden Fasnachtssport fühlt und man mitten im Geschehen fast den Umzug verpassen kann.

«Schöne Festtage!», ertönt es am Donnerstagmorgen um viertel nach vier beim Schweizerhof. Mit diesen Worten begrüssen sich die Mitglieder der Luzerner Guuggenmusig «Noggeler» zum Fasnachtsauftakt. Die Stimmung ist schon am frühen Morgen ausgelassen.

Und mittendrin: zentralplus. Wir mischen uns den ganzen «Schmotzigen Donnerstag» lang unter die Guugge, um der Frage nachzugehen: Wie sieht denn der strengste Tag der Fasnacht aus einem Guugge-Grind heraus aus?

«Noggeler» begrüssen Fritschi-Familie

Im Schweizerhof gibt es Kaffee mit Schuss zur Aufwärmung. Die Vorfreude ist deutlich spürbar. Die Guugge ist bereit für die Festwoche – darauf hat man ein ganzes Jahr lang gewartet.

Um Viertel vor fünf begeben sich die Musiker zum Seeufer. Die Fritschi-Familie fährt per Nauen über den See: Der Urknall naht. Die Unruhe bei der Truppe steigt: «Jetzt muss es dann losgehen», ruft einer von ganz hinten. Man will loslegen, denn die «Noggeler» gehören zu den drei Guuggen, welche dieses Jahr die Fritschi-Familie musikalisch empfangen dürfen. Dann der «Chlapf» – die Instrumente werden angesetzt, die ersten Trompeten- und Posaunentöne des Tages ertönen.

Basler Fasnacht – Häme bleibt aus

Auf einmal erwacht die Stadt zum Leben. Auf der Strasse zieht eine weitere Guuggenmusig vorbei, Thema: Basler Fasnacht. Man könnte meinen, da gäbe es von den eingefleischten Luzerner Fasnächtlern Häme. Aber siehe da: «Die haben in diesem Jahr wirklich ein tolles Sujet», sagt «Noggeler» Guido. Es wirkt nicht neidisch, sondern eher wie ein Zeichen des Respekts unter Kollegen.

Die «Noggeler» treten frühmorgens auf dem Mühleplatz auf.

Die «Noggeler» treten frühmorgens auf dem Mühleplatz auf.

(Bild: pze)

Die Truppe reiht sich hinter der vorbeigezogenen Guuggenmusig ein, es geht vom Schweizerhof in Richtung Altstadt. Beim Aufsetzen des Grindes merkt man: Der Kunststoff-Eulenkopf hat ein ganz schönes Gewicht. «Das spürt man Ende Fasnacht im Nacken!», lacht der Posaunist zur Rechten. Es graut einem jetzt schon vor dem Umzug heute Nachmittag: Eine Stunde marschieren, mit Grind und bei sommerlichen Temperaturen – das klingt nach Anstrengung.

Erste Probleme am Schwanenplatz

Aber noch ist Morgen und die Temperatur angenehm kühl. Die «Noggeler» setzen sich in Bewegung. Auf dem Schwanenplatz aber bereits die ersten Probleme: Die Posaunen ganz hinten hören die Perkussionisten ganz vorne im Zug nicht. «I dem Grend ghörsch nüd!», regt sich der Erste auf. Entsprechend spielt man aneinander vorbei – das wird noch ein Nachspiel haben.

Das währschafte Frühstück im Waldstätterhof.

Das währschafte Frühstück im Waldstätterhof.

(Bild: pze)

Am Fritschi-Brunnen wird die Zunft-Familie begrüsst, und die Guugge zieht weiter zum Mühlenplatz. Auf der aus Holz gezimmerten Bühne spielen die «Noggeler» ihr erstes Konzert – es ist noch nicht einmal sechs Uhr morgens. Das Intermezzo am Schwanenplatz hat der Stimmung keinen Abbruch getan. Das noch (oder inzwischen) etwas müde Publikum klatscht tapfer mit.

Rührei mit Speck zur Stärkung

Langsam kommt man in Schwung. Die Guugge macht sich auf den Weg über die Reuss in Richtung Neustadt. Bereits jetzt ist der verspannte Nacken spürbar, der Schweiss beginnt bei den Musikern zu tropfen – es ist beachtlich, welche Strecken man als Guuggenmusig zurücklegt. «Viele treiben das ganze Jahr über nicht so viel Sport wie während der Fasnacht», sagt einer lachend.

«Das Spannende ist, dass man seit 45 Jahren Menschen für den gleichen Schulbubenstreich begeistern kann.»

