Wie das «Bahnhöfli» dem Beizensterben trotzt

Entlebuch: Der singende Wirt hat den Kochlöffel weitergegeben

Generationenwechsel in Entlebuch: Willi Felder (rechts) hat das Restaurant Bahnhöfli von seinen Eltern Vreni und Willy übernommen.

(Bild: Remo Wiegand)

37 Jahre lang hat Willy Felder im Entlebucher Traditionslokal «Bahnhöfli» gekocht – und nebenbei Arien gesungen. Nun hat er das Zepter an seinen Sohn Willi weitergereicht. Der 32-Jährige, der sein Handwerk unter anderem bei Starkoch Anton Mosimann lernte, macht kaum etwas anders. Aber das kreativ.

Der Wechsel war von langer Hand geplant: Sohn Willy, Gewinner des Goldenen Kochlöffels, folgte im «Bahnhöfli» als Chefkoch auf seinen Vater. Dieser hatte noch eine ziemlich einfache, deftige Küche aufgetischt. Willy machte so ziemlich alles neu: Er garnierte die Karte mit hochwertigem Rindsfilet statt deftigen Schweinswädli und freute sich auf gediegene Dîner-Gäste, die zu den Hauptessenszeiten sein Lokal beehren sollten.

«Nach drei Monaten bin ich zur Karte meines Vaters zurückgekehrt. Ich hatte mich völlig überlupft», bekennt Willy Felder. Die Gäste kamen mehrheitlich erst nach 21 Uhr, nach der Vereinsprobe, wenn Willy schon die Küche putzte. Und sie wollten die bekannte, währschafte Hausmannskost, mit der neuen Haute Cuisine waren sie überfordert. Vorerst. Später führte Willy Felder dann doch eine etwas gediegenere Küche ein, aber so gemächlich, dass die Gäste mitkamen.

Neues Design, alter Name

Das war 1980. Nun hat das «Bahnhöfli» einen weiteren Generationenwechsel erlebt – den fünften. Willy (62) und seine Frau Vreni Felder (57) haben den Betrieb ihrem Sohn Willi Felder übergeben. Der 32-Jährige hat aus dem Fehler seines Vaters gelernt: «Step by step» und vorerst im Kleinen möchte er Änderungen einführen. Die Karte soll sukzessive verkleinert und dem Lokal bald ein frisches Interieur verpasst werden, ein neues, schlank-elegantes Firmendesign liess er bereits entwerfen.

Willi Felder ist detailverliebt, er schwärmt vom rauen Altpapier des frischen Prospekts oder den in Schüpfheim gefertigten neuen Tontellern. Für einen grösseren Wurf, etwa einen Wechsel des etwas altbackenen Namens «Bahnhöfli», sieht Willi aber keinen Anlass: «Wir haben uns kurz überlegt, ob wir den Namen des Lokals ändern. Wir liessen uns auch beraten. Namensänderungen, hiess es dort, sind dann sinnvoll, wenn etwas nicht gut läuft. Aber bei uns lief und läuft es gut.»

Willi Felder hat auch schon am Geburtstag von Prinz Charles gekocht.

Willi Felder hat auch schon am Geburtstag von Prinz Charles gekocht.

(Bild: Remo Wiegand)

Das bewährte Hausrezept des «Bahnhöfli» heisst: eine Fusion von Moderne und Tradition, von Weltküche und Dorfbeiz. Zur Vorspeise lockt zum Beispiel Lachs mit Quinoa und Dillfeigensenf, zur Hauptspeise der FC-Entlebuch-Sponsorenteller (Cordon bleu, Pommes frites, ohne Gemüse), zum Dessert «Brönnti Niedlecrème», serviert mit Caramelglace mit Himalaya-Salz. Felders legen grossen Wert auf heimische Produkte, die Preise sind moderat. Dafür verzichten sie freiwillig auf Gault-Millau-Punkte.

Wie überlebt eine Beiz?

Gastroverbände sprechen gerne von einer «hohen Dynamik», der Volksmund lieber vom Beizensterben: Zwischen 2014 und 2016 verschwanden in der Schweiz 1000 Restaurants, geblieben sind rund 21'000. Zu kämpfen haben besonders Beizen auf dem strukturschwachen Land. Im Entlebuch standen oder stehen noch immer mehrere Traditionslokale länger leer, so das Kurhaus in Flühli oder in Heiligkreuz oder der «Adler» in Schüpfheim.

