Udligenswiler Opposition gegen Küssnachter Projekt

Energiezentrum sorgt schon vor dem Bau für dicke Luft

Karin Henseler wohnt knapp 600 Meter vom geplanten Energiezentrum entfernt – und in der selben Talsenke. Weil sie um die Gesundheit ihrer Familie fürchtet, hat sie sich an einer Einsprache beteiligt. (Bild: Fabian Duss)

Im Küssnachter Weiler Haltikon soll ein Energiezentrum entstehen. Die Anlage soll dereinst 8’000 Haushalte mit Ökostrom und 6’000 Haushalte mit Fernwärme versorgen – ein Teil davon dürfte in den Kanton Luzern gehen. Seit einigen Monaten jedoch wächst der Widerstand gegen das Projekt. Nicht etwa in Küssnacht, sondern in der Luzerner Nachbargemeinde Udligenswil.

Beflügelt durch ihren Erfolg im heimischen Schwyz, plant die Agro Energie Rigi nun die Eroberung des Grossraums Küssnacht. Vergangenes Jahr verkündete sie ihre Pläne für den Bau des Heizzentrums Haltikon. Direkt an der Kantonsgrenze zu Luzern und unmittelbar neben der Schilliger Holz AG will sie für 80 Millionen Franken ein Holzheizkraftwerk und eine Pelletieranlage bauen und Fernwärmeleitungen nach Küssnacht ziehen. Zu einem späteren Zeitpunkt könnten auch die Luzerner Gemeinden Greppen, Udligenswil und Adligenswil angeschlossen werden.

Rund die Hälfte des Rohstoffes soll Restholz aus der benachbarten Sägerei sein, weitere 41 Prozent zugeführtes Altholz aus Perlen und acht Prozent regionale Waldhackschnitzel. Die Anlage soll Ökostrom für rund 8’000 Haushalte und Fernwärme für 6’000 Haushalte produzieren.

Interessierte Kunden – und kritische Anwohner

Das klingt alles schön und gut – nicht aber in den Ohren der Anwohner. Während das Projekt in Küssnacht kaum für Diskussionen sorgt, weht den Agro-Initianten aus Udligenswil ein rauer Wind entgegen: Anwohner und der Gemeinderat haben umfangreiche Einsprachen eingereicht, die kaum ein gutes Haar am geplanten Energiezentrum lassen. Das Projekt sei überdimensioniert und der Standort denkbar schlecht, heisst es da. Man befürchtet noch mehr LKW-Verkehr, Geruchs- und Schadstoffemissionen und bezweifelt, dass die Agro Energie Rigi dereinst genügend Kunden für ihre Abwärme findet.

Siegeszug im Schwyzer Talkessel

Im Wintersried in Seewen wird geklotzt, nicht gekleckert. Rund 100 Millionen Franken hat die Agro Energie Schwyz in den letzten Jahren in ihr Energiezentrum investiert. Es besteht aus einer Biogasanlage und einer Holzfeuerung. Weitere 18 Millionen Franken fliessen zurzeit in den Bau eines zweiten Kraftwerks, welches im Herbst in Betrieb genommen werden soll und die bisherige Produktionskapazität verdoppelt.

Trotz eines kostspieligen Grossbrandes im September 2012 blickt die Firma auf einen Siegeszug im Schwyzer Talkessel zurück. 2009 lieferte sie zum ersten Mal Wärme an ihre Kunden und baute ihr Fernwärmenetz kontinuierlich nach Brunnen, Rickenbach, Seewen und Morschach aus. In der Startphase profitierte die Agro wie niemand anders vom kurzlebigen, kantonalen Fördertopf: Rund 450 Heizanlagen wurden damals unterstützt, zwei Drittel davon Agro-Anschlüsse.

Nach eigenen Angaben beliefert die Firma heute rund 590 Kunden im Talkessel Schwyz, was etwa 4'500 Haushaltungen entspricht.

Dass ausgerechnet aus Udligenswil Widerstand gegen das Projekt erwächst, erstaunt nicht. Im April 2013 stellte die Agro den Küssnachtern das Projekt vor – auf einen Infoanlass in Udligenswil verzichtete sie. Es scheint, dass sie einzig ihre potenziellen Kunden, aber nicht die Anwohner des Energiezentrums auf dem Radar hatte.

Durch Einsprachen aufgeschreckt

Nun, ein Jahr später und aufgeschreckt durch die Einsprachen, standen die Agro-Initianten mitsamt einem Tross von Fachleuten den Udligenswilern Red und Anwort. Mit 120 Personen war der Pfarreisaal bis auf den letzten Platz gefüllt. «Ob man diesen Anlass nicht hätte früher machen sollen, ist tatsächlich eine berechtigte Frage», gibt Urs Rhyner, Leiter Strategie und Innovation der Agro Energie Schwyz im Nachhinein zu.

Während sich an der Veranstaltung einige an Fernwärme interessierte Hausbesitzer meldeten und auf einen ungewissen Anschlusszeitpunkt in mindestens drei Jahren vertröstet wurden, meldeten sich die Einsprecher und Kritiker zu Wort. Baptist Reichmuth und Ernest Schilliger, die Initianten der Agro Energie Rigi, überliessen das Reden grösstenteils den Fachleuten. Geduldig und ausführlich beantworteten diese die Fragen, welche insbesondere im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeit des Projekts gestellt wurden. «Ich denke, dass wir bei einem Grossteil der Anwesenden etwas Skepsis abbauen konnten», bilanzierte Urs Rhyner nach der Veranstaltung.

Wo landen die Schadstoffe?

Karin Henseler sieht das etwas anders. Sie wohnt mit ihrer Familie und mehreren Pferden knapp 600 Meter vom geplanten Heizzentrum entfernt in derselben Talsenke. Sie fürchtet auch nach dem Infoanlass um die Gesundheit ihrer Familie. Henseler hat sich deswegen an einer der Einsprachen beteiligt und setzt sich seit eineinhalb Jahren intensiv mit Umweltaspekten der geplanten Anlage auseinander. «Der Standort ist falsch gewählt und die Agro will ihn sich auf Biegen und Brechen passend machen», sagt sie.

«Der Standort ist falsch gewählt».

Karin Henseler, Anwohnerin und Mit-Einsprecherin

Dabei denkt sie an die beantragte Waldrodung, die nötige Einzonung von 274 Quadratmetern Landwirtschaftsland, das Gesuch zur Unterschreitung des gesetzlichen Waldabstands und die nahe Grundwasserversorgung Udligenswils. Dass die Firma nur immer gerade soviel preisgebe, wie nötig sei und unangenehme Aspekte erst kommuniziere, wenn sie danach gefragt werde, mache sie misstrauisch, sagt Henseler. Ihre Hauptsorge betrifft aber die Geruchs- und vor allem die Schadstoffemissionen.

Kontroverse zu Luftmessungen

Dem entsprechenden Fachbericht, der in den 155-seitigen Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) eingeflossen ist, liegen nämlich Luftmessungen zugrunde, die eineinhalb Kilometer weiter weg beim Küssnachter Golfplatz gemacht wurden. «Hier in der Talsenke hängt im Winter oft wochenlang eine zähe Nebelglocke», berichtet Henseler. «Der geplante Kamin reicht nicht mal über den Wald hinaus. Es wird uns voll treffen.» Dem widerspricht der Hauptverfasser des UVB vehement. Die verwendeten Meteodaten genügten als Berechnungsbasis und heikle topografische Lagen und Wettersituationen seien einkalkuliert worden, sagt Jan Sutter. «Die Schadstoffe werden fachgerecht und in genügender Höhe über den relevanten Luftschichten abgegeben. Die Luftsituation wird sich weder in Haltikon, noch in Udligenswil verändern.»

«Es ist nicht einfach so, dass man nach Erhalt der Baubewilligung machen kann, was man will».