Matthias Lips, Vereinspräsident «Noggeler Guuggenmusig Luzern»

Angekommen beim Waldstätterhof erwartet die Guugge ein währschaftes Frühstück. Die Familie, die den Waldstätterhof führt, gehört zu den Gönnern der Guuggenmusig – da geht man gerne vorbei zum Zmorge. Zu Rührei mit Speck gibt’s Bier und «Fireball», den Lieblingslikör der «Noggeler». Den kenne man von den Ausflügen nach Amerika, meint einer. Er scheint zu schmecken: Es werden gleich mehrere Schnapsfläschchen geleert.

Mindestens ein «Rasseli» ist Pflicht

Vor dem Waldstätterhof gibt man der Gönnerfamilie ein Ständchen – das gehört dazu (siehe Video). Um die Trägheit des Frühstücks aus den Knochen zu schütteln, wird «Azzurro» angestimmt. Mitmachen muss jeder. «Mindestens ein Rasseli muss man spielen, das ist das Minimum», sagt der jüngste «Noggeler», Robin Joller. Ein Trompetist wirft ein: «Immer bewegen, immer strahlen. Guuggenmusig, das muss Freude machen!»

«Früher waren wir schlimmer als heute.»

Mario Bucher, Ex-Präsident der «Noggeler»

Und wieder marschieren: Jetzt geht es zur Kasimir-Pfyffer-Strasse, das nächste Konzert wartet. Ein erstaunlich gedrängtes Programm, doch die Fasnächtler scheinen gerade erst warm zu werden. Beim anschliessenden Drink in der Bar hat man endlich Zeit, sich mit den Musikern zu unterhalten – bisher man vor lauter Spielen und Marschieren nicht wirklich dazu gekommen.

«Früher waren wir schlimmer als heute», sagt Ex-Präsident Mario Bucher. Als die «Noggeler» vor Jahren nach Amerika flogen, hätten sie das ganze Arsenal an Getränken an Bord geplündert. «Über dem Atlantik hiess es plötzlich: ‹Es tut uns leid, wir sind ausgeschossen!›» Heute sei man vernünftiger, man sei ja nicht mehr 25.

Eine reine Männertruppe

Dem stimmt Präsident Matthias «Mättu» Lips zu: «Ich würde sagen: Es ist eine Woche des kontrollierten Übermuts.» Es sei, als ob man nach der Arbeit ein Feierabendbier trinke – nur dass dieses Feierabendbier eine Woche dauere. «Das Spannende ist, dass man seit 45 Jahren Menschen für den gleichen Schulbubenstreich begeistern kann», so der Vereinspräsident.

Der Grund für den Zusammenhalt der «Noggeler»: «Unser grösstes Anliegen ist die Kameradschaft.» Man sei eine reine Männertruppe, das sei schon immer so gewesen. Das gefalle ihnen auch so, meint Lips. «Man hat in der Guugge einen grossen Freundeskreis.» Und natürlich: «Wir machen rüüdig gerne Musik zusammen.»

«Noggeler»-Präsident Matthias Lips.

«Noggeler»-Präsident Matthias Lips.

(Bild: pze)

Auch die Kostüme geben zu reden. Man sei sehr zufrieden mit der Wahl. Aber ein «Noggeler» wirft schmunzelnd ein: «Wenn’s nach dem Präsidenten ginge, wären wir schon im Hello-Kitty-Aufzug gelaufen.» Aber das könne dieser zum Glück nicht entscheiden. Die Männertruppe hält jeweils eine Sujet-Sitzung ab – immer bereits im April. Wer dort auftaucht, darf Vorschläge machen – am Ende wird per Abstimmung der Favorit gewählt. Man hoffe, auch in Zukunft nicht als pinke Kätzchen durch Luzern zu laufen, so die «Noggeler».

Das Programm wird lockerer

Dann ertönt der Pfiff zum Antritt: Auf die Grinde! Via Kantonalbank (inklusive Auftritt) geht’s zum Capitol-Kino – alles in Marschformation. Zusätzlich gibt es noch die kurze Besprechung des Fauxpas vom Morgen am Schwanenplatz: «Am Umzug sollte sich das nicht wiederholen. Achtet darauf, bleibt kompakt, rückt immer gut auf!» Ganz kalt hat es die Guugge also nicht gelassen, dass man am Morgen noch nicht präzise war.

Der Dienstälteste «Büebu» während eines Auftritts.

