Mit Cadonaus Comeback sieht es gut aus

EV Zug: Verteidiger Tobias Geisser nähert sich dem NHL-Niveau an

Vielleicht spielt er nach dem Saisonende mit dem EV Zug noch in Nordamerika: Hochbegabung Tobias Geisser. (Bild: Urs Lindt/freshfocus)

Er spielt mit hoher Qualität und der Zuverlässigkeit eines routinierten Business-Class-Verteidigers – dabei ist Tobias Geisser erst 22 Jahre alt. Die Hochbegabung des EV Zug hat einen riesigen Schritt in seiner Entwicklung gemacht. Mit der Sperre gegen Santeri Alatalo werden seine Qualitäten im dritten Finalspiel umso wichtiger.

Was wohl trotz der Welt-Viruskrise abgehen wird, wenn die Zuger am Freitagabend den ersten von drei Matchpucks im Playoff-Final gegen den Genève-Servette HC nutzen?

Der Chronist erzählt beim Gesprächstermin mit Tobias Geisser in der Bossard Arena von der unvergesslichen Party 1998, als der EVZ zum ersten und bisher einzigen Mal Schweizer Meister wurde. Von den Tausenden von Leuten, die ihre Lieblinge nach der Rückkehr aus Davos in der damaligen Herti so ausgelassen feierten, als gäbe es kein Morgen mehr.

Lange ist es her. «Da war ich noch nicht einmal auf der Welt», entgegnet Tobias Geisser lachend. 23 Jahre später steht er selber davor, sich in der Zuger Klubgeschichte unsterblich zu machen.

Der Unterschied für Tangnes in zwei klaren Fouls

Der EVZ, der in der Finalserie gegen die Genfer mit 2:0-Siegen in Front liegt, muss im nächsten Heimspiel auf Santeri Alatalo verzichten. Der 30-jährige Verteidiger wurde im Nachgang zum 2:1-Sieg der Zuger am Mittwoch für ein Foul an Servettes Star-Spieler Henrik Tömmernes für vorerst ein Spiel gesperrt (zentralplus berichtete).

Dafür bringen sie im Lager der Zuger wenig Verständnis auf, weil Servettes Roger Karrer für seine rüde Attacke gegen EVZ-Topskorer Jan Kovar mit einer Zwei- plus Zehn-Minuten-Disziplinarstrafe glimpflich davongekommen sei.

Zugs Trainer Dan Tangnes sagt, dass beide Checks nicht in Ordnung gewesen seien. Er schränkt aber ein: «Bei Alatalos Check gegen den Kopf von Tömmernes handelte es sich bestimmt nicht um Absicht.» Zu einem anderen Schluss kommt er im Fall von Karrer und begründet es so: «Karrer ist der dritte Genfer, der zu dieser Szene stösst. Er sieht klar, dass ihm Jan Kovar den Rücken zugedreht hat. Dennoch fährt er mit voller Wucht in ihn hinein und befördert ihn kopfvoran in die Bande.»

Im Rechtsempfinden von Dan Tangnes wäre es folglich angezeigt gewesen, zumindest auch Roger Karrer zu sperren, wenn man eine solche Sanktion gegen Santeri Alatalo ausspricht: «Es ist nicht zum ersten Mal in dieser Saison, dass die Schiedsrichter und die Liga-Justiz unterschiedliche Massstäbe anwenden.»

Cadonau drei Spiele ausgefallen

Vertiefen will er das Thema nicht. «Ich mag keinen neuen Schauplatz eröffnen. Das kostet uns bloss Energie», betont Tangnes. Erst recht im Wissen darum, dass er und seine Spieler in dieser Corona-Saison gut damit gefahren sind, sich nur auf Dinge, die sie beeinflussen können, zu fokussieren.

«Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich nach dem Saisonende mit Zug in Nordamerika weiterspielen werde.»

EVZ-Verteidiger Tobias Geisser

Den Zugern kommt in dieser Situation entgegen, dass es gut aussieht für eine Rückkehr von Claudio Cadonau in die Aufstellung. Der Verteidiger fehlte ab dem vierten Halbfinalspiel in Rapperswil verletzungsbedingt.

«Santeri Alatalo können wir nicht eins zu eins ersetzen. Sondern nur dadurch, dass jeder einzelne noch ein bisschen mehr Verantwortung übernimmt», sagt Dan Tangnes.

Schon für EVZ-Captain Diaz eingesprungen

Ihm möchte man am liebsten entgegnen: Doch, doch, Tobias Geisser kann Alatalo ziemlich gut ersetzen. Der 22-Jährige hat schon eine so grosse Rolle mit Bravour übernommen, als EVZ-Captain Raphael Diaz in der Viertelfinalserie gegen den SC Bern verletzt ausgefallen war.