Jan Sutter, Hauptverfasser Umweltverträglichkeitsbericht

Gemäss dem UVB emittiert die projektierte Holzverbrennung jährlich höchstens 3,5 Tonnen Staub, je 53 Tonnen Kohlenmonoxid und Stickoxide, 18 Tonnen Gesamtkohlenstoff C, 1,8 Tonnen Blei und Zink und 11 Tonnen Ammoniak. Sutter betont, diese Angaben seien Maximalwerte, die sich aus den gesetzlichen Grenzwerten errechnen lassen. Überdies würden am Kamin Abluftmessungen vorgenommen und die Einhaltung der Grenzwerte überprüft. «Es ist nicht einfach so, dass man nach Erhalt der Baubewilligung machen kann, was man will», insistiert er.

Trotz diesen Beteuerungen bleiben bei Karin Henseler Zweifel und Befürchtungen. Die Agro ist zwar zu Emissionsmessungen verpflichtet, nicht aber zu Immissionsmessungen in der Umgebung. Deshalb forderte die Grünliberale Partei Habsburg neulich in einem offenen Brief kontinuierliche Messungen der Schadstoffbelastung rund um Haltikon. GLP-Nationalrat Roland Fischer bezeichnete nach dem Infoanlass die Ausführungen der Fachexperten als glaubhaft, pocht aber nach wie vor auf regelmässige Immissionskontrollen.

Verkehrszunahme durch Altholztransport?

Besonders besorgt zeigt sich Henseler über den Bleiausstoss des Energiezentrums. Blei wird emittiert, wenn vorbelastetes Altholz verbrannt wird. Sogenannt «problematische Holzabfälle» dürfen im geplanten Energiezentrum aber nicht verbrannt werden. Das Altholz wird vor der Anlieferung in Perlen manuell aussortiert und in Haltikon sind Eingangskontrollen vorgesehen. Auch wenn es passieren sollte, dass vorbelastetes Altholz unentdeckt bleibe und im Energiezentrum verbrannt werde, bestehe kein Grund zur Sorge, beschwichtigt UVB-Verfasser Jan Sutter. «Die Anlage wäre auch dafür richtig ausgerüstet.» Bei einwandfreiem Altholz würden die Grenzwerte deutlich unterschritten.

Die Altholz-Frage beschäftigt auch den Udligenswiler Gemeinderat. Marco Zgraggen, der Gemeindeammann, hat seine Zweifel an den im UVB ausgewiesenen Stoffflüssen. «Was ist, wenn die Schilliger Holz AG mal ein schlechtes Jahr hat und nicht genügend Restholz zuführen kann?», fragt er. Dann gehe die Rechnung nämlich nicht mehr auf: Es müsse mehr Altholz herantransportiert werden und die prognostizierte Verkehrsabnahme könnte sich in das Gegenteil verwandeln.

Gemeinderat: Anlage ist überdimensioniert

Der Udligenswiler Gemeinderat bezweifelt zudem stark, ob die Agro letztlich so viele Wärmeabnehmer finde, wie erhofft. Auf der Küssnachter Bezirksverwaltung geht man ebenfalls von einer geringeren Nachfrage aus, nicht zuletzt weil noch weitere Wärmeanbieter auf den Markt drängen. «Auch wenn die Agro in der Öffentlichkeit die Produktion von Fernwärme in den Vordergrund rückt, geht es ihr klar um die Stromproduktion», betont Zgraggen. Der Gemeinderat habe nichts gegen die angewandte Technologie, aber das Projekt mache ökologisch nur Sinn, wenn die Abwärme der Stromproduktion vollumfänglich genutzt werde. Deswegen halte er das Projekt klar für überdimensioniert.

«Diese Argumentation beruhigt mich nicht».

Marco Zgraggen, Gemeindeammann Udligenswil

Bei der Agro sieht man das anders: «Es ist Sache und Risiko des Unternehmers, wie gross er seine Anlage konzipiert», hält Urs Rhyner fest und erinnerte am Infoanlass daran, dass das Holzheizkraftwerk auch ab einer Teillast von 40 Prozent betrieben werden könne. Zudem erhalte die Agro für ihren Strom nur KEV-Beiträge, wenn genügend Abwärme genutzt werde. «Diese Argumentation beruhigt mich nicht», kommentiert Gemeindeammann Zgraggen knapp.

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