Konzertpremiere im Heinrichsaal in Hünenberg

Experiment «Dräcksou»: Angst vor schrägen Tönen

Rund 80 Musiker des Stadtorchester Zug und der Ad-Hoc-Guggenmusik im ausverkauften Heinrichsaal.

(Bild: Laura Livers)

Die Gründungsfabel der Hünenberger Eichezunft mit Musik von einem Symphonieorchester und einer Guggenmusik zu untermalen – kann das gut gehen? Diesen Samstag fand das erste von zwei Konzerten statt. Fazit: Dem Publikum gefällt’s. Doch den Geist der Fasnacht wagte man noch nicht richtig aus der Flasche zu lassen.

Die Eichezunft in Hünenberg hat sich für ihr 40-Jahr-Jubiläum etwas Besonderes einfallen lassen: Unter der Federführung von Michael Werder soll die Gründungsfabel über den Eichefrässer als Animationsfilm realisiert werden. Den dazugehörenden Soundtrack liefert Silvan Gretener vom Tonwerk57, eingespielt vom Stadtorchester Zug und einer Ad-Hoc-Guggenmusik, bestehend aus Mitgliedern der Quaker, Cocorico und der Baarburggeischter.

Diese Kombination von Kunst- und Brauchtumsmusik stiess im Vorfeld nicht überall auf Begeisterung. «Das ist absolut nicht unterstützungswürdig», lautete unter anderem der Kommentar eines um finanzielle Unterstützung angefragten Stiftungsrates (zentralplus berichtete).

Angesagte Skepsis

Diesen Samstag präsentierte sich das Projekt erstmals vor Publikum. Bereits zu Beginn wird erklärt, dass es sich nicht um ein «einfaches Konzert» handelt, sondern um eine Aufnahmesession mit Publikum. Denn das Projekt feiert eigentlich erst Halbzeit. Die am Samstag gemachten Live-Aufnahmen werden geschnitten und bearbeitet, der Animationsfilm fertig gemacht und zusammen mit dem dazugehörenden Dokumentarfilm im Frühling 2017 präsentiert.

Die Dräcksou rennt durch den animierten Wald – zur kakofonischen Begleitung von Symphonieorchester und Gugge.

Die Dräcksou rennt durch den animierten Wald – zur kakofonischen Begleitung von Symphonieorchester und Gugge.

(Bild: screenshot)

Die Kombination aus Symphonieorchester und Guggenmusik sei ihm ein persönliches Anliegen, sagte Michael Werder. Die Unterteilung von hoher, anspruchsvoller Musik (Fachbegriff Kunstmusik) und niederer Musik (Unterhaltungsmusik) war ihm ein Dorn im Auge – das Projekt Dräcksou soll genau diese Unterscheidung verwischen. Dies ist löblich, da in diesem Falle nicht nur die Musik selber, sondern auch die vorwiegend Laienmusiker und deren Stammpublikum sich aus ihren vertrauten Umgebungen lösen müssen, und so auch ein Austausch oder zumindest eine Horizonterweiterung stattfinden kann.

«Ich bin mir sicher, dass ihr alle noch ein wenig skeptisch seid, ob diese Kombination denn funktionieren kann», sagt Werder. «Aber ich bin mir sicher, dass beim Rausgehen alle sagen werden, ja, das klappt.»

Und wie klingt das nun?

Würde es sich um ein normales Konzert handeln, müsste an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Zusammenarbeit zwischen Orchester und Gugge leider eher dürftig ausfiel. Das insgesamt zweistündige Konzertprogramm bestand aus vier Guggenmusikstücken, sieben klassischen Orchesterwerken, neun Filmkompositionen und einem Eichezunftlied. Von den Filmkompositionen wurde eine ab Band gespielt, zwei exklusiv vom Stadtorchester Zug und sechs von beiden Formationen.

Dabei zeigte sich, dass die Versuchung, orchesterlastig zu komponieren, zu gross war. Ein Komponist bekommt in seiner Karriere nicht oft die Möglichkeit, für ein grosses Orchester zu komponieren, und schon gar nicht mehrere Stücke. Dass diese beinahe einmalige Chance genutzt werden muss, versteht sich. Dabei blieben aber die Guggenmusiker auf der Strecke.

Die Sousaphonisten versuchen, das Symphonieorchester zu übertönen – Premiere des Experiments «Dräcksou» in Hünenberg.