Der NHL-Draft der Washington Capitals aus dem Jahre 2017 war im Verlaufe der letzten Saison zu seinem Stammklub nach Zug zurückgekehrt, um seine nächsten Entwicklungsschritte zu machen. Sobald die Organisation Tobias Geisser wieder unter ihren Fittichen hat, wird sie erkennen: Die Leihe hat sich gelohnt. Geisser hat in seiner Entwicklung als Sportler und Persönlichkeit einen riesigen Schritt vorwärts gemacht.

«Wenn er in seiner Entwicklung noch so einen Schritt macht wie bei uns, dann wird Tobias Geisser bald NHL spielen», sagte EVZ-Sportchef Reto Kläy schon vor Wochen gegenüber zentralplus. Darum rechnet er in der nächsten Saison nicht mehr mit dem 1,93 Meter grossen Verteidiger, der noch bis 2022 bei Washington unter Vertrag steht.

So hat sich Geisser weiterentwickelt

«Mein Ziel ist und bleibt eine Karriere in der NHL. Mit den Verantwortlichen von Washington stand ich bis jetzt nicht in Kontakt und bin froh darum, weil ich mich so auf meinen Job beim EVZ fokussieren konnte. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ich nach dem Saisonende mit Zug in Nordamerika weiterspielen werde», erläutert Tobias Geisser seine berufliche Situation.

Bleibt die Frage, worauf er seinen enormen Entwicklungsschritt in dieser Saison zurückführt? Er redet von der optimalen Infrastruktur des OYM in Cham, von den erstklassigen Trainings und vom professionellen Umfeld.

«Wir haben einen derart grossen Zusammenhalt in der Mannschaft, dass ausnahmslos jeder dazu bereit ist, seine eigene Gesundheit für den Sieg zu riskieren.»

Aber diese Erklärung greift zu kurz. Dazu braucht es mehr. Tobias Geisser bekennt, dass es für einen jungen Akteur nichts Wichtigeres gebe als Spielpraxis. «Damit kommt das Vertrauen. Jetzt fühle ich mich wohl in meiner Rolle. Und damit kommt die Selbstsicherheit und eine grössere Präsenz auf dem Eis.»

Defensive Stabilität zwingt Gegner ins Risiko

Schritt für Schritt also, auch wenn das langweilig tönen mag. «Als Nächstes bekommt man mehr Eiszeit und wird dann gegen die beste Linie des Gegners eingesetzt. Die Erkenntnis stellt sich ein, dass man der Aufgabe gewachsen ist und sich an den Standard gewöhnt. Vieles passiert im Kopf», schildert Tobias Geisser seine sportliche Entwicklung.

Mittlerweile ist er dank seiner Stabilität und Verlässlichkeit ein wichtiger Teil einer Mannschaft geworden, die in ihrer Abwehrarbeit ein gnadenloses Level erreicht hat und dem bis dahin grossartig auftrumpfenden Final-Gegner kaum eine Torchance zugesteht. «Wir haben einen derart grossen Zusammenhalt in der Mannschaft, dass ausnahmslos jeder dazu bereit ist, seine eigene Gesundheit für den Sieg zu riskieren», weiss Tobias Geisser.

Im EVZ haben selbst alle Stürmer ihren Fokus spätestens seit Beginn der Finalserie auf ihre defensiven Pflichten gelegt. In zwei Spielen hat die Mannschaft von Dan Tangnes erst einen einzigen Treffer zugelassen.

«Die Defensive ist der Schlüssel zum Gewinn von Meisterschaften», bezieht sich Tobias Geisser auf eine alte Weisheit im Sport. Und stellt darüber hinaus fest: «Wenn wir so stabil stehen, bekommen wir selber unsere Torchancen. Weil der unter Druck stehende Gegner dazu neigt, eine Abkürzung in seinem Spielkonzept zu nehmen und immer mehr zu riskieren.»

Für Geisser ist es ein Meilenstein

Der Genève-Servette HC darf sich im Best-of-5-Modus keine weitere Niederlage erlauben, sonst ist der EVZ Meister. Im Selbstverständnis der National Hockey League (NHL), der weltbesten Liga, wird man einem möglichen Schweizermeistertitel im Gepäck von Tobias Geisser kaum Bedeutung zumessen.

Aber der nächste Zuger NHL-Verteidiger in spe wird vielleicht eines Tages davon erzählen können, wie das vor Jahrzehnten war, als der EV Zug 2021 nach 23 Jahren zum zweiten Mal Meister geworden war. In seiner Karriere wäre ein Titelgewinn ein unauslöschliches Erlebnis. Die weltweite Pandemie, in der nur eine marginale Anzahl an Zuschauern im Stadion zugelassen war, würde es erst recht zu einem aussergewöhnlichen machen.

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