Mitsprache der Bevölkerung

Endlich ein System, damit die Einsprachen abnehmen

Impression von der «Ergebniskonferenz» im Verkehrshaus Luzern im April. (Foto: Marc Benedetti)

Zug und Luzern setzen auf «partizipative Mitwirkungsverfahren»: Bei der Planung wichtiger Projekte soll die Bevölkerung mitreden dürfen. Das System ist durchdacht und die Einsprachen nehmen bereits ab. Nur die Parlamentarier rümpfen ihre Nasen.

Unter «moderierter partizipativer Prozess» kann man sich wenig vorstellen. Das folgende Beispiel lässt eher ein Bild im Kopf entstehen: 500 Leute, Junge und Ältere, Linke, Rechte, Mittewähler, diskutieren an einem Workshop, wie sich ihre Wohngemeinde in der nächsten Jahren entwickeln soll. Wo müssen die politischen Behörden die Schwerpunkte setzen? Bürgerinnen und Bürger mit unterschiedlichen Meinungen versuchen also gemeinsam, Ideen und Visionen für die Gemeinde zu entwickeln.

Funktionieren solche «Zukunftskonferenzen»? Die Antwort ist Ja. Denn laut Erfahrungen liegt selbst bei Gruppen mit Konflikten die Summe der gemeinsamen Werte höher als die Summe der Differenzen. Anders gesagt: Die Leute eint mehr, als sie trennt. Die Idee solcher Meetings mit der Bevölkerung kommt aus den USA und wurde erstmals Ende der 1980-er-Jahre ausprobiert.

Zahl der Einsprachen nimmt ab

Die Gründe, warum die Behörden die Bevölkerung vermehrt einbezieht, sind laut Paul Krummenacher von der Firma «Frischer Wind – AG für Organisationsentwicklungen»: «Zum einen will man damit vermeiden, dass sich immer nur die gleichen Gruppen bei politischen Fragen äussern. Ausserdem nimmt die Zahl der Einsprachen bei Baugesuchen massiv ab.»

Ein prominentes Beispiel, bei dem stark auf die Mitwirkung der Bevölkerung gesetzt wurde, ist der Stadttunnel Zug. Im Juli kommt das 950-Millionen-Projekt ins Zuger Kantonsparlament. Dass es die Vorlage überhaupt so weit geschafft hat, führt der Zuger Regierungsrat und Baudirektor Heinz Tännler auf den direkten Einbezug der Bevölkerung und aller Interessengruppen während der Planungsphase zurück. Vom VCS bis zum TCS, den Quartiervereinen, den betroffenen Grundeigentümern – alle erdenklichen Personen wurden einbezogen. «Wir machen das jetzt bei allen grossen Bauprojekten so», sagt Heinz Tännler, «es nützt nichts, im stillen Kämmerlein ein Projekt zu planen, das die Ingenieure überzeugt, das aber auf der Behördenebene oder später beim Volk Schiffbruch erleidet.» Er ist zufrieden mit dem erzielten Ergebnis: «Der partizipative Prozess und die Kommunikation sind sehr aufwendig, aber es lohnt sich.»

Beim Stadttunnel-Projekt haben die Behörden von Stadt und Kanton Zug zuerst eine «Projekt-Governance», eine Art Vertrag unterzeichnet. Darin einigten sie sich auf das gemeinsame Vorgehen und die zu erreichenden Ziele. Beim Mitwirkungsverfahren unterschied man dann zwei Gruppen: Die «organisierte Öffentlichkeit» (Parteien, Verbände, Gewerbe- und Quartiervereine etc.) konnte sich während des Planungsprozesses im Begleitgremium und in themenspezifischen Fachgruppen einbringen. Für die nicht-organisierte Öffentlichkeit, also alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, fanden öffentliche Verkehrsforen statt, die bis zu 600 Personen besuchten.

Der Luzerner Stadtrat hat ebenfalls auf öffentliche Mitwirkung gesetzt, und zwar bei der Gesamtplanung 2014-2018, seinem strategischen Steuerungsinstrument. Wie lief der Prozess 2012 in Luzern ab? Zuerst hielt der neue Stadtrat einen internen Strategie-Workshop ab und stellte seine Thesen zur Entwicklung Luzerns auf. Dann wurde eine Bevölkerungsbefragung durchgeführt und es gab zwei öffentliche Foren.

An diesen wurde intensiv diskutiert und debattiert und manches bestätigt, was schon die Bevölkerungsumfrage gezeigt hat. Zum Beispiel, dass die Luzerner am meisten die Verkehrsproblematik und die Wohnraumpolitik beschäftigen. Ein konkretes Feedback der Ergebniskonferenz im Verkehrshaus Luzern war, dass sich die Anwesenden mehr Mut vom Stadtrat wünschten.