Die Sousaphonisten versuchen, das Symphonieorchester zu übertönen – Premiere des Experiments «Dräcksou» in Hünenberg.

(Bild: Laura Livers)

Einer Musikformation, die meist nach Gehör Stücke einübt und spielt, und wenig Wert auf Intonation, sondern mehr auf Energie legt, keine hochkomplizierte neo-klassische Partitur vorzusetzen, macht Sinn. Die musikalischen Verantwortlichen hätten aber durchaus mehr auf die Möglichkeiten einer Guggenmusik eingehen dürfen. Hie und da blitzte diese Auseinandersetzung kurz auf, wenn etwa die Guggenmusiker mit ihren Instrumenten Geräusche verursachten oder wenn einzelne Motive vom Orchester übernommen wurden, was den meist autodidaktischen Guggenmusikern entgegenkam. Verschmelzungen blieben aber leider die Ausnahme.

Der Rest bestand aus orchestraler Filmmusik, wie man sie vornehmlich aus dem Science-Fiction-Genre kennt. Die Force und die Unbändigkeit der Guggenmusiker hätte differenzierter kanalisiert werden können, vielleicht mit weniger Angst vor schrägen Tönen. Denn das Projekt ist ein Fasnachtsprojekt, und der Brauch der Fasnachtsmusik entstand aus dem Gedanken, die Geister des Winters zu vertreiben. Das macht man nicht mit schöner Musik, sondern mit lauten und schrägen Tönen, die nicht zwingend nach gutem Rhythmusgefühl oder sauberer Intonation verlangen.

Auftrag erfüllt

Aber es ist ja eben kein normales Konzert. Es ist eine öffentliche Aufnahmesession, konzipiert für ein Publikum, das sich entweder der Klassik oder der Fasnachtsmusik zugehörig fühlt. Und dieses Publikum wurde an diesem Abend abgeholt. Das Konzert begann mit einem ohrenbetäubenden Auftakt der Guggenmusik, gefolgt von ein wenig Mozart, Strauss, Bizet, Verdi, Tchaikowsky – die Schlager der Klassik.

 

Das Stadtorchester Zug, das vorwiegend aus Laienmusikern besteht, spielte mit Ausnahme einiger wenigen Passagen souverän intoniert und sicher durch sein Repertoire. Je länger das Konzert dauerte, desto weniger Klassik und umso mehr Film- und Guggenmusik erklang. Auf zwei Leinwänden wurden einzelne Ausschnitte des Dokumentarfilms, der Animation, Aufnahmen der Eichezunft und die Geschichte des Eichefrässer gezeigt.

Den Gesprächen nach dem Konzert nach zu urteilen, hat das Laienpublikum brav die Entwicklung von Skepsis zur Überzeugung mitgemacht. Dementsprechend ist der Plan der Eichezunft aufgegangen. Doch vielleicht können sich die Musiker nach dieser gelungenen Premiere bei ihrem nächsten Konzert ein wenig gehen lassen – und so den Geist der Fasnacht doch noch heraufbeschwören.

Hinweis: Das nächste Konzert findet am 26. November in der Chollerhalle statt.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Michael Werder
    Michael Werder, 13.11.2016, 22:59 Uhr

    …aber zum Glück machen wir «Dräcksou» ja für das Publikum und jenes war äusserst begeistert, wie dieses Video zeigt: https://vimeo.com/191368380 Auch die Rückmeldungen aus dem Publikum sind überwältigend. Ausserdem teilen wir unser Publikum auch nicht pauschalisiert und herablassend in Schubladen wie «Laienpublikum» ein. «Laienpublikum» was soll das sein? Gibt es denn im Gegenzug auch ein «Profipublikum»? Wir lieben Kultur. Kultur welche das Publikum erreicht und nicht abgehoben daher kommt, trotzdem aber Qualität und Originalität aufweist. Alle Beteiligten machen ihre Sache mit allergrösstem Herzblut. In dem Sinne freuen wir uns auch in der zweiten Aufführung dem Publikum gute kulturelle Unterhaltung zu bieten. Selbstverständlich freuen wir uns auch auf den weiteren Verlauf des Projektes «Dräcksou», welches noch lange nicht abgeschlossen ist. Michael Werder, Initiant / Regie

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