Bier-Sommelière Linda Betzing

«Ich verstehe nicht, weshalb man ‹Schützepfütze› sagt»

Die gebürtige Deutsche Linda Betzing ist sogenannte Floor-Managerin im Zuger «Freiruum». (Bild: Elia Saeed)

Der Bier-Boom in der Schweiz bricht nicht ab. Die Steinhauserin Linda Betzing ist eine von immer mehr Frauen, die sich zur Bier-Sommelière ausbilden lassen. Die Ausbildung sei happig – doch die Erfolge zeigen, dass es keine Bier-Idee ist.

Seit einigen Jahren erlebt die Schweiz einen regelrechten Bier-Boom. Letztes Jahr gab es mit 1'278 Brauereien, die steuerpflichtige Mengen produzierten oder importierten, fast vier Mal so viele wie noch 2010. Dazu kommt eine unbekannte Vielzahl an Mikro-Produktionen von Privaten. Mit 139 Brauereien pro Million Einwohner hat die Schweiz mit riesigem Abstand die höchste Brauerei-Dichte der Welt – noch vor Tschechien, wo dafür mit Abstand am meisten Bier getrunken wird.

Auf den ersten Blick überrascht der Trend, da der Bierkonsum hierzulande seit Jahrzehnten rückläufig ist. Im Schweizer Schnitt liegt er bei rund 50 Litern pro Kopf und Jahr, 1990 waren es noch 70 Liter. Dafür trinken die Schweizerinnen heute vermehrt einheimische und alkoholfreie Biere, deren Vielfalt sich enorm erweitert hat. Statt nur Lager und Weizen gibt es mittlerweile eine riesige Palette an Hopfenbräu-Arten – von tiefschwarz zu glasig-gelb, von fruchtig-süss zu erdig-herb.

Um diese Feinheiten besser herausarbeiten und bewerten zu können, können Interessierte beim Schweizer Brauerei-Verband seit rund zehn Jahren eine Ausbildung zum Bier-Sommelier machen. Dazu sind die Anforderungen so hoch, dass die Besten der Schweiz gleichzeitig zur Weltspitze gehören. So wurde vergangenen September mit Giuliano Genoni ein Tessiner Bier-Sommelier-Weltmeister. Mit der Steinhauserin Linda Betzing hat kürzlich auch eine Zuger Frau die Ausbildung bestanden. Ihre Geschichte zeigt, welches Niveau der Bier-Boom in der Schweiz bereits erreicht hat.

Die Ausbildung zum Sommelier ist gefragt – und happig

Jedes Jahr machen im Schnitt 200 bis 250 Leute die Schweizer Bier-Sommelier-Ausbildung. «Wir sind immer ausgebucht», sagt der Brauerei-Verband. Für das Zertifikat müssen sieben volle Schultage besucht werden, am achten gibt es den grossen Abschlusstest. Linda Betzing musste die Prüfung wiederholen, wie sie erzählt: «Weil sie recht happig war und ich wegen ein paar wenigen Punkten durchfiel.» Die gebürtige Deutsche mit thailändischen Wurzeln ist ausgebildete Hotelfachfrau mit Erfahrung in 5-Sterne- und Gault-Millau-Restaurants. Nach zwei Jahren als Chef de Service beim EVZ ist sie seit Herbst 2020 im Zuger «Freiruum» tätig.

«Während der Corona-Zeit mussten wir schliessen und ich musste irgendetwas machen, das dem Betrieb und auch mir etwas bringt.»

Linda Betzing

Als sogenannte Front Managerin ist Linda Betzing für die Food-Stände, Bar, Events, Putz-Equipen und Ordnung für den gesamten Bereich zuständig. Dank ihrer Ausbildung zur Bier-Sommelière kann sie im «Freiruum» seit diesem Jahr regelmässig professionelle Bier-Degustationen anbieten. Es sei ein Angebot für Leute, «die gerne Bier verkosten möchten, aber noch keine Eckdaten kennen und mehr wissen wollen». Am Anfang habe es nur eine Handvoll Anmeldungen gegeben. Mittlerweile sei das Angebot regelmässig ausgebucht. Betzing verrät: «Dazu gibt es ein Food-Pairing. Wir bieten Häppchen an und erklären, welches Bier dazu passen würde», sagt Betzing.