Spezialisierte Firmen führen Regie

An solchen Grossveranstaltungen führen Mitarbeiter spezialisierter Firmen bei den Debatten Regie, damit die Sache  geordnet und zielgerichtet verläuft. In Luzern war für die Moderation der Grossanlässe die Firma «Frischer Wind» besorgt. «Bei einer Veranstaltung mit 150 Teilnehmern kommen rund 1500 Jahre Erfahrung zusammen», sagt Paul Krummenacher von «Frischer Wind». Wie er auf diese Zahl kommt: Jede Person habe sich gedanklich schon mindestens 10 bis 15 Jahre mit den Kernfragen des Workshops auseinandergesetzt. Da komme ein gewaltiges Wissen zusammen.
In Zug war es das Büro Synergo, ein unabhängiges Forschungs- und Beratungsunternehmen aus Zürich. Co-Inhaber Walter Schenkel erklärt: «Die Zuger sind auf mich zugekommen, weil ich für den Bund eine Studie über Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren in der Verkehrsplanung durchgeführt habe.» Synergo habe den ganzen Prozess begleitet, analysiert und die Feedbacks ausgewertet. Die Moderation hätten Heinz Tännler und der Zuger Stadtpräsident Dolfi Müller selber gemacht. «Sie waren an den Veranstaltungen persönlich präsent und hatten dadurch eine hohe Glaubwürdigkeit», sagt Walter Schenkel.

Skeptische Stimmen

Der Prozess der öffentlichen Mitwirkung hat aber nicht nur Befürworter. Gewisse Parlamentarier befürchten, dass man die Meinungsbildung und ihre freie Entscheidung mit «Vorentscheiden» einschränkt und fühlen sich unter Druck gesetzt. Der Zuger Baudirektor Heinz Tännler sagt dazu: «Einzelne Kantonsräte monieren, wir setzten ihnen ein fixfertiges Projekt vor, das sogar die Meinung der Bevölkerung repräsentiere – nach dem Motto Friss oder stirb. Dazu könnten sie ja nicht mehr viel sagen.» Es sei nicht die Absicht, die Kompetenzen der Kantonsräte zu beschneiden, sagt Tännler.

Paul Krummenacher von «Frischer Wind» betont, dass es immer um die Vorbereitung von Entscheiden gehe. «Die demokratischen Entscheidungsprozesse werden dadurch nicht unterlaufen», sagt er. «Wer von einem Entscheid betroffen ist, wird einfach in die Findung einbezogen. Entschieden wird aber weiterhin von den dafür eingesetzten gewählten und zuständigen Instanzen. Das tönt lapidar, muss aber im Prozess immer wieder betont werden.»

Zeichen der Ratlosigkeit?

Die «Basler Zeitung» stellte schon 2004 die Frage: «Sind solche Zukunftskonferenzen ein guter basisdemokratischer Mobilisierungsversuch oder der Ausdruck einer gewissen Ratlosigkeit der Behörden angesichts wachsender Probleme?» Der Politologe Andreas Ladner antwortete: «Vermutlich von allem etwas.»

Öffentliche Beteiligung und die Lust daran, kann aber auch zum Frust werden. Dann nämlich, wenn die Teilnehmer solcher Veranstaltungen den Eindruck gewinnen, ihr Ideen würden in den Mühlen des Politapparats und der Verwaltung zunichte gemacht oder schubladisiert. Dann wird die Partizipation als «Alibiübung» betrachtet.

Damit das nicht passiert, gibt es laut Paul Krummenacher drei erfolgskritische Elemente: Zweck und Handlungsspielraum des Verfahrens müssen klar definiert werden. «Den Beteiligten muss ganz klar sein, wo innerhalb des Entscheidungsprozesses sie genau welchen Beitrag leisten können.» Die öffentliche Verwaltung müsse ausserdem am Prozess beteiligt werden und nicht einfach Empfängerin der Resultate sein, dann trage sie später die gemeinsam entwickelte Basis besser mit. Als drittes gibt Krummenacher den Tipp, gezielt Interessengruppen anzusprechen (zum Beispiel Wirtschaftsvertreter, Quartierbewohner, Vereine, Kirchenleute etc.). Der Grund: «Weil der Begriff der Bevölkerung früher zu breit gefasst wurde, sind die partizipativen Verfahren in der Vergangenheit oft von den aktiven Gruppen in einem Dorf oder einer Stadt instrumentalisiert worden.»

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