Der Dienstälteste «Büebu» während eines Auftritts.

(Bild: pze)

Nach dem Capitol-Auftritt, dem sechsten (!) an diesem Morgen, brauchen selbst die geeichten «Noggeler» eine Pause. Die Truppe löst sich auf für den Mittag: Die einen gehen andere Guuggen anhören, andere gemütlich mittagessen – das gedrängte Programm lockert sich am Nachmittag deutlich auf. Jetzt sieht man auch die ersten Gähner – das warme Wetter und der frühe Start in den Tag fordern ihren Tribut.

50 Jahre bei den «Noggeler»?

Der mit 43 Vereinsjahren dienstälteste «Noggeler», «Büebu», sagt: «Natürlich ist es streng, denn es sind lange Tage. Aber wenn es gesundheitlich geht, möchte ich auf 50 Vereinsjahre kommen.» Mit 15 sei er bei den «Noggeler» eingetreten – drei Jahre nach der Gründung. Und er sei noch immer voll engagiert. Seit Jahren ist «Büebu» im Vorstand mit dabei.

Die «Noggeler» Jakob Bucher (links) und der ehemalige Präsident Herbert Lörch.

Die «Noggeler» Jakob Bucher (links) und der ehemalige Präsident Herbert Lörch.

(Bild: pze)

«Obwohl unser Durchschnittsalter mit 51 Jahren sehr hoch ist, gehöre ich doch zur alten Garde», so der Dienstälteste. Dennoch bliebe er vorläufig noch im Vorstand, denn ein guter Mix sei wichtig. «Wir haben einen jungen Präsidenten, der hat viel Schwung. Ich bin da etwas die Stimme der Älteren im Bunde.»

Beinahe den Umzug verpasst

Das lockere Nachmittagsprogramm hat seine Tücken. Die «Noggeler» sitzen am Quai und lassen sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Der eine oder andere döst vor sich hin, die Instrumente sind gegen einen Baum gelehnt. Man sammelt Kräfte für den anstehenden Umzug. Die Guugge startet hinten im Feld und hat so mehr Zeit, bis sie sich einreihen muss.

Dennoch verpasst man beinahe den Einstieg: Auf einmal hört man Rufe von vorne: Die «Noggeler» sind dran. Hastig werden Grinde aufgesetzt und Kostüme zurechtgemacht, die Formation wird gesucht – und schon läuft der Umzug.

Während dem Umzug: Das Wetter spielt mit am «Schmotzige Donnschtig».

Während dem Umzug: Das Wetter spielt mit am «Schmotzige Donnschtig».

(Bild: pze)

Es ist das Highlight des Tages, man läuft durch die Gassen von Verkleideten, welche die Stadt bevölkern. Gemächlich aber stetig geht es vom Casino über den Schwanenplatz in Richtung Neustadt. Und die Musik? Sie sitzt. Man spürt, die Guugge ist jetzt eingespielt, die Abstimmungen sind jetzt, wo es zählt, präzise. So sehen dann auch die Gesichter der Musiker zufrieden aus, als sie zum Ende des Umzugs den Grind ausziehen. Die Köpfe von der Hitze verschwitzt und rot – aber glücklich.

Zur Abkühlung steht den Umzugs-Teilnehmern im Helvetia-Garten Freibier zur Verfügung. Jetzt beginne der gemütliche Teil des Tages, so die «Noggeler». Man setzt sich zu Freunden und bespricht Auftritte, Kostüme oder die Getränkewahl. Und man stellt den Grind jetzt erst einmal neben sich auf den Boden.

Am Abend wieder Konzerte

Am Abend stehen noch drei Konzerte an – langsam geht der Tag an die Substanz. Vom Helvetia-Garten wieder zurück auf den Mühlenplatz, von dort aus in den Stadtkeller und zum Schluss in den Schweizerhof. Und selbst dann ist noch nicht fertig: «Wir lösen zwar die Gruppe auf, doch wir werden noch ein bisschen in der Stadt unterwegs sein», so Vereinspräsident Lips.

Es ist wirklich unglaublich, wie viele Kilometer so eine Guuggenmusig an einem Tag abspult – mit Kostüm, Grind und Instrument. So drängt sich am Ende des Tages ein Gedanke auf: Was während des ganzen Tages prophezeit wurde, könnte stimmen, nämlich: «Das spürst du morgen.»

Die «Noggeler» während ihrem Auftritt im Stadtkeller.

Die «Noggeler» während ihrem Auftritt im Stadtkeller.

(Bild: pze)

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