Die Steinhauserin Linda Betzing ist eine von immer mehr Frauen in der Schweiz, die sich zur Bier-Sommelière ausbilden lassen. (Bild: Elia Saeed)

Immer mehr weibliche Bier-Sommeliers

Auch wenn ihr Arbeitgeber sie bei der Ausbildung unterstützte und davon profitiert, war es Linda Betzings eigene Entscheidung, Bier-Sommelière zu werden. «Ich bin ein Mensch, der sehr bestrebt ist nach mehr», sagt sie. So wollte sie auch aus der ohnehin schon bestehenden «riesengrossen Bierbar» im «Freiruum» etwas Grösseres machen. «Während der Corona-Zeit mussten wir schliessen und ich musste irgendetwas machen, das dem Betrieb und auch mir etwas bringt.» Als sie der Bierdurst im Sommer vor zwei Jahren einfach nicht verlassen wollte, fasste sie endgültig den Beschluss, die Ausbildung anzugehen.

«Mich interessierte, wie Bier hergestellt wird», sagt Betzing. «Es gibt über 300 Sorten – das wusste ich vorher nicht.» Dank des Gesamtarbeitsvertrags in der Gastrobranche erhielt Betzing finanzielle Unterstützung für die Schulung. Immerhin kostet die Sommelier-Ausbildung etwa 1'800 Franken. Die meisten Teilnehmerinnen brauen selbst oder arbeiten in der Gastronomie. Besonders die Anzahl Brauerinnen ist im Aufschwung: Linda Betzings Klasse bestand zu rund einem Drittel aus Frauen. Sie selbst habe keine Ambitionen, ihr eigenes Bier zu brauen. Mit einem Lächeln sagt sie: «Ich trinke lieber.»

Nicht zu unterschätzender Aufwand

Die Anforderungen der Schweizer Sommelier-Ausbildung seien hoch, erzählt Betzing. «Man muss die Inhalte schon ein bis zwei Mal pro Woche durchgehen, damit man behält, was man lernt.» Gerade wenn man 100 Prozent arbeite, sei der Aufwand nicht zu unterschätzen. An der Abschlussprüfung stolperte Betzing über die Sensorik: «Da hat meine Nase total versagt – dazu war ich auch noch erkältet.»

Neben einem schriftlichen und einem mündlichen gibt es bei der Sommelier-Ausbildung auch einen Praxistest. Zu den Aufgaben gehört beispielsweise, eine neue Bierkarte gemäss einem Thema zu erstellen – in Betzings Fall war das Thema Alpen. «Dann muss man verschiedene Sorten von Alpenbieren kennen und, passend zu den Gerichten auf dem Menü, eine Karte erstellen.» Der Umfang war begrenzt, es durften maximal zwei Seiten sein. «Das war das Schwierigste. Ich hatte vier Seiten – weniger ging nicht.»

Sensorik ist das A und O als Sommerlière

Um den Bier-Sommelier-Test zu bestehen, müssen die Teilnehmer innert 30 Sekunden ein Bier optisch, geschmacklich und in Bezug auf seine Herkunft einordnen können. Und das, auch wenn man das Bier noch nie zuvor gesehen oder gerochen hat. Darüber hinaus wird getestet, ob die angehenden Sommeliers die Fachbegriffe kennen, richtig einschenken oder den Kohlensäure-Gehalt einschätzen können. Leuten, die sich ebenfalls zum Sommelier ausbilden lassen möchten, rät Betzing: «Tragt ja kein Parfüm.» Dazu kommt, dass, je wärmer die Umgebung ist, es desto schwieriger wird, Unterschiede herauszuriechen.

