Weinflaschen zu putzen, braucht weniger Energie als aus Scherben neue zu formen. Das ist der Grund, warum Samuel Laubi das einzige Sortier- und Reinigungswerk für Mehrwegflaschen betreibt – und dabei etlichen Widrigkeiten trotzt.
Meterhoch stapeln sich leere Weinflaschen, auf Paletten und in Gitterkästen. Es riecht nach abgestandenem Wein. Ein Förderband rattert und knattert, ruckelt munter in die Höhe, was gewissenhafte Zuger zuvor nicht durchs Einwurfloch eines Altglascontainers geschossen, sondern in einen eigens dafür bereitgestellten Sammelbehälter gelegt haben. 50 Gitterpaletten leerer Weinflaschen sind bei dieser Wochenlieferung aus dem Kanton Zug zusammengekommen – knapp 10 mehr als üblich.
Und schon bricht ein Scherbengewitter los. Klirr, klirr, klirrrr! Was nicht verwendet werden kann, landet im Container.
800 verschiedene Flaschenformen
Willkommen bei der Vetrum AG im zürcherischen Wettswil. Hier werden gebrauchte Weinflaschen aus der ganzen Schweiz sortiert, gereinigt und wieder auf den Markt gebracht. Nicht weniger als 2'500 Tonnen werden hier im Jahr wiederverwertet. Es ist die schweizweit grösste Anlage dieser Art – und auch die einzige. Und im Vergleich mit dem grössten Glaswerk der Schweiz in St. Prex VD doch ein Zwerg: Bis zu 1 Million Wein- und Bierflaschen werden dort am Tag hergestellt. 120'000 Tonnen Glas waren es letztes Jahr.
Auch wenn an diesem Morgen mächtig was los ist: Das Geschäft mit den Mehrwegflaschen lief auch schon besser. Das weiss niemand besser als Samuel Laubi, Inhaber und Geschäftsführer der Vetrum AG; ein braungebrannter Fast-Fünfziger, der mit seinem gelockten mittellangen Haar und dem Dreitagebärtchen ohne Weiteres auch als Surflehrer durchgehen würde – wäre da nur nicht das zu glatt gebügelte Karohemd. Auch wenn er «nicht jammern» will: Seine Maschinen, sie brummen längst nicht immer so munter wie an diesem Morgen. Aus mehreren Gründen.
Ein ganz gewichtiger: Es landen immer unterschiedlichere Flaschentypen in den Sammelgittern. Dominierten einst einige wenige den Markt, sind heute gegen 800 Flaschenformen im Umlauf. Internationale Standards? Davon ist der Markt weit entfernt. Verpackungsindustrie und Marketing haben eine Entwicklung angestossen, die kaum zu bremsen, geschweige denn rückgängig zu machen ist, glaubt Laubi.
Und tatsächlich ruckelt so einiges übers Förderband: grüne, braune und weisse Weinflaschen, lang gezogene und bauchige, massive und zerbrechliche. Selbst einige Mostflaschen schaffen es bis hierher. «Alles, was die Schweiz halt so trinkt», sagt Laubi.
Die unscheinbare Standardflasche
Eine Mitarbeiterin – von gesamthaft 20 Angestellten – beäugt jedes einzelne Exemplar, das auf dem Band vorbeizieht. Ihr Interesse weckt dabei weder die pflastersteinschwere Malbec- noch die filigrane Prosecco-Flasche. Erst als ein hundskommunes «Halbeli» oder Top50, wie die Flasche im Fachjargon heisst, vorbeizieht, greift sie blitzschnell zu. Diese Flasche darf weiterleben, sofern sie auch die finale Kontrolle besteht, nach dem Waschgang. Da überprüfen Maschine und Mensch nochmals jedes Exemplar auf etwaige Mängel.
Laubi hat versucht, mit dem Zeitgeist zu gehen, hat sein Sortiment laufend erweitert. Rund 80 verschiedene Flaschentypen sortiert er heute aus – und doch wandern noch bis zu zwei Drittel des angelieferten Leerguts nicht in die Waschanlage, sondern in den Container. So sehr das Laubi schmerzt, ändern kann er nichts. Denn für Flaschen, die hier in der Schweiz in zu geringen Mengen zirkulieren, «lohnt sich der Aufwand schlicht nicht». Zu wenige von ihnen lassen sich aus den Sammelgittern fischen. Zu unsicher ist es, für sie einen Abnehmer zu finden.
