Aufstand der Zuger Gemeinderäte

Einfluss des Stadtschreibers löst Unbehagen aus

Hält viele Fäden in seinen Händen: Der Zuger Stadtschreiber Marin Würmli (Bild: zvg)

Martin Würmli ist nicht nur Zuger Stadtschreiber, sondern auch ausgebildeter Rechtsanwalt, Ex-Politiker, Blockchain-Spezialist und Sportsfreund. Zudem engagiert er sich im Gesundheitswesen. Eigentlich ist der Mann für Zug ein Glücksfall. In Frage gestellt wird jedoch seine Doppelrolle als verlängerter Arm des Stadtrats im Parlament.

Die Einflussmöglichkeiten und der Gestaltungsspielraum des Zuger Stadtschreibers geben Mitgliedern des Zuger Stadtparlaments zu denken. Viele Gemeinderäte befürchten, dass Martin Würmli nicht unabhängig genug von seinem Brötchengeber agieren kann. Als Stadtschreiber ist er vom Stadtrat angestellt, gleichzeitig für das Büro des Grossen Gemeinderates (GGR) tätig. Über die Traktandierung von Geschäften oder mit seinen juristischen Ratschlägen könne er im Sinne der Exekutive Einfluss auf die Legislative nehmen, so die Befürchtung.

Jedenfalls haben 27 von 40 Gemeinderäte eine Motion des Grünliberalen Stefan W. Huber unterschrieben. Dieser regt die Schaffung eines unabhängigen Ratssekretariats an. Der Vorstoss wurde am Dienstag im GGR stillschweigend überwiesen.

Links und rechts vereint

Vertreterinnen aller Fraktionen von links bis rechts haben den Vorstoss unterzeichnet. Das hat Seltenheitswert. Einzig aus den Reihen der im Stadtrat doppelt vertretenen FDP gibts keine Unterzeichner – obwohl es auch bei den Freisinnigen Sympathien für die Idee gibt, wie Recherchen von zentralplus ergaben.

Huber will den Vorstoss nicht als gegen Würmli gerichtet verstanden wissen. «Im Gegenteil: Für die Stadt ist es wunderbar, dass er einen guten Job macht.» Indes sei die Unabhängigkeit des Stadtschreibers als Bindeglied zwischen Stadtrat, Parlament und Verwaltung in der Gemeindeordnung vorgesehen.

Emanzipation gegenüber dem Stadtrat

Ein Ratssekretariat könne den Parlamentsbetrieb effizienter gestalten, sagt Huber. Und mehr Ressourcen freimachen für die Milizpolitiker, die auf unabhängige Informationen angewiesen seien. Im Interesse einer sauberen Gewaltenteilung unterhalten daher verschiedene andere Schweizer Städte ein Ratssekretariat – nicht nur grosse wie Zürich oder Basel, auch kleine wie Wetzikon oder Liestal.

In der Tat wurde der Stadtschreiber von Zug früher vom Volk gewählt. Nach wie vor steht das auch in der Gemeindeordnung. Doch heute bestimmt übergeordnetes Recht – konkret das kantonale Gemeindegesetz –, dass im Kanton Zug die Exekutiven die Gemeindeschreiber anstellen. Deshalb musste die Praxis geändert werden.

2006 war das Parlament dagegen

Das Thema eines unabhängigen Ratssekretariats ist also ein Dauerbrenner in der städtischen Politik. Die Frage stand bereits 2005 und 2006 zur Debatte. Eine Spezialkommission des Parlaments wog die Argumente ab, entschied sich aber dagegen. «Die Entlastung für den Stadtschreiber beträgt maximal 10 bis 15 Prozent», schrieb sie in ihrem Antrag. Das Parlament folgte der ablehnenden Empfehlung im Jahr darauf.

Damals wurden in Zug die Prioritäten also anders gesetzt. Aber der langjährige Stadtschreiber Arthur Cantieni schied nach einigen Jahren in Unfrieden, sein designierter Nachfolger sah sich 2014 genötigt, noch in der Probezeit zu kündigen. Die «Neue Zuger Zeitung» hatte entdeckt, dass er einen Anbau an seinem Haus im Ennetsee ohne Baubewilligung vorgenommen hatte.

