Doppelmordprozess vor Zuger Obergericht

«Epileptischer Anfall» versus «kaltblütiger Doppelmörder»: War alles ganz anders?

Das Zuger Obergericht folgte nur in Teilen dem Urteil der Voristanz. (Bild: mbe)

Im Berufungsprozess kritisiert der Verteidiger die Zuger Untersuchungsbehörden. Die Millionärin S. sei an einem epileptischen Anfall gestorben, sein Mandant habe sie nicht ermordet. Er habe eine Sex-Affäre mit ihr gehabt und sei nicht der «kaltblütige Räuber und Doppelmörder», als den man ihn darstelle. Die Staatsanwältin entgegnet, der Mann sei untherapierbar, gefährlich und für immer wegzusperren.

Am Nachmittag des Doppelmord-Prozesses geht es hoch zu und her (zentralplus berichtete: Hier geht’s zum ersten Teil). Der Verteidiger des beschuldigten 50-jährigen Handwerkers griff an der Verhandlung vor dem Zuger Obergericht zum verbalen Zweihänder: Daniel U. Walder kritisierte in seinem zweieinhalbstündigen Plädoyer die Polizei, die Staatsanwaltschaft, ja sogar seinen Vorgänger.

Aber von vorne: Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Millionärin S. und ihre Haushälterin vom Beschuldigten erdrosselt und dann beraubt wurden. Laut Walder ist das alles falsch. Alle Indizien, die zugunsten seines Mandanten sprächen, seien ausgeblendet worden. «Wie bei den Medien stelle ich bei den Untersuchungsbehörden eine gewisse Sensationslüsternheit fest. Sie halten stur an der Theorie vom Doppelmord fest.» Polizei und Staatsanwaltschaft seien krass einseitig vorgegangen und hätten alles ausgeblendet, was zugunsten seines Mandanten sprach.

«Leichte Fesselspiele praktiziert»

Laut Walder habe sich alles ganz anders abgespielt. Sein Mandant habe in Wirklichkeit ein Verhältnis mit S. gehabt. Es sei eine Sexaffäre gewesen. Frau S. habe nicht immer nur nobel und gepflegt gelebt. «Sie hatte auch eine andere, derbere Seite.» Deshalb auch die Affäre mit dem Handwerker. Walder erwähnte spezielle Sexpraktiken wie leichte Fesselspiele. Die Millionärin sei zudem schwanger geworden vom Beschuldigten.

Der Mann habe im Februar 2009 die vermögende Frau besucht, um die Beziehung zu beenden, sagt Walder. Er habe mit ihr reden wollen. Da die Haushälterin anwesend war, habe er sich gestört gefühlt. Er habe so getan, als ob er etwas am Fenster hantieren müsse. Im Schlafzimmer hätten sie sich dann ungestört unterhalten.

Dann habe Frau S. plötzlich einen epileptischen Anfall erlitten, habe gehechelt und gestöhnt und sei zusammengesackt. Der Mann habe die Frau aufgehoben, sie in Seitenlage gelegt und sich über sie gebeugt. Die Haushälterin sei sodann ins Zimmer gekommen und habe laut geschrien, als sie den Handwerker über ihre Chefin gebeugt sah.

«Daraufhin hat er sie getötet, mit einem wahnsinnigen Kraftaufwand.»

Daniel Walder, Verteidiger

Der Mann, der in dieser Zeit viel Kokain konsumiert habe, sei überfordert gewesen von der Ausnahmesituation. Walder spricht von einer «Kokainpsychose» und einem «wahnhaften Zustand». Er habe nur seine Ruhe haben wollen und hätte die Haushälterin gefesselt und geknebelt. Als sich der Knebel gelöst habe, habe sie erneut geschrien.

«Daraufhin hat er sie getötet, mit einem wahnsinnigen Kraftaufwand.» (Die Frau wurde mit einem zu einem Strick gedrehten Body erdrosselt.) Später habe der Mann «wirr» einige Sachen mitgenommen und das Ganze als Raub aussehen lassen wollen. Die Raubabsicht stellt der Anwalt aber in Frage.

Verteidiger verlangt neue Untersuchung

Walder schildert also einen völlig anderen Tathergang als die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Er verlangt neue psychologische Gutachten. Diese seien fehlerhaft, weil sie bezüglich des Kokainkonsums von falschen Annahmen ausgegangen seien. Der Kokainkonsum des Beschuldigten sei viel höher gewesen als festgestellt.

Der Verteidiger verlangt, die ganze Sache der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen, «damit diese den Sachverhalt sauber abklären kann». In seinem Plädoyer erklärte er, dass auch die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit eines epileptischen Anfalls von S. irgendwann eingeräumt habe.

