Abschiedsrundgang mit Krienser Stapi Cyrill Wiget

«Es gibt Dinge, für die man in einer Agglogemeinde wie Kriens grausam Geduld braucht»

Lobt das Kulturquadrat, hätte aber gern mehr Grün: Cyrill Wiget, abtretender Stadtpräsident von Kriens. (Bild: jal)

Nach über 20 Jahren auf der Krienser Politbühne tritt Cyrill Wiget Ende August ab. Ein Rundgang entlang politischer Meilensteine und Mankos – mit dem Stadtpräsidenten, der auch in Zukunft keine Ruhe geben wird.

Kaum eine Minute vergeht, ohne dass Cyrill Wiget einen Passanten grüsst. Der Krienser Stadtpräsident und Unternehmer kennt viele und vieles, wie sich auf einem Rundgang zu seinem Amtsende zeigt. «Das Schöne nach 16 Jahren in der Exekutive ist:», erzählt er, «Zu fast jeder Strassenecke hat man eine Beziehung, weil irgendeine Geschichte damit verbunden ist. Mal was Schönes, Spannendes oder auch einen Ärger.»

Ende August tritt der erste grüne Gemeindepräsident im Kanton Luzern aus der Politik zurück. Mit ihm gehen auch die restlichen vier Stadträte, wobei Wiget der Einzige ist, der seinen Posten diesen Sommer freiwillig räumt (zentralplus berichtete).

Insgesamt hat er die Krienser Politik 24 Jahre lang geprägt: 1996 in den Einwohnerrat gewählt, kam er 2004 in den Gemeinderat (der sich inzwischen Stadtrat nennt) und wurde 2015 Stadtpräsident. Zeit also für einen Rundgang – wobei wir mit Cyrill Wiget, Inhaber der Firma Velociped, nicht durch Kriens spazieren, sondern uns dafür auf den Sattel schwingen.

Das urbane Stadthaus – und Kritik an Betonwüste

Erste Station: das neue Stadthaus. Hinter der goldenen Fassade ist seit Anfang 2019 die gesamte Verwaltung vereint. Es ist Symbol der Urbanisierung und des Wachstums von Kriens, das in Wigets Amtszeit offiziell von der Gemeinde zur Stadt geworden ist. Dass man nun quasi «von der Wiege bis zur Bahre» den Bürgern alle Dienstleistungen unter einem Dach anbieten kann, freut Wiget.

Wir steigen auf die Dachterrasse, von welcher der Blick vom Sonnenberg bis zum Pilatus, vom See bis nach Obernau reicht. Cyrill Wiget findet viel Positives, wenn er auf «seine» Stadt schaut. Die Teiggi zum Beispiel oder der Neubau der Genossenschaft GWAK im Lindenpark. Es ist ein anderes Bild, als zu Beginn seiner Amtszeit. Um rund 10 Prozent ist die Krienser Bevölkerung in den letzten 20 Jahren gewachsen, auf über 27’000 Einwohner. Das verlief nicht ohne Nebengeräusche: Kriens stehen gleich mehrere Abstimmungen zu wachstumskritischen Vorlagen bevor, am 27. September über ein Einzonungsmoratorium (zentralplus berichtete).

Kriens wird selten als Bijou dargestellt, kämpft sogar  hin und wieder mit einem negativen Image. Cyrill Wiget hat sich von Anfang an dagegen gewehrt – und tut es noch heute. «Wahrscheinlich bekommen wir nie den Wakkerpreis. Aber Kriens hat viel zu bieten und egal wo man wohnt, in Kriens ist jeder in drei Minuten in der Natur», schwärmt der 57-Jährige.

Klicke durch die Grafik für den virtuellen Rundgang:

Der Blick schweift auf den leeren Stadtplatz vor dem Prestigebau. Viel Kritik musste er einstecken, als öde Betonwüste, auf der sogar die Bäume schlappmachen. «Es stimmt, der Platz lebt zu wenig und müsste begrünt werden», räumt Wiget ein. Dass im Erdgeschoss des Stadthauses ein Kaffee oder ein Laden fehlt, trage nicht zu einem einladenden Ambiente bei. Selbstkritisch hält er fest: «Wir haben es verpasst, im Parterre ein Café einzufordern.» 

Doch die Botschaft ist angekommen. Die Stadt plant nun einen Ideenwettbewerb, um wenigstens dem alten Bahnhofgebäude auf dem Platz neues Leben einzuhauchen (zentralplus berichtete).

Viele Bauprojekte – und grosse finanzielle Probleme

Zu wenig Grün – ein Punkt, den der Grüne Cyrill Wiget auch bei der nächsten Station äussert: dem Kulturquadrat bei der Busschleife, das wir nach ein paar Minuten auf dem Velo erreichen. Sehr geglückt sei die Renovation der ehemaligen Räume von Feuerwehr und Werkhof, sagt Wiget und zeigt auf das backsteinfarbene Gebäude. Doch lediglich ein paar Hochbeete und Pflanzenkübel zieren den Platz beim Jugend- und Kulturzentrum Schappe.

«Die letzten vier Jahre waren nicht meine einfachsten.»

«Wir haben lange über die Gestaltung des Platzes gestritten, am Ende war dies der Kompromiss», sagt Wiget. Heute, nach den heftigen Reaktionen auf den Stadtplatz und angesichts des Klimawandels, würde dieser Entscheid anders ausfallen, glaubt er. «Es braucht halt Zeit, bis allen klar wird: Leben heisst begrünen, Bäume, nicht versiegeln, Gestaltungsräume und Freiräume. Das sind Dinge, für die man in einer Agglogemeinde wie Kriens grausam Geduld haben muss.» 

Und es ist Ausdruck der zwei Kräfte, die nicht nur Wiget in Kriens seit Langem spürt: die bürgerlich-konservative und die alternativ-progressive. Als er 2015 gemeinsam mit Matthias Senn ums Stadtpräsidium kämpfte, obsiegte er nur hauchdünn. Auch das Wahlergebnis 2020 lässt sich so interpretieren: Nachdem im ersten Wahlgang die Grünen gewannen, erfolgte im zweiten Wahlgang die «Korrektur» mit der Abwahl von SP-Frau Luthiger und der Wahl von CVP-Kandidatin Christine Kaufmann als neue Stadtpräsidentin.

Cyrill Wiget auf der Dachterrasse des Stadthauses von Kriens.

Auf die Neuen wartet eine grosse Herausforderung: die Finanzen. Sie sind mit ein Grund für die aktuell grösste Herausforderung der Stadt Kriens: die Finanzen. Die Gemeinde gleist derzeit ein Sparpaket auf, auch eine Steuererhöhung ist vorgesehen (zentralplus berichtete).

«Unsere Generation Gemeinderäte hatte viel zu tun mit den Zentrumsbauten, Sportanlagen, Schulhausbauten, Bahnhof Mattenhof und so weiter», sagt Wiget im Baselbieterdialekt, den er über all die Jahre behalten hat. Ob Stadion, Stadthaus, Kulturquadrat oder Werkhof: Viele Gebäude seien in die Jahre gekommen und mussten erneuert werden. Dass Kriens mit den Kostenüberschreitungen bei einigen Bauprojekten zum Finanzproblem beigetragen hat, streitet Wiget nicht ab. Das eigentliche Problem aber liege deutlich tiefer.

«Wenn wir die Sonnenbergbahn abschalten, sparen wir vielleicht 300’000 Franken – aber was ist das auf ein Defizit von 5 Millionen Franken? Mit Sparen allein ist das Problem nicht gelöst», sagt er. Kriens trage nämlich wie die anderen Agglomerationsgemeinden eine überdurchschnittliche Last. «Luzern und Horw mit Seeanstoss und entsprechenden Steuerzahlern können das kompensieren – Ebikon, Emmen und wir nicht.» Für den studierten Theologen ist darum klar, dass gemeinsam mit dem Kanton über die Aufgaben- und Finanzreform nachverhandelt werden müsse.

Viel Verkehr – und immer weniger Gewerbe

Während das Donnergrollen näherrückt, wird es auch auf unserem Rundgang lauter. Grund sind die Autos, die sich vom Kupferhammer bis Obernau quer durch Kriens schlängeln. «Das ist eine triste Achse», sagt Wiget, für den der Verkehr eines der Themen ist, das noch viel Potenzial aufweist. Nicht nur mit dem Megaprojekt Bypass, wo Kriens für eine Überdachung kämpft (zentralplus berichtete).

«Es ist jetzt 5 vor 12 Uhr, wenn man verhindern will, dass die letzten Gewerbebetriebe verschwinden.»

Sondern auch im Zentrum, wo  die Stadt schon lange  eine Tempo-30-Zone einfordert. «Es ist jetzt 5 vor 12 Uhr, wenn man verhindern will, dass weitere Gewerbebetriebe verschwinden.» Kürzlich hat die Stadt ein Konzept für die städtische Entwicklung vorgelegt. Wiget hofft, dass dieses nicht in der Schublade verschwindet, sondern ein Stadtzentrum entsteht.

Dafür will er auch als Privatperson nach seiner politischen Karriere weibeln. Er wird künftig wieder stärker als Unternehmer im Café Ambrosia und seinem Laden Velociped tätig sein – und hat bereits einige Ideen. «Auch als Unternehmer werde ich an diesem Thema dranbleiben.»

Parkbad und Stadion – und Streit im Gremium

Wir schwingen uns wieder auf den Sattel und düsen Richtung Parkbad. Cyrill Wiget wechselt gekonnt zwischen Trottoir und Radwegen, grüsst da und dort jemanden.

Für den dreifachen Vater ist das Parkbad ein Musterbeispiel im Umgang mit öffentlichem Raum. «Früher war das Bad vier Monate im Jahr offen, heute kann die Bevölkerung es fast das ganze Jahr über nutzen.» Im Winter dient es als Aufenthaltsort und Spielplatz. Trotz breitem Widerstand gegen das neue Projekt setzte sich die Öffnung durch.

Wiget erzählt in aller Ruhe weiter, während die Badegäste bereits hastig ihre Sachen zusammenpacken, der Wind eine Tafel umstösst und die Tropfen immer grösser werden. Noch ein Foto, dann düsen wir schnellstmöglich – Wiget kennt die Schleichwege – Richtung Café Ambrosia ins Trockene.

Im Video blickt Cyrill Wiget auf seine 16 Jahre in der Exekutive zurück:

Ein Gewitter brach in der Vergangenheit auch im Krienser Stadtrat aus. In der Diskussion über die Löhne der fünf Mitglieder und ihrer Pensen war sich das Gremium nicht einig – es kam öffentlich zum Bruch. Die vier anderen warfen Wiget vor, das Kollegialitätsprinzip zu verletzten – der Stadtpräsident konterte (zentralplus berichtete).

«Die letzten vier Jahre waren nicht meine einfachsten», sagt Wiget rückblickend. Es sei ihm nicht gelungen, dass alle Stadträte am selben Strick zogen und sich für eine stärkere Zusammenarbeit einsetzten. Der öffentliche Streit dürfte mit ein Grund gewesen sein für den radikalen politischen Umbruch und den Denkzettel, den es im ersten Wahlgang im Frühling 2020 absetzte.

Mit seinem bereits vor anderthalb Jahren angekündigten Rücktritt hat Wiget diese Kaskade in Gang gesetzt. Er habe den Erneuerungswunsch in der Bevölkerung gespürt – «man ist nah an den Leuten, wenn man ein Café besitzt» – , aber nie so radikal erwartet. Den Generationenwechsel und politischen Neuanfang, den seine Partei stark einforderte, bezeichnet er nun als Chance.

Einige Apéros – und ein Versprechen

Inzwischen haben sich die Wolken verzogen. Luzern Süd, wo sich Kriens ebenfalls stark entwickelt, lassen wir auf unserem Rundgang aus. «Das ist noch keineswegs fertig – man wird wohl erst in 20 Jahren beurteilen können, ob es wirklich funktioniert», meint Wiget.

Der grüne Stadtpräsident trinkt den letzten Schluck seines Pfefferminztees aus. Noch stehen ein paar Abschiedsapéros an, bis er Ende August endgültig den Hut nimmt. Politisch wird Wiget aber nicht verstummen. «Viele sagen ja, dass man nach dem Rücktritt nichts mehr von ihnen hört – und fünf Jahre später können sie trotzdem nicht auf ihrem Mund hocken», sagt er und lacht. «Da bin ich lieber gleich von Anfang an ehrlich.» 

Cyrill Wiget, hier im Parkbad, hat auch schon einige politische Stürme erlebt. (Bild: jal)
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