In St. Gallen stark engagiert

Dann kam der damals 36-jährige Martin Würmli nach Zug. Der Sankt Galler Anwalt war zuvor Chefbeamter – Sekretär im Gesundheits- und Sozialdepartements des Kantons Appenzell Innerrhoden. Gleichzeitig hatte er sich in seinem Heimatkanton für die CVP engagiert: als Mitglied des St. Galler Stadtparlaments, als Präsident der Stadtpartei und als Präsident der kantonalen Jung-CVP. Er sass im politischen Beirat des lokalen Fussballclubs, engagierte sich fürs Springreiten und gehörte zum Vorstand des TCS.

Dass er seinen Lebensmittelpunkt so plötzlich in die Zentralschweiz verlagerte, lag an seiner Frau. Sie stammt aus Zug. Das internationale Umfeld reizte Würmli, der sich neben seinem Job in Weiterbildungen stürzte. 2018 publizierte er an der Fachhochschule St. Gallen seine Masterarbeit zu den Auswirkungen der Blockchain-Technologie auf öffentliche Verwaltungen. Zwei Jahre zuvor war er am Entscheid des Zuger Stadtrats beteiligt, als erste Gemeinde Bitcoin als Zahlungsmittel zu akzeptieren.

Verwaltungsrat der Spitalverbunde

Seine Verbundenheit mit der Ostschweiz hat Würmli nie aufgegeben, verfolgt auch heute noch regelmässig das dortige Geschehen. 2017 wurde er als Nachfolger des St. Galler CVP-Stadtrates Nino Cozzio gehandelt. Er hatte gute Chancen, gewählt zu werden, verzichtete aber auf einen Wechsel. Die Zuger Stadtregierung, welche ihm die Freigabe erteilt hatte, musste nicht schon wieder einen neuen Schreiber suchen.

2018 wurde Würmli in den Verwaltungsrat der Spitalverbunde des Kantons St. Gallen gewählt. Ambitionen auf ein Exekutivamt werden dem mittlerweile 42-Jährigen immer noch nachgesagt. Die Zuger Stadtregierung muss theoretisch bei jeder Vakanz in St. Gallen um ihren ausserordentlich tüchtigen Schreiber fürchten.

«Selbstverständlich trete ich in den Ausstand.»

Martin Würmli, Zuger Stadtschreiber

Allerdings hat Würmli die letzte Gelegenheit verstreichen lassen: Als der St. Galler FDP-Stapi Thomas Scheitlin per 2020 seinen Rücktritt ankündigte, erwog die CVP erst ins Rennen zu steigen. Würmli stand aber für eine Kandidatur nicht zur Verfügung. Gewonnen hat die Wahl übrigens vor wenigen Wochen die Sozialdemokratin Maria Pappa.

Würmli geht in den Ausstand

Martin Würmli wollte sich auf Anfrage von zentralplus materiell nicht zur Zuger Motion für ein unabhängiges Ratssekretariat äussern. Er arbeitet mit dem Büro des GGR zusammen, welches die Motion behandeln muss, bevor sie wieder ans Parlament geht. Der Stadtrat selbst hat zur Organisation des Parlaments nichts zu sagen. Dennoch will Würmli nicht mitdiskutieren, wie seine Aufgaben als Ratssekretär allenfalls neu verteilt werden. «Selbstverständlich trete ich in den Ausstand» sagt er.

Obwohl Würmli nur einen Teil seiner Zeit für den GGR aufwendet, sind seine parlamentarischen Aufgaben vielfältig. Sie reichen von Terminplanung, Pendenzenkontrolle, Kommunikation, juristischer und administrativer Unterstützung, Schnittstellenfunktionen bis zur Organisation von Parlamentsanlässen, Abstimmungen und Wahlen.

Dabei nimmