Flüchtling Tahanur nach der Woche bei zentralplus

«Es macht mir Mut für meine Zukunft»

Tahanur Abdelkader hat eine Woche bei zentralplus gearbeitet.

(Bild: Gian Waldvogel)

Tahanur Abdelkader aus Emmenbrücke hat eine Woche auf der zentralplus-Redaktion gearbeitet. Der Flüchtling aus Eritrea berichtete über seine Erlebnisse in Luzern. Was er davon mitnimmt und welches Fazit zentralplus zieht.

Es war ein Experiment – für beide Seiten. Der anerkannte Flüchtling Tahanur Abdelkader hat eine Woche bei zentralplus ein Schnupperpraktikum absolviert. Der 28-Jährige berichtete von seinen Erlebnissen in Luzern, beispielsweise über die verschneiten Berge, die Pressefreiheit oder die schönsten Plätze der Stadt (hier geht’s zu seinem Blog). 

Sein Fazit nach einer Woche: «Ich habe viel gelernt und zahlreiche Reaktionen erhalten.» Gerade in den sozialen Medien hätten ihm etliche Bekannte positive Rückmeldungen gegeben. Aber auch von Unbekannten wurde er kontaktiert, so beispielsweise vom eritreischen Medienbund, einem Zusammenschluss von Exil-Eritreern und Aktivisten, der an seinen Texten interessiert war. Bei den Leserinnen und Lesern von zentralplus stiess das Experiment durchwegs auf positives Interesse.

Neu war für Tahanur Abdelkader der journalistische Alltag. In Eritrea hatte er zwar Journalismus studiert, konnte aber nicht in seinem Beruf arbeiten (zentralplus berichtete). «Es war zum Beispiel spannend, zu sehen, wie man Titel auswählt.» Zum anderen lernte er auch neue Tools kennen, beispielsweise in der Bildbearbeitung. Er frischte zudem seine Kenntnisse auf. «Ich habe seit sieben Jahren nicht mehr an einem Computer geschrieben», erzählt er. Er besitzt zwar ein Smartphone, aber keinen Computer.

Tastatur und Grammatik

Für zentralplus handelte es sich bei dieser Art Praktikum um ein Novum. «Einerseits war es uns ein Anliegen, bei der Integration von Flüchtlingen einen Beitrag zu leisten, sei er auch noch so klein. Gleichzeitig erhofften wir uns über den Austausch mit einem Journalisten aus einer ganz anderen Region, andere Perspektiven zu erleben», sagt der publizistische Leiter, Christian Hug.

Diese Hoffnung hätte sich allerdings nur teilweise erfüllt. «Tahanur Abdelkader ist ein ausgesprochen höflicher und auch interessierter Praktikant. Seine zurückhaltende Art, die kulturellen Unterschiede und vor allem auch die Sprachbarriere waren aber wohl zu hoch, als dass ein vertiefter, kritischer Dialog auf Augenhöhe realistisch wäre.»

Denn wie erwartet, stellte die Sprache die grösste Herausforderung dar. Tahanur Abdelkader hat zwar ein grosses Vokabular und versteht im Gespräch und beim Lesen vieles. Entsprechend gestaltete sich die Kommunikation einfacher als erwartet – obwohl der eine oder andere zentralplus-Redaktor ein etwas holpriges Hochdeutsch an den Tag legte.

«Journalist zu sein, ist für den Kopf anstrengend.»

Tahanur Abdelkader

Beim Schreiben indessen klappte es mit der deutschen Grammatik oft nicht immer auf Anhieb. Oft verfasste er den grössten Teil der Texte zuerst auf Englisch – meist bereits am Vorabend zu Hause – und übersetzte dann Satz für Satz. Manchmal selber, manchmal mithilfe des Internets. Dessen Tücken sind ihm jedoch bewusst. «Das Internet liefert selten die richtige Grammatik.» Daher half jemand aus der Redaktion bei der Übersetzung seiner Texte.

Nicht gewohnt war sich Tahanur Abdelkader anfänglich auch, seine Person in den Fokus zu stellen. Oft erzählte er in Gesprächen zwar von seinen Erlebnissen, hielt sich dann aber beim Schreiben damit zurück und formulierte relativ wenig Konkretes. Dass für die Leserinnen und Leser aber genau diese Perspektive spannend ist, wurde ihm erst allmählich bewusst.

Viel zu erzählen

Tahanur Abdelkader wird auch in Zukunft schreiben, wenn auch in der Freizeit und nicht hauptberuflich. «Schreiben ist und bleibt mein Hobby – und ich habe viel zu erzählen», sagt er und lacht. «Natürlich würde ich sehr gerne als Journalist arbeiten, wenn ich die Sprache vielleicht einmal perfekt beherrsche.»

Vorerst hofft er, nun eine Festanstellung zu finden, womöglich in der Lagerlogistik. In dieser Branche hat er 2016 in Emmen eine fünfmonatige Grundausbildung absolviert. «Das ist körperlich anstrengend. Journalist zu sein, ist hingegen für den Kopf anstrengend.» Auch wenn der journalistische Berufsweg für ihn zurzeit kaum ein Thema ist, schätzt er die in dieser Woche gemachten Erfahrungen. «Es macht mir Mut für meine Zukunft.»

«Es hat uns wieder einmal vor Augen geführt, wie wertvoll es ist, die Arbeit ohne Angst vor Repressalien durchführen zu können.»

Christian Hug, publizistischer Leiter zentralplus

Auch Christian Hug bezeichnet das Experiment insgesamt als gelungen. «Ich denke, dass es uns wieder einmal vor Augen geführt hat, wie wertvoll es ist, seine tägliche Arbeit ohne Angst vor Repressalien durchführen zu können, auch kritische Fragen stellen zu können. Für dieses Privileg sollten wir dankbar sein.» Insgesamt sei die Woche eine Erfahrung, die man auch anderen Unternehmen nur empfehlen kann.

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