«Möchten Sie mitrudern?»

Er schickt Flüchtlinge aufs Wasser

Zug sei eine «Silent City», sagt Künstler Sören Berner (rechts): Die Flüchtlingsthematik schlage hier keine hohen Wellen. Jetzt schlägt sie wenigstens kleine. (Bild: yzg)

Zwei Flüchtlinge rudern in einem kleinen Boot. Nein, das ist keine der aktuellen, tragischen Szenen auf dem Mittelmeer. Es ist ein normaler Samstagnachmittag am Zugersee. Was ist da los? Wir wagen eine seltsame Fahrt. 

Asylbewerber rudern über den Zugersee – und nehmen Passanten mit. Die beiden Flüchtlinge in den Booten «Voyager 1» und «Voyager 2» sind aber nicht in Panik dabei, ihr Leben zu retten. Sie sind Teil einer Kunst-Performance mit dem Titel «Silent City».

Und die hat das Zeug dazu, eine gewaschene Debatte anzustossen. Flüchtlinge für die Kunst wieder aufs Wasser schicken? Der Künstler Sören Berner beschäftigt sich im Rahmen des aktuellen Zuger Kunstprojekts «Ohne Rast» mit der Thematik der Vertriebenen und Getriebenen. So liess er die eigens fürs Projekt engagierten Asylbewerber am Samstagnachmittag über den See rudern. Und setzt auch Einheimische zu ihnen ins Boot.

«Möchten Sie gerne mitfahren?»

Doch zuerst rudern die zwei alleine. Was im ersten Moment willkürlich aussieht, hat einen klaren Ablauf – sie zeigen eine Choreographie: «Silent City» schreiben sie in grossen Buchstaben ins Wasser. Eine Stadt wie Zug bezeichnet Sören Berner als Silent City. Eine Stadt, in der die Flüchtlingsproblematik stillschweigend zur Kenntnis genommen wird und keine grossen Wellen schlägt. Als verbindendes Element sieht er dabei das Wasser. Auch wenn der See vielleicht nicht das ideale Speichermedium für Schrift sei, so Berner, hinterlassen die beiden Bootsfahrer in Zug trotzdem ihre Spuren.

Und wirklich, sie fallen auf, die beiden Flüchtlinge. Bei strahlendem Sonnenschein ähnelt der See mit Altstadt und Bergen einer Postkarte. Dieses malerische Bild brechen die zwei Männer mit ihren leuchtenden Schwimmwesten. Die Spaziergänger am Ufer bleiben stehen, viele schauen interessiert, aber auch skeptisch. Sie sind zu Recht irritiert, schliesslich ist es keine alltägliche Szene, welche sich ihnen dort zwischen Pedalo und Kursschiff bietet. Eine Info-Tafel am Quai erklärt das Kunstprojekt.

«Ich verlange nicht viel, ich möchte nur respektiert werden»

Rudernder Asylbewerber

«Möchten Sie gerne mitfahren?», fragt Sören Berner jene, die stehen bleiben – aber die meisten lehnen dankend ab. Es brauche durchaus Mut, ein solches wackeliges Boot unter der Führung einer fremden Person zu besteigen, gibt Berner zu. Das Wasser sei zudem auch die Schwierigkeit gewesen, bei der Suche nach teilnehmenden Asylbewerben. Viele hätten Angst vor dem Wasser und vermutlich traumatische Erfahrungen gemacht.

Hinaus aus dem sicheren Hafen

Gelegentlich findet der sympathische Künstler dann doch mutige Passanten, die sich zu einem der Ruderer gesellen. Im Boot «Voyager 1» treffen sie auf einen Äthiopier, der das Steuer übernimmt. Der Bootsführer wirkt ernst, die Sonne treibt ihm Schweissperlen auf die Stirn. Er lässt sich aber bereitwillig in ein Gespräch verwickeln. Das Kunstprojekt fände er eine gute Sache. Generell, Kunst sei wichtig und überall auf der Welt präsent. Er erzählt mit ruhiger Stimme; von fehlender Demokratie, Diskriminierung und seinen persönlichen Erwartungen. Der Mann sagt: «Ich verlange nicht viel, ich möchte nur respektiert werden.»

Sie wollen mitrudern?

Wer selbst einmal Teil von «Silent City» sein möchte, hat am Zuger Alpenquai am 26. September und am 3. Oktober die Möglichkeit. Interessierte können dann mit Asylbewerbern für einmal im selben Boot sitzen. Infos gibts unter diesem Link.

Es lässt sich nur erahnen, was er schon alles durchgemacht hat. Ein befremdender Gedanke, wenn der Blick dabei vom Wasser aus über das friedliche Zug schweift. Gemächlich gondelt das Boot durch den Hafen. Der Ruderer lenkt sein Gefährt gekonnt und bringt es nach einiger Zeit zurück ans Ufer. Die Versuchung, die Fahrt und das schöne Wetter zu geniessen war da und doch wollte es nicht recht gelingen. So gehen die Mitfahrer nicht ungern wieder zurück ans Festland. Natürlich nicht, ohne sich höflich für den kleinen Ausflug zu bedanken, bevor «Voyager 1» mit dem Mann in alarmierender Schwimmweste wieder ins Wasser sticht.

 

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