Letztere sind in einer ungleich komfortableren Position, haben von den Entwicklungen im Markt profitiert. Wer heute Glasflaschen kaufen will, profitiert nicht nur von einem wachsenden Sortiment, sondern auch von Preisen, die in der Schweiz über die vergangenen Jahre um bis zu 10 Prozent gesunken sind. Die ausländische Konkurrenz macht Druck, die Margen schmelzen dahin.
Was für die Grossen im Geschäft mindestens unangenehm ist, trifft Laubi ungleich heftiger. Mit seinen gewaschenen Flaschen muss er nämlich den Preis von neuen zwingend unterbieten. Nur so hat er eine Chance, seine Ware an die Frau zu bringen. «Am Ende zählen nur die Preise», weiss Laubi, der in der Finanzbranche tätig war, bevor er den Betrieb vor 12 Jahren übernommen hat.
Der ökologische Gedanke zählt
Um so mehr, als gereinigte Flaschen hygienisch anfälliger sind als neue. Wasserrückstände können nicht ganz vermieden werden. Die Flaschen müssen deshalb möglichst rasch nach ihrer Reinigung befüllt werden. Laubi: «Das ist für die einen zu umständlich und schreckt gerade Produzenten von hochwertigen und teuren Tropfen ab.» Immerhin: «Einige kleinere Weinbauern, aber auch grössere Abfüller beziehen bei uns aufbereitete Flaschen – aus ökologischen Gründen.»
Das ist denn auch der Hauptgrund, warum Laubi allen Widrigkeiten zum Trotz weitermachen will. «Ökologisch geht die Rechnung noch immer auf.» Selbst wenn über die Hälfte der angelieferten Flaschen verscherbelt werden. Selbst wenn die Flaschen für 40 Minuten in einem fast 80 Grad heissen Natronlaugenbad gewaschen werden. Denn Glasscherben bei 1600 Grad einzuschmelzen, um neue Flaschen zu produzieren, benötigt ein Vielfaches an Energie. Das belegen zahlreiche Studien. Die Energiebilanz von Mehrwegflaschen fällt umso vorteilhafter aus, je mehr Nutzungszyklen sie durchläuft.
Sein Vater war ein Mitgründer
Ein Kurswechsel in der Recyclingpolitik zeichnet sich gleichwohl nicht ab. Um zu überleben, hat Laubi deshalb nicht nur regionale Partnerschaften intensiviert, sondern sich auch diversifiziert. So zählt inzwischen auch der Handel mit neuem Flaschengut zu seinem Geschäft. Die Firma bietet auch reine Wasch- und Abfüllaufträge an, mischt im Transportgeschäft mit. Sogar eigene Flaschen hat das Unternehmen schon kreiert.
Dabei ist das Sortieren und Waschen, das Flaschen-vor-dem-Scherbenhaufen-Retten, für Laubi eine Herzensangelegenheit. Sein Vater hat das Werk mitgegründet, nach Ölkrise und Warnungen der gemeinnützigen Organisation «Club of Rome». Er selbst ist zwischen Förderbändern und Glasflaschen grossgeworden – und weiss doch: «Wir können uns nicht komplett gegen den Markt stemmen.»
Laubi bleibt Hoffnung, ja Zuversicht. Dass die gegenwärtigen Umweltdebatten auch die Prioritäten im Recycling verschieben. Dass wieder mehr Flaschen gewaschen, statt zu Scherben verarbeitet werden. Dass nicht alleine Wirtschaftlichkeit Trumpf ist.
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Sig Sigenthaler, 17.08.2019, 12:58 Uhr Gründer waren richtig gesehen die Gebrüder Frei
👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runterBestgen Erwin, 15.08.2019, 18:01 Uhr «Er schenkt den Zuger Weinflaschen ein neues Leben» , ich vermisse den in diesem Artikel erwähnte Kasten, in dem ersichtlich sein könnte, wo diese Flaschen gesammelt werden!
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