Journalistin zieht Urteil weiter

Fall Gundula: Ringen um die Medienfreiheit geht in zweite Runde

Jana Avanzini hatte die 2016 politisch umstrittene Hausbesetzung Gundula betreten, um darüber zu berichten. Dafür wurde sie wegen Hausfriedensbruch verurteilt. Nun zieht sie das Urteil zusammen mit zentralplus ans Kantonsgericht weiter.

Das Telefon von Jana Avanzini lief in der letzten Woche heiss. Und das lag nicht an den hohen Temperaturen. Menschen aus der ganzen Schweiz, aus Deutschland und aus Österreich haben sich bei ihr gemeldet, nachdem bekannt geworden ist, dass das Bezirksgericht Luzern die Journalistin des Hausfriedensbruchs schuldig gesprochen hatte.

Warum interessieren sich Menschen für diesen Fall, die keinerlei Bezug zur Luzerner Lokalpolitik haben? Weil es eben nicht darum geht, dass irgendjemand widerrechtlich ein Haus betreten hat, um dieses zu besetzen.

«Es geht um eine Grundsatzfrage, wie weit die Medienfreiheit gehen darf. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.»

Jana Avanzini, Journalistin

Es geht darum, dass eine Journalistin vor Ort war, um sich ein Bild zu machen. Und zwar weil zu der Zeit auf politischer Ebene darüber gestritten wurde, ob das Gebäude an der Obergrundstrasse 99 in Luzern tatsächlich in solch schlechtem Zustand ist, dass es trotz Ortsbild­schutz abgerissen werden darf.

Unterstützung durch preisgekrönte Journalisten

Das nämlich wünschte sich die Liegenschaftsbesitzerin Bodum Invest AG. Und an dieser Frage entzündete sich eine politische Debatte, die bis heute andauert. Erst letzte Woche diskutierte der Grossstadtrat die Causa Bodum zu wiederholten Male, weil einmal mehr ein Vorstoss zum Thema eingegangen war.

zentralplus und Jana Avanzini haben entschieden, sich gegen den Entscheid zu wehren, die Journalistin wegen Hausfriedensbruch zu verurteilen. Als damaliger Arbeitgeber unterstützt zentralplus Jana Avanzini dabei, in Berufung zu gehen.

«Wahrscheinlich schon im Bundesgericht, ganz sicher aber in Strassburg, wird anders entschieden werden.»

Ueli Haldimann, ehemaliger SF-Direktor

«Es geht um eine Grundsatzfrage, wie weit die Medienfreiheit gehen darf. Dafür lohnt es sich zu kämpfen», sagt Avanzini dazu. Ermutigt dazu haben sie die zahlreichen Reaktionen, unter anderem von bekannten Journalisten wie dem deutschen Krisenreporter Christoph Maria Fröhder oder dem früheren Direktor des Schweizer Fernsehens Ueli Haldimann.

Dieser Fall müsse unbedingt und mit sehr grosser Erfolgs-Chance weitergezogen werden, schrieb etwa Haldimann in einer Mail an Republik-Redaktor Dominique Strebel zuhanden von Avanzini. «Wahrscheinlich schon im Bundesgericht, ganz sicher aber in Strassburg, wird anders entschieden werden.»

«Es ist schön zu sehen, wie viele Menschen Anteil nehmen, wenn es um die Medienfreiheit geht», sagt Avanzini. Das Bezirksgericht hatte entschieden, dass das öffentliche Interesse das Eindringen in die baufällige Bodum-Villa nicht gerechtfertigt hatte.

Es geht um die Relevanz der Recherche

Der Anwalt der Hausbesitzerin hatte sich in der Verhandlung über die Relevanz des Artikels lustig gemacht. Man habe nicht mehr erfahren, als das in der Besetzung Bier getrunken und Couscous gegessen worden sei.

«Tatsächlich ist es so, dass man vor einer Recherche nicht weiss, was dabei herauskommt. Wenn man es wüsste, müsste man nicht recherchieren», sagt Avanzini dazu.

Ausserdem habe sie zu der Zeit für ein Online-Magazin gearbeitet. «Da schreibt man nicht wochenlang an einer Reportage mit 20'000 Zeichen. Die Redaktion hat die Rechercheergebnisse in einer Serie von Beiträgen verarbeitet.» Nur die Reportage selber zur Hand zu nehmen, um die Frage der öffentlichen Relevanz zu beantworten, greift demnach zu kur

Begründung des Urteils wird mit Spannung erwartet

Nach der Berufungsanmeldung wird das Bezirksgericht sein Urteil nun noch ausführlich begründen. Aus dem bisher vorliegenden Dispsositiv geht lediglich hervor, dass die Journalistin hätte wissen müssen, dass sie sich mit ihrem Verhalten strafbar macht.

«Es kann nicht sein, dass der Kampf um die Medienfreiheit an den Kosten scheitern könnte.»

Christian Hug, zentralplus-CEO

Für Verteidigerin Katrin Humbel ist das aber keinesfalls klar. «Ich bin nach wie vor überzeugt, dass meine Mandantin davon ausgehen durfte, dass sie das Haus betreten darf. Und zwar, weil die Hausbesetzung zum damaligen Zeitpunkt faktisch geduldet wurde.» Die Bodum Invest AG hatte eine erste Strafanzeige zurückgezogen und mit den Besetzern und der Stadt Gespräche geführt.

«Es stellt sich zudem die elementare Frage, wie weit man mit einer Recherche gehen darf. Das Bezirksgericht hat aus meiner Sicht bei der Abwägung zwischen öffentlichem Informationsinteresse und Hausrecht ersteres zu wenig gewichtet», sagt Katrin Humbel.

Es drohen hohe Gerichts- und Anwaltskosten

Als damaliger Arbeitgeber von Jana Avanzini wird zentralplus die Journalistin weiterhin unterstützen. Die junge Mutter könnte den Weiterzug des Urteils nicht finanzieren.

«Es kann nicht sein, dass der Kampf um ein derart wichtiges Gut wie die Medienfreiheit daran scheitern könnte, dass eine Journalistin sich den Rechtsweg nicht leisten kann», sagt zentralplus-CEO Christian Hug

Jana Avanzini und zentralplus hatten bereits im Vorfeld der Verhandlung vor dem Bezirksgericht ein erfolgreiches Crowdfunding durchgeführt. Dieses soll nun für den Weiterzug ans Kantonsgericht fortgeführt werden.

«Denn auch für uns als regionales Medium sind die Gerichts- und Anwaltskosten zu hoch, um sie alleine stemmen zu können», sagt Christian Hug. «Hier sind wir auf die Unterstützung durch unsere Leserinnen und Leser und medieninteressierte Kreise angewiesen.»

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