«Bei Wein ist es einfacher, weil es beim Bier ein viel breiteres Spektrum an Geschmäckern gibt.»

Die Sensorik sei das A und O bei der Sommelier-Ausbildung: «Bei Wein ist es einfacher, weil es beim Bier ein viel breiteres Spektrum an Geschmäckern gibt», so Betzing. Gerade Bier-Liebhaberinnen suchten oft «das Aussergewöhnliche». Das wichtigste Qualitätsmerkmal bei Bier sei aber nicht die Besonderheit der Sorte, sondern das Brauwasser. Betzing erklärt: «Weiches Wasser benutzt man in der Regel eher für hellere Biere, härteres und kalkhaltiges eher für Dunkle, weil Malz und Hopfen anders auf dieses Wasser reagieren.» Die Steinhauserin zählt das «Baarer Bier» sowie das helle und das dunkle «Einhornbier» zu den besten der Region. In Bezug auf die Gesamtschweiz sei es das «Quöllfrisch». «Sie haben das beste Quellwasser.»

Der Charakter macht es aus

Die Sommelier-Ausbildung aus purer Neugier zu machen, davon rät Linda Betzing ab. «Wenn man das Wissen nicht verwenden kann, fände ich es eine Verschwendung.» Im «Freiruum» habe sie mit dem neuen Degustations-Angebot die ideale Plattform. Da das Lokal eine gewisse Grösse habe, die viele Brauereien wegen ihrer begrenzten Kapazitäten nicht bedienen könnten, werde hier hauptsächlich das Ostschweizer «Schützengarten» ausgeschenkt. Auch wenn manche Gäste deswegen die Nase rümpften. «Ich verstehe nicht, weshalb die Kundschaft es manchmal ‹Schützepfütze› nennt. Das ist gutes Bier – auch weil es aus einer der ältesten Brauereien in der Schweiz ist.»

Trotz des hohen Schweizer Niveaus bleibt das Bundesland Bayern für Linda Betzing nach wie vor die weltweite Hochburg des Biers. «Weihenstephan ist die Nummer eins, die älteste Brauerei der Welt.» Sie selbst möge am liebsten unfiltrierte Kellerbiere, in denen die Hefestoffe noch drin seien. «Das macht den Charakter aus, ich mag es eher würzig.» Ob sie dereinst auch kompetitiv verkosten will wie der Weltmeister Guiliano Genoni, lässt Betzing offen. Klar ist nur, dass ihre Suche nach mehr weitergeht. «Man lernt nie aus und ich bin dran, mich weiterzubilden.»

«Schützengarten» sei gutes Bier – auch weil es aus einer der ältesten Brauereien in der Schweiz ist, sagt Bier-Sommelière Linda Betzing. (Bild: Elia Saeed)
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3 Kommentare
  • Profilfoto von Rene
    Rene, 01.12.2022, 13:10 Uhr

    Schützepfütze geht gar nicht. Das nennt sich Schüga!

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  • Profilfoto von M. Moser
    M. Moser, 30.11.2022, 17:12 Uhr

    Hmm… früher nannten wir das Bier aus der Brauerei Eichhof entweder «Eikermöuch» oder despektierlich «Rossseich». Rossseich deshalb, weil das Bier in der Stadt Luzern ziemlich lange von Pferdegespannen verteilt wurde.

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  • Profilfoto von Mike
    Mike, 30.11.2022, 09:58 Uhr

    Liebe Linda. Die Nase rümpfen beim Schützengarten, tue ich hier auch, nicht aber in der Ostschweiz. Ich finde, wir haben selbst gute Biere, welche viel näher gebraut werden.
    Schützepfütze kommt von:
    Schütze -> Schützengarten
    Pfütze -> ist ein gebräuchlicher Ausdruck für Bier (=Stange)

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