Warum schaffen es so viele Restaurants nicht? «Man darf nicht zu früh aufgeben», rät Chefkoch Willi Felder vom «Bahnhöfli», das seit bald 120 Jahren von der gleichen Familie geführt wird. «Es braucht lange, bis man etabliert ist. Die Leute essen oft lieber das, was sie schon kennen.» Schwierige Faktoren für Wirte seien überdies die Suche nach gutem, treuem Personal und die steigenden Anforderungen der Lebensmittelkontrolle. «Insgesamt haben wir in der Schweiz aber einfach auch ein gastronomisches Überangebot», sagt Willi Felder.

Die Mischung aus edel und einfach funktioniert. Die Stammgäste hätten zwar festgestellt, dass es jetzt ein wenig «gehobener» zu und her geht, das hindert jedoch die wenigsten Normalbürger daran, hier einzukehren. Die relativ gute Auslastung an einem gewöhnlichen Donnerstagnachmittag zeugt davon: Im Restaurant klopfen sechs Senioren einen Jass, im kleinen Säli erholt sich eine zwölfköpfige Basler Wandergruppe weit über das Mittagessen hinaus von den Marschstrapazen.

Der Angestellte des Sohnes

Über das Kochhandwerk hinaus erlangte das «Bahnhöfli» Bekanntheit durch das Hobby des vormaligen Chefkochs: Willy Felder singt seit 1975 auf der Operetten-Bühne Entlebuch. Die daraus entstandenen Singabende, in denen Willy Felder sowohl den Kochlöffel als auch seine Stimme schwingen liess, erlangten Kultstatus. Der singende Koch singt und kocht nach wie vor, seinen nächsten Kombi-Auftritt hat er am 13. April.

Und wie ist es für den Seniorchef, in der Küche nun plötzlich nach der Pfeife seines Sohnes tanzen zu müssen? «Das ist schon schwierig», gesteht Willy Felder. «In 37 Jahren Selbstständigkeit gewöhnt man sich an viel Freiheit. Man hat ein grosses Wissen und kann das ausspielen. Heute muss ich neu lernen, mich in die Jungen zu versetzen und mich anzupassen.»

Willy Felder, der «singende Wirt».

Willy Felder, der «singende Wirt».

(Bild: Staatskanzlei Luzern)

Keine Frage, Willi ist anders gestrickt als sein emotionaler, gmögiger Vater. «Singen werde ich jedenfalls nicht», macht er klar. Er ist ein eher nachdenklicher, ruhiger Typ, ein pragmatischer, kerniger Chrampfer mit Managerqualitäten. Auch er hat Visionen, einen «Masterplan», wie er sagt, aber alles zu seiner Zeit.

Zunächst versucht er tröpfchenweise das in die heimische Küche einzuführen, was er von verschiedenen Spitzenköchen mit nach Hause gebracht hat. Seine Lehr- und Wanderjahre führten Willi Felder nach Meggen («Balm»), nach Nebikon («Adler»), nach Wengen, schliesslich nach Guernsey und London. Bei Anton Mosimanns Spitzen-Catering in London bereitete er Gala-Diners für den Geburtstag von Prinz Charles oder das Thronjubiläum der Queen vor. «Ich habe sehr breite Erfahrungen gesammelt», erzählt Willi Felder. «In London musste ich für 700 Mahlzeiten Kartoffeln auf Tellern anrichten, in Nebikon kochte ich mehrmals am Abend Risotto à la minute.»

Linear und wild

Typisch für Willi Felders Eigenart ist wohl eine Episode aus London: Er sollte Couscous kochen und fragte dabei seinen Sous-Chef mehrmals, wie er diesen gerne hätte. Willi bekam keine Antwort und ging ans Werk. «Als dann der Küchenchef sah, wie ich ihn gekocht hatte, war er ausser sich. Er knöpfte sich aber nicht mich vor, sondern den Sous-Chef. Ich hörte, wie es im Kühlraum zu einem lauten Gespräch kam. Danach kam der Küchenchef immer mit direkten Aufträgen auf mich zu.» In Willi Felders Ruhe lag die Kraft, in der Küchenhierarchie aufzusteigen. Vielleicht konnte er sich aber auch mehr Gelassenheit leisten, weil der Chefposten im Entlebucher «Bahnhöfli» stets auf ihn wartete.

Jetzt, da er ihn innehat, geniesst Willi Felder es jedenfalls, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Vorderhand merkt der Gast vor allem an neuen Tellerkreationen, dass in der Küche eine neue Sprache gesprochen wird. «Heute ist es modern, die Speisen in Linien anzurichten – oder auch wilder. Das kann mein Sohn einfach schöner und besser», lobt Willy Felder seinen Nachfolger, und lässt ihn machen.

Das «Bahnhöfli» in Entlebuch wird in fünfter Generation von der Familie Felder geführt.

Das «Bahnhöfli» in Entlebuch wird in fünfter Generation von der Familie Felder geführt.

(Bild: Remo Wiegand)

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