145 Hektar Wald und Fels

Exklave Bürgenstock: Ein Luzerner Kuriosum am Fusse des Luxusresorts

Das mit der Warnung, das ist kein Witz. Immer wieder rumpeln Steine über das steile Gelände der Luzerner Exklave. (Bild: wia)

Das Luzerner Stadtgebiet ist grösser als erwartet. Und auch abenteuerlicher. Seit dem Mittelalter gehört etwa der Teil des Bürgenstocks, auf dem auch der Hammetschwandlift steht, zu Luzern. Wir haben uns das Gebiet angeschaut.

Felssturzgefahr, mitten in der Stadt Luzern? Prekäre Pfade, finstere Wälder, bröckelnde Felswände in der Leuchtenstadt? Nicht ganz: Das unwegsame Gebiet, von dem hier die Rede ist, gehört zwar wohl zur Stadt Luzern, genauer gesagt der Korporation. Doch befindet es sich auf der anderen Seite des Sees, am Fusse jenes Hügels, auf dem in den letzten Jahren ein Luxusresort aus dem Boden gestampft wurde. In der Luzerner Exklave Bürgenstock ist von Fine Dining und Infinity Pool jedoch nichts zu spüren, wie wir beim Besuch herausfinden sollten.

Der Grund, dass diese gottvergessenen 145 Hektar Land entlang der schwer zugänglichen Nordflanke zu Luzern gehören, geht weit zurück. Gemäss der Schrift «Die historischen, topografischen und ökonomischen Merkwürdigkeiten des Kantons Luzern» aus dem späten 18. Jahrhundert gehört die Exklave seit sage und schreibe 1378 zur Stadt. Damals, «nach langem Rechtsstreit zwischen den Ständen Luzern und Unterwalden, sprach ein Schiedsgericht aus 5 Mannen von Uri und dero 6 von Schwyz: ‹der Stadt sei ein sehr mässiger Bezirk – der meist aus einem steilen, rohen mit Holz bewachsenen Berg bestand – die von Unterwalden aber, als nächste Nachbarn, sollen behalten das an Alpen, Matten, Obst und Waldungen fruchtbare Gelände, die Kirsiten genannt.›».

Auf modern deutsch: Blöd gelaufen für die Luzerner. Während das Filetstück des Gebiets den Nidwaldnern zugeteilt wurde, kam Luzern einzig mit einem schwer zu bewirtschaftenden Stück Wald und viel brüchigem Fels weg. Eine andere Quelle, nämlich die Hochwacht-Quartierzeitung schrieb übrigens, dass die Exklave damals für sechs Ballen Stoff von der Stadt erworben wurde.

Seit 1822 im Besitz der Korporation

Seit 1822 gehört das Stück des Bürgenstocks übrigens der Korporation Luzern, wie der Präsident Max Lang erklärt. Dies im Rahmen der sogenannten Sönderung, also der Trennung von Staats- und Gemeindegut. Lang bezeichnet das Gebiet als «kulturell, historisch und ökologisch – und mit dem Felsenweg sicher auch touristisch» bedeutungsvoll.

Zugegeben: Nicht alles an besagtem Gelände ist brüchig und trostlos. Ganz im Gegenteil: Mit dem Hammetschwand-Lift steht das wohl wichtigste Bürgenstock-Wahrzeichen auf Stadtgebiet. 15 Franken kostet eine einfache Liftfahrt mit dem höchsten Freiluft-Lift Europas. Von Kehrsiten führt der sogenannte Felsenweg dorthin.

Auf unserer Expedition in die Tiefen der Exklave lassen wir jedoch diesen vielbegangenen Wanderweg aus. Vielmehr wählen wir den Pfad, der uns gleich links wegführt von der Schiffsstation. Keine zehn Meter gegangen, bereits empfängt den geneigten Abenteurer eine Warntafel. Vor «natürlichen Gefahren durch Steinschlag und Sturzholz» wird gewarnt. Aha. Weiter geht’s. Erst über Wurzeln in den Wald, bald wird der Weg schmaler, steiniger, abschüssiger. Er führt uns konsequent 50 Meter über dem Ufer entlang der Höhenkurve durch den Wald in Richtung Osten. Damit bleibt uns der Ausblick auf den See während der ganzen Wanderung verwehrt.

Die Wanderung zur Untermatt ist ziemlich schattig. (Bild: wia)

Wird es hier je richtig hell?

Die Stimmung ist finster, trotz mittäglich hohem Sonnenstand. Die Bürgenstock-Nordwand wirft, was Nordwände üblicherweise tun: Schatten. Immer wieder hüpfen winzige Frösche über den Pfad. Sie wirken, als seien sie gerade noch Kaulquappen gewesen. Doch es ist bereits September. Hier scheint nichts so recht gedeihen zu wollen.

Immer wieder wird der ursprüngliche Pfad von Felsrutschen unterbrochen, welche steil hinunter bis ins Wasser führen, neue Wege haben sich gebildet. Das immerwährende mulmige Gefühl, das uns begleitet, wird an einer besonders schattigen Stelle von einer weiteren Tafel untermauert. Die Wanderer werden gebeten, die kommenden 200 Meter möglichst rasch zu passieren, bestehe doch hier eine erhöhte Steinschlag-Gefahr. Pausen seien zu unterlassen. Wir leisten Folge.

Immer wieder rumpeln hier offenbar Felsblöcke und auch mal ganze Bäume über den Weg. (Bild: wia)

Kein Schiff hält hier, keine Bahn fährt hoch

Die stündige Wanderung bis zum Landwirtschaftsbetrieb Untermatt fühlt sich deutlich länger an. Entsprechend erfreulich ist der plötzliche Anblick der kleinen saftigen Weide und das Fehlen von Felswänden unmittelbar über uns.

Am Seeufer erkennbar ist ein Schiffsanlegeplatz sowie eine Seilbahnstation, die schon längst nicht mehr zur Beförderung von Menschen dient. Einst brachte sie Touristen auf den Mattgrat, wo bis in die 1970er-Jahre ein Hotel stand. Bis zu dem Zeitpunkt, als das Gasthaus abbrannte. Die Bahn wurde erst Anfang der 90er-Jahre stillgelegt.

Neben ein paar Ställen steht hier ein alter Bauernhof. Nanu? Auf der Wikipedia-Seite, die eigens für die Exklave Bürgenstock erstellt wurde, hatten wir gelesen, dass das Gebiet offiziell unbewohnt sei. Tatsächlich handelt es sich um einen Sömmerungsbetrieb, welcher von einem Nidwaldner Landwirt gepachtet wird.

Von der Untermatt aus sind die Wanderoptionen mittelprächtig. Eine Option führt die Wanderer steil hinauf zum Mattgrat. Geht man die Strecke weiter in Richtung Osten, landet man nach einer Viertelstunde in der Obermatt, welche bereits im Kanton Nidwalden liegt. Dort gibt es zwar ein Restaurant direkt am See. Dieses ist jedoch mit dem Kursschiff nicht zu erreichen, sondern nur mittels Taxischiff sowie Privat- und Partyboot, wie es auf der Webseite heisst. Oder aber zu Fuss.

Unter der Weide zu sehen ist zum einen die Schiffsanlegestelle, zum andern die Talstation einer Seilbahn, die seit 30 Jahren nicht mehr in Betrieb ist. (Bild: wia)

Plötzlich rumpelt es über uns

Darum geht's nach dem Sandwich, das wir in der Untermatt vertilgen, wieder denselben Weg zurück. Da zeigt sich, dass die Sache mit der Warnung kein Witz war. Zwar werden wir auf den besonders heiklen 200 Metern verschont. Kurz nach dieser Passage jedoch beginnt es über uns zu rumpeln. Wenige Sekunden später hören wir Äste knacken und Geröll über den Weg vor uns donnern. Abwarten. Dreimal tief einatmen. Weiter geht's. Je mehr wir uns Kehrsiten nähern, desto lichter wird der Wald. Gefühlsmässig. Aber auch wahrhaftig. Erst Mitte Nachmittag schafft es die Sonne, die Nordwand zu überstrahlen. Alles wirkt freundlicher. Die Frösche bleiben klein.

Das einzige Wohnhaus der Exklave ist nur während des Sommers bewohnt. (Bild: wia)

Wie die Korporation Luzern auf Anfrage erklärt, seien die 130 Hektar Wald als «Totalreservat» ausgeschieden. Das heisst, dass die Korporation auf jegliche Nutzung dieser Fläche verzichte. Das ist wohl auch sicherer so.

Vom Quartier Hochwacht annektiert

Übrigens: Die Exklave Bürgenstock gehört inoffiziell zum Quartier Hochwacht: In einer Glosse der Hochwacht-Post aus dem Jahr 2016 wurde das Gebiet kurzum annektiert. Insbesondere auf den Hammetschwand-Lift und den «höchsten Punkt der Stadt Luzern» hatte es der Verein abgesehen. «Es ist nur logisch, dass der höchste Punkt zum Hochwacht-Quartier gehört!», so heisst es keck.

Marc-André Roth, der kurz darauf zum Vereinspräsident erkoren wurde, erklärt auf Anfrage: «Ich weiss ehrlich gesagt nicht mehr genau, wie diese Idee entstanden ist. Doch wurde diese Geschichte zum Running Gag.» Er erklärt lachend: «Bisher hat niemand darauf reagiert und uns die Annektion streitig gemacht.»

Was sagt die Korporation zu diesem Streich? Der Präsident Max Lang sieht das entspannt. «Ich vermute, dass sich der Quartierverein Hochwacht – vorwiegend zuständig für das Gebiet Zürichstrasse/Maihof in Luzern – über die Besitzverhältnisse des Bürgenstockes nicht im Klaren war bei seiner ‹Spass-Annektierung›. Die Korporation Luzern weiss jedenfalls nichts davon, kann damit aber problemlos leben.»

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