Das Darmgesicht im Luzerner Kunstmuseum

Erwin Wurm: Ein Künstler mit viel Selbstironie

Der Künstler Erwin Wurm vor einer Wand mit seinen Zeichnungen.

(Bild: Marlis Huber)

Der österreichische, international erfolgreiche Künstler Erwin Wurm stellt im Luzerner Kunstmuseum 600 neue Zeichnungen aus. Ironisch, intuitiv und mehrdeutig verarbeitet er darin, was ihn so umtreibt im Leben.

Kurz nachdem sich die Medienrunde im Museumscafé des KKL eingefunden hat, gesellt sich der Künstler dazu. Freundlich, unaufgeregt, nahbar und direkt aus New York sitzt er nun bei uns und wird später auf der Runde durch den Ausstellungsraum über seine neusten Arbeiten berichten. Er sei etwas müde, weil er die ganze Nacht im Flugzeug verbracht habe, meint er als Erstes.

Erweiterter Skulpturbegriff

Erwin Wurm, 1954 im österreichischen Bruck/Mur geboren, gehört heute zu den international ganz erfolgreichen Künstlern, seine Werke werden mittlerweile in den Museen rund um den Globus ausgestellt. Bekannt wurde er in den 1990er-Jahren mit nichts anderem als Staub, den sogenannten Staubskulpturen, später waren es die «Pulloverarbeiten» und ganz berühmt sind seine «One Minute Sculptures» geworden: Museumsbesucher, die durch Handlungsanleitung des Künstlers für kurze Zeit zur lebenden Skulptur werden.

Sein Interesse gilt seit Beginn seines Schaffens dem Alltäglichen, Naheliegenden, dem menschlichen Körper und seinen Tätigkeiten. Künstlerisch beeinflussen liess er sich insbesondere von Joseph Beuys und Andy Warhol.

Viele ironische Selbstbildnisse

Für die aktuelle Ausstellung «Peace & Plenty», die am Freitag im Kunstmuseum Luzern eröffnet wurde, hat sich der Künstler jedoch auf Zeichnungen, Wasserfarbenbilder und Collagen beschränkt. Die Idee dazu sei im Jahre 2015 entstanden, als Wurm an einer Gruppenausstellung im Luzerner Kunstmuseum beteiligt war, erklärt die Kuratorin Eveline Suter. Die meisten der versammelten 600 Werke sind seither extra für diese Ausstellung entstanden, hergestellt mit Farbstift, Kugelschreiber, Wasserfarbe oder mit Filzstift.

«Peace & Plenty» sei übrigens der Name des kleinen, heruntergekommenen, aber wunderbaren Hotels auf den Bahamas, so der Künstler, wo er sich zeitweise aufgehalten habe. Zu sehen sind die Bilder allesamt in einem einzigen Saal, als breites, ausuferndes Band durchziehen sie eng nebeneinander gehängt die Ausstellungswände. Thematisch vereinigen sie sich zu mehrteiligen Werkgruppen mit Titeln wie «Asthma», «Longing» oder «Waffen». Weiter gibt es kubistisch anmutende Arbeiten, Porträts, darunter auffallend viele Selbstbildnisse, sowie Zeichnungen der bereits erwähnten «One Minute Sculptures».

Zahlreiche Bilder von Erwin Wurm.

Zahlreiche Bilder von Erwin Wurm.

(Bild: Marlis Huber)

Die letzte Werkgruppe zeigt mit Filzstiften übermalte Fotografien aus Hochglanzmagazinen; es sind bekannte Politiker und Schauspielerinnen, die jedoch mit wenigen Linien zu unkenntlichen Skulpturen verfremdet wurden. Etwa Liz Taylor, Hillary und Bill Clinton, auch Donald Trump fehlt nicht. Unter den vielen Porträts finden sich aber auch Heinrich von Kleist, Georg Büchner, Thomas Mann, Samuel Beckett oder die vom Künstler besonders geschätzte Friederike Mayröcker.

Mit Intuition und Witz dringt Verdrängtes an die Oberfläche

Dieser Künstler versteht es exzellent, gesellschaftliche Tabus, Verdrängtes und Unbewusstes mit Ironie und Witz darzustellen. Dafür ist er sich selbst am allerwenigsten zu schade. «Ich habe mich intensiv mit Gurken und Würsten auseinandergesetzt», sagt  Erwin Wurm beispielsweise vor einem entsprechenden Selbstporträt, das den Blick auf das richtet, was sich unter der Gürtellinie befindet.

Oder das Darmgesicht: eine lustige Idee, die Verfressenheit des Menschen darzustellen, eine ironische Anspielung auf ein in Scham verdrängtes Organ – oder deckt sich da gar die Intuition eines Künstlers mit den neuesten Forschungserkenntnissen, wonach der Darm immer mehr als ein zweites Gehirn erkannt wird? Was bezüglich der Werkinterpretation auffällt: Sowohl die Ausstellung als auch der Ausstellungskatalog sind konsequent ohne schriftliche Erläuterungen gehalten. Die Deutungshoheit liegt damit klar beim Betrachter, und das ist ganz gut so.

 

Am Samstag, 9. Juni, 14 Uhr, ist die Kuratorin Eveline Suter im Gespräch mit dem Künstler Erwin Wurm. Die Ausstellung «Peace & Plenty» ist in Kooperation mit dem Albertina Museum in Wien entstanden und dauert bis am 23. September 2018. Anschliessend wir die Ausstellung in Wien gezeigt. Zur Ausstellung erscheint ein Ausstellungskatalog, der um die 470 der ausgestellten Bilder zeigt.

Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum.

Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum.

(Bild: Marc Latzel)

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