Drei Kandidaten wollen Stefan Roth beerben

Experte zu SVP-Kandidat: «Stadtrat wird man so nicht»

Olivier Dolder liest viel und oft Zeitung – dies fast ausschliesslich auf dem Handy.

(Bild: rob)

Die neue CVP-Stadträtin heisst Franziska Bitzi Staub. An ihrem Erfolg bei den Wahlen vom 27. November zweifelt fast niemand. Auch der Luzerner Politologe Olivier Dolder nicht. Im Interview erklärt er, warum der SVP-Kandidat zusätzlich noch die falsche Strategie gewählt hat, ob Bitzi Staub ihre Partei aus der Krise holen könnte – und was «Stapi» Züsli seiner SP nützt.

Franziska Bitzi Staub (CVP, 43), Thomas Schärli (SVP, 36) und Rudolf Schweizer (parteilos, 53) wollen es wissen. Sie alle wollen die Nachfolge des auf Mitte September überraschend zurückgetretenen CVP-Stadtrates Stefan Roth antreten. Roth zog mit seinem Rücktritt die Konsequenzen aus seiner Abwahl als Stadtpräsident Anfang Juni. Damals unterlag er dem SP-Kandidaten Beat Züsli. In diesen Tagen dürfte der Wahlkampf starten. zentralplus analysiert mit dem Luzerner Politologen Olivier Dolder von Interface Politikstudien die Ausgangslage.

zentralplus: Olivier Dolder, am 27. November steht die SVP allein auf weiter Flur da. Die FDP wird wohl die CVP-Kandidatin unterstützen, die Grünen haben dies schon zugesagt, und die SP-Wähler werden, wenn schon denn schon, eher Bitzi wählen. Zudem ist Bitzi eine Frau und könnte immerhin für ein «zwei Frauen- zu drei Mannen»-Verhältnis sorgen. Die Sache ist also gelaufen, oder wie sehen Sie das?

Dolder: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gross. Alles andere würde mich sehr überraschen. Die SVP hat in der Stadt noch nie eine Chance gehabt. Das linke Lager wird sicher eher die CVP-Kandidatin unterstützen, auch bei der FDP wird Bitzi Staub punkten. Zwar wird im linken Lager die Euphorie und die Mobilisierung zugunsten von Bitzi Staub nicht speziell gross sein. Dafür kann sie aber vom Frauenbonus profitieren.

zentralplus: Bitzi Staub ist hochqualifiziert. Sehen Sie auch Schwachstellen bei ihr?

Dolder: Rein vom Jobprofil her ist sie sehr geeignet. Sie weiss, wie der politische Betrieb funktioniert. So kann man sich einige Zusatzrunden ersparen. Für mich als Aussenstehenden sind keine Schwachstellen erkennbar.

zentralplus: Bitzi Staub ist für eine Stadträtin relativ jung, Fettnäpfchen hat sie sich keine (bekannten) geleistet. Die seit Jahren an Wähleranteil verlierende CVP hofft deshalb, mit ihr neuen Schwung holen zu können. Ist das realistisch?

Dolder: Wenn eine Partei ein Zugpferd hat, was Bitzi Staub werden könnte, kann es der Partei nützen. Bundesrätin Doris Leuthard etwa hat auch Schwung in die CVP gebracht. Bitzi Staub wird das Steuer aber nicht rumreissen und die Partei alleine retten können. Die Probleme der CVP sind dafür von zu grundsätzlicher Natur.

Möchten am 27. November 2016 gewählt werden: Franziska Bitzi Staub (links, CVP), Thomas Schärli (SVP) und Rudolf Schweizer (Bilder: zVg).

Möchten am 27. November 2016 gewählt werden: Franziska Bitzi Staub (links, CVP), Thomas Schärli (SVP) und Rudolf Schweizer (Bilder: zVg).

zentralplus: Was müsste die CVP anders machen, um ihren Sinkflug zu stoppen?

Dolder: Die CVP hat einen schweren Stand. Sie profitierte früher davon, dass viele Katholiken sie einfach wählten. Heute muss die CVP um ihre Wählerinnen und Wähler kämpfen und muss dabei häufig den Spagat zwischen einer konservativen Wählerschaft auf dem Land und einer sozialliberalen Wählerschaft in der Stadt machen. Das grosse Problem der CVP ist ihr fehlendes Alleinstellungsmerkmal. Mit Familienpolitik ist das noch nicht getan, alle Parteien behaupten hier von sich, gute Lösungen bereitzuhalten.

zentralplus: Die SP ist fast doppelt so stark wie CVP, SVP oder Grüne. Sie fand aber keinen Kandidaten für die Ersatzwahlen vom 27. November. Hätte die Partei mit einem gemässigten Kandidaten Aussicht auf Erfolg gehabt und damit ihren Traum von einem linken Stadtrat realisieren können?

Dolder: Die SP hätte sicherlich mit einer Frau antreten müssen. Die hatte sie aber nicht zur Verfügung. Aber selbst wenn sie eine Kandidatin gehabt hätte, wäre es schwierig geworden. Ein linke Stadtratsmehrheit wäre wohl nur dann möglich gewesen, wenn sich die bürgerlichen Parteien gegenseitig die Stimmen weggenommen hätten. Heisst: zweiter Wahlgang mit zwei bürgerlichen Kandidierenden.

