Lebensmittel länger im Regal: Luzern kämpft gegen Foodwaste
Erika Bauert von «foodwaste.ch» setzt sich dafür ein, dass Lebensmittel jenseits des Mindesthaltbarkeitsdatum länger verkauft werden dürfen. (Bild: Adobe Stock / Foodwaste.ch)
Luzerner und Zuger Betriebe kämpfen gegen Lebensmittelverschwendung – mit Erfolg. Ein Projekt macht es möglich, abgelaufene Produkte legal und sicher weiterzuverkaufen.
Man kennt es: Das Joghurt ist gemäss aufgedrucktem Datum seit drei Tagen abgelaufen. Es riecht normal, sieht gut aus – aber ist es wirklich noch gut? Aus Unsicherheit landet es im Abfall. Dabei bedeutet «mindestens haltbar bis» nicht automatisch «ungeniessbar ab». Viele Produkte sind noch Tage oder Wochen später bedenkenlos konsumierbar. Trotzdem landen jährlich rund 2,8 Millionen Tonnen Lebensmittel in der Schweiz im Müll – viele davon wären noch essbar gewesen.
Auch in der Zentralschweiz bewegt das Thema. Im Kanton Luzern laufen verschiedene Projekte gegen Foodwaste, etwa «Food Save Luzern» oder Kooperationen mit dem Verein United Against Waste (zentralplus berichtete). Eines davon läuft unter dem Namen «MHD+» und wird von der NGO Foodwaste.ch mit Sitz in Bern gemeinsam mit dem Kanton Luzern getragen. Gerade in der Aufbauphase sei die finanzielle Unterstützung des Kantons Luzern eine treibende Kraft gewesen, erzählt Erika Bauert, Co-Projektleiterin bei Foodwaste.ch, auf Anfrage.
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wie der Verkauf von abgelaufenen Lebensmittel funktioniert
Die Reduktion von Foodwaste ist eine Massnahme aus dem Planungsbericht Klima und Energie des Kantons Luzern. Die Massnahme aus dem Handlungsfeld Entsorgung und Recycling trägt zur Erreichung des Klimaziels «Netto Null 2050» bei. Denn rund ein Drittel der geniessbaren Nahrungsmittel wird zurzeit als Foodwaste entsorgt, schreibt Chiara Letter, Fachspezialistin Abfallbewirtschaftung der Dienststelle Umwelt und Energie, auf Anfrage. Insgesamt investiert der Kanton Luzern für die Jahre 2022 bis 2026 pro Jahr 76'000 Franken in verschiedene Projekte.
Das Projekt «MHD+» ermöglicht es kleinen und mittleren Betrieben, Produkte auch nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums weiterzuverkaufen – sofern sie qualitativ einwandfrei sind. Die rechtliche Grundlage dafür sind zwei Leitfäden, welche im Jahr 2021 im Auftrag des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) durch die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) entwickelt wurden.
Mit Stickern können Betriebe Produkte, die das Ablaufdatum überschritten haben, neu kennzeichnen. Je nach Produktkategorie sind Lebensmittel nämlich 6, 14, 30, 90, 120 oder 360 Tage über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus noch ohne gesundheitliche Risiken essbar. Die Idee dahinter: weniger Verschwendung, mehr Verwertung. Und die Leute zu sensibilisieren, dass auch ihre Lebensmittel zu Hause nicht sofort in den Güsel müssen.
500 Betriebe machen mit
Seit Anfang 2024 ist das Projekt aktiv, aktuell nehmen rund 500 Betriebe aus der ganzen Schweiz teil. Bis Ende 2026 sollen es 4500 sein. Ein ambitioniertes Ziel, aber eines, das gemäss Bauert realistisch ist. «Die Zahl der teilnehmenden Betriebe nimmt stetig zu. Es wird langsam zu einem Selbstläufer.»
Auch in der Zentralschweiz wächst das Interesse: In Luzern und Zug sind je 15 Betriebe beteiligt – vom Bioladen über Molkereien bis zu Drogerien. In Zug sind nebst dem Landwirtschaftlichen Bildungs- und Beratungszentrum LBBZ Schluechthof auch alle Filialen von Spar und TopCC dabei.
Die NGO stellt sogenannte Startersets zur Verfügung – kostenlos. Darin enthalten sind Etiketten, die ein neues Haltbarkeitsdatum angeben, sowie Anleitungen zur richtigen Beurteilung der Produkte. 290 von 400 dieser kostenlosen Sets wurden bereits vergeben. Später können weitere Kleber über die NGO gekauft werden. Kostenpunkt: 19 Franken pro Rolle. Verdienen tut Foodwaste.ch daran nicht. «Wir verkaufen die Sticker zum Selbstkostenpreis», sagt Bauert.
Es muss eine Win-win-Situation sein
Viele Betriebe schätzen die einfache Umsetzung. «Man muss lediglich die Etiketten einkaufen, das Personal kurz schulen – fertig», sagt etwa Urs Kunz von der Bäckerei-Konditorei Kunz in Luthern in einem «Best Practice»-Video. Der Luzerner Betrieb nimmt seit einigen Monaten am Projekt teil und sieht keine Nachteile, wie Kunz erklärt. Der Mehraufwand für den Betrieb sei gering, die Wirkung gross und die Kundschaft schätze das Angebot. Er habe mitgemacht, weil ihn die Menge an Lebensmitteln gestört habe, die vernichtet werden mussten, obwohl sie noch einwandfrei waren.
Erika Bauert von Foodwaste.ch sagt, dass es wichtig sei, eine Win-win-Situation für die Betriebe zu schaffen. Die Produkte können bis zum ursprünglichen Datum regulär verkauft werden, erst dann beginnt eine Preisreduktion.
Kundschaft reagiert positiv
Auch bei der Kundschaft kommt das neue Vorgehen gut an. Viele seien froh, einen konkreten Beitrag zur Reduktion von Foodwaste leisten zu können – und sie profitieren davon, einwandfreie Lebensmittel günstiger zu erhalten. Betriebe wie der von Urs Kunz achten darauf, dass sie bei den Rabatten mindestens den Einstandspreis decken, um keine Verluste zu machen.
Die NGO verfolgt mit dem Projekt aber auch ein längerfristiges Ziel: mehr Bewusstsein bei den Konsumentinnen. «Viele Menschen haben heute mehr Angst als früher, Produkte zu essen, deren Datum überschritten ist», sagt Bauert. Sich auf Geruch, Aussehen und Geschmack zu verlassen, reiche vielen nicht mehr. Auf der Projektwebsite gibt es deshalb Vergleichsbilder und Hinweise zur Beurteilung von Lebensmitteln.
Noch wenig bekannt – aber viel Potenzial
Warum machen vor allem kleinere und mittlere Läden mit? Grosse Detailhändler wie Migros oder Coop setzen auf eigene Massnahmen im Rahmen des nationalen Aktionsplans gegen Lebensmittelverschwendung. Zudem habe es laut Bauert Vorbehalte gegen zusätzliche Etiketten gegeben, die Konsumentinnen abschrecken könnten. Einheitliche Labels auf nationaler Ebene wären für Bauert wünschenswert – damit klar erkennbar ist, worum es geht.
Das Projekt läuft noch bis Ende 2026. Wie es danach weiter geht, ist offen – das Material soll weiterhin bezogen werden können. Ausserdem wünscht sich Foodwaste.ch eine Ausweitung des Projekts auf die Gastronomie. Bauert ist jedoch realistisch: «Die Massnahmen und rechtlichen Grundlagen sind da, aber der Aufwand wäre wieder gross.» Auch hinsichtlich des berühmten «Kantönligeists».
Arbeitet seit 2020 bei zentralplus und betreut den Bereich Gastronomie.
In Luzern und Zug aufgewachsen und schon seit bald 20 Jahren als Texter und Autor unterwegs. Steht privat gerne am Herd und war während mehreren Jahren als Assistenz einer Luzerner Störköchin tätig.