«Wie kommt ein solcher Mann dazu, zwei Menschen wegen eines Raubes umzubringen?»

Gabriela Alther, Staatsanwältin

«Sollte das Obergericht die Sache nicht zurückweisen wollen, bin ich klar der Meinung, dass der Beschuldigte Frau S. nicht getötet hat.» Er sei deshalb von diesem Mordvorwurf freizusprechen. Bei der Haushälterin fehle es an der Skrupellosigkeit für einen Mord, sein Mandant sei einfach «ausgerastet». Es käme höchstens eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung in Frage. Er sei ausserdem bestenfalls wegen des Diebstahls und weiterer Delikte angemessen zu verurteilen.

Der Zürcher Anwalt Daniel U. Walder verteidigt den Beschuldigten. Er gab den Journalisten Interviews. Die Staatsanwältin wollte nichts sagen.

Der Zürcher Anwalt Daniel U. Walder verteidigt den Beschuldigten. Er gab den Journalisten Interviews. Die Staatsanwältin wollte nichts sagen.

(Bild: mbe.)

Gefängnisstrafe unter 10 Jahren

Bei der Strafzumessung für die Tötung der Haushälterin sei der massive Kokainkonsum seines Mandanten zu berücksichtigen. Dieser entlaste seinen Mandanten. «Eine Freiheitsstrafe von deutlich unter zehn Jahren ist unserer Ansicht nach angemessen.» Zur Verwahrung sagte der Verteidiger, diese scheitere nicht nur an den «falschen Gutachten». Der Anwalt bezweifelt ausserdem, dass die festgestellte dissoziale Persönlichkeitsstörung des Mannes nicht therapierbar sein soll, und verweist auf Fachliteratur.

Walder kritisierte ebenfalls seinen Vorgänger, den ersten Verteidiger. Dieser habe seinen Mandanten ungenügend betreut, aber eine riesige Honorarnote vorgelegt. «Es gab keine Besprechung vor der ersten Einvernahme. Und sein Geständnis hätte mit dem Beschuldigten unbedingt vorbesprochen werden müssen.»

Die Sicht der Staatsanwaltschaft

Staatsanwältin Gabriela Alther, welche sich kurz hielt in ihrem Plädoyer, beschreibt den Beschuldigten ganz anders als die Verteidigung. Nämlich als eher unauffälligen Handwerker und Familienvater. «Wie kommt ein solcher Mann dazu, zwei Menschen wegen eines Raubes umzubringen?», frage sie sich. Er habe die Taten grundsätzlich gestanden, so Alther.

Alther fordert eine lebenslange Verwahrung des Täters, wie sie die «Verwahrungsinitiative» vorsieht. Es gibt zwei Gutachten über den Mann: Das eine diagnostiziere bei ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen. Im Vergleich mit anderen Tätern liege die Rückfälligkeitsgefahr «im oberen Bereich», so die Staatsanwältin. Das zweite Gutachten spreche von einer «hohen Wahrscheinlichkeit», dass er erneut eine solche Tat begehen könnte. Der Mann habe zudem leicht psychopathische Züge. «Dazu kommt, dass er seit 1982 immer wieder delinquiert hat», fügt die Staatsanwältin hinzu.

Täter sei untherapierbar

Der Mann sei überdurchschnittlich intelligent und vordergründig sozial kompetent. Der erste Gutachter rät deshalb von therapeutischen Massnahmen ab, weil der Beschuldigte die Therapie zu seinen Gunsten manipulieren könnte. Bei einer Drogensucht könne man eine Therapie anordnen. «Wir sprechen aber von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung, bei der es laut Gutacher momentan keine erfolgversprechende Therapie gibt», so Gabriela Alther.

Der Mann sei nicht behandelbar und deshalb nach der Freiheitsstrafe, die maximal 20 Jahre dauert, für den Rest des Lebens zu verwahren, um die Öffentlichkeit zu schützen.

Alther sagt, man habe in der Verhandlung eindrücklich einen Beweis für die Persönlichkeitsstörung des Beschuldigten erlebt. «Seine Aussagen sind hanebüchen. Er sucht nach wie vor überall die Fehler, ausser bei sich selbst.» Natürlich könne er eine andere Meinung haben als die Staatsanwaltschaft. Aber sie hätte sich nach der langen Haft mehr Einsicht vorgestellt.

Am Freitagmorgen können die verschiedenen Parteien auf die heutigen Aussagen reagieren. Zentralplus wird über die Fortsetzung des Prozesses berichten und Sie auf dem Laufenden halten.

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