«Wenn Beat Züsli ein guter Stapi wird, also eine Identifikationsfigur wie Urs W. Studer, könnte er der Partei durchaus nützen.»

zentralplus: Ähnliche Frage wie vorhin: Die SP stellt mit Beat Züsli erstmals überhaupt den Stadtpräsidenten. Wenn Züsli seinen Job gut macht – kann sich das für die Genossen bei den nächsten Wahlen 2020 positiv auswirken oder sind solche Hoffnungen illusorisch?

Dolder: Wenn er ein guter Stapi wird, also eine Identifikationsfigur wie Urs W. Studer, könnte er der Partei durchaus nützen. Aber auch hier gilt: Eine einzelne Person kann das Resultat einer Partei nicht massgeblich beeinflussen. Die Partei muss vor allem gute Arbeit leisten und die Themen des Volkes treffen.

zentralplus: Anders als die SP, der Bitzi Staub vor allem in Finanzfragen zu restriktiv ist, empfehlen die Grünen die CVP-Kandidatin zur Wahl. Weil sie sie gut finden oder aus taktischen Gründen, um sich für später das Wohlwollen der CVP zu sichern?

Dolder: Vermutlich beides. Aber es gibt schlicht auch keine Alternativen. Zudem ist die Unterstützung der CVP eine elegante Weise, Eigenständigkeit im linken Lager zu beweisen. Die SP ziert sich ja, die CVP-Kandidatin zu unterstützen

 

 

zentralplus: Die SVP hätte vom Wähleranteil her den gleichen Anspruch auf einen Sitz wie etwa CVP oder Grüne. Nun werden sie vermutlich auch am 27. November scheitern, zum x-ten Mal. Welche Rolle spielt da der Kandidat? Immerhin wurde letztes Jahr Paul Winiker etwas überraschend als Regierungsrat gewählt?

Dolder: Der Kandidat spielt eine Rolle. Aber man kann den Kanton nicht mit der Stadt vergleichen. Der Kanton ist viel konservativer. In der Stadt dürfte zurzeit jede SVP-Kandidatur am Parteietikett scheitern.

«Als Stadtratskandidat muss man gemässigter auftreten als im Parlament.»

zentralplus: Bei den Gesamterneuerungswahlen diesen Frühling/Sommer ist mit SVP-Parteipräsident Peter With erstmals ein valabler, über die Parteigrenzen hinweg respektierter Kandidat angetreten. Gereicht hats trotzdem klar nicht. Nun kommt mit Thomas Schärli ein zwar junger und ambitionierter Kandidat – nur verfügt er noch über einen sehr kleinen Leistungsausweis. Wie muss er in den Wahlkampf steigen, um ein Wahldebakel zu verhindern?

Dolder: Letztendlich gilt bei allen Majorzwahlen dasselbe: Die Kandidaten müssen so auftreten, dass sie auch für die Sympathisantinnen und Sympathisanten anderer Parteien wählbar sind. Man muss folglich gemässigter auftreten als im Parlament und seine Kompetenzen gut verkaufen.

zentralplus: Schärli nimmt kein Blatt vor den Mund, speziell aus seinen Aversionen gegen die CVP («alles Windfahnen») macht er keinen Hehl. Ist das taktisch gesehen zu verantworten oder eher etwas kamikazemässig?

Dolder: Mit einer solchen Rhetorik wird er es in Majorzwahlen immer schwierig haben. Das ist keine kluge Strategie. Nützen könnte ihm das aber bei den nächsten Parlamentswahlen, dort sind auch ausgeprägt polemische Kandidaten erfolgreich – gerade bei der SVP. Aber Stadtrat wird man so nicht.

«Opportunismus ist in der Politik ein Teil des Geschäfts.»

zentralplus: Peter With hat vor den letzten Wahlen energisch gegen Schärli, der schon damals kandidieren wollte, geweibelt. Denn Schärli sei definitiv kein geeigneter Kandidat. Nun unterstützt er ihn. Ist das glaubhaft?

Dolder: Nein. Aber Opportunismus ist in der Politik ein Teil des Geschäfts. Nicht alles, was einmal gesagt wurde, bleibt bei der Wählerschaft hängen. Deshalb scheint das zu funktionieren. Der Vorteil für With: Er verheizt sich kein weiteres Mal und kann es so in vier Jahren nochmals probieren.

zentralplus: Mit dem parteilosen Rudolf Schweizer ist auch einer am Start, der völlig chancenlos ist. Sind solche Kandidaturen eine Bereicherung oder schlicht Unsinn?

Dolder: Schweizer hat ja nicht den Hauch einer Chance. Von daher macht eine Kandidatur wenig Sinn. Aber es gehört zu unserem demokratischen System, dass jeder antreten darf. Deshalb ist seine Kandidatur absolut legitim. Die Diskussion über seine Kandidatur wäre aber sicher intensiver geführt worden, wenn er eine stille Wahl von Bitzi Staub verhindert hätte.

zentralplus: Zum Abschluss testen wir Ihr Fachwissen: Wie viele Prozent der Stimmen holt Thomas Schärli am 27. November?

Dolder: Wohl nicht mehr als 20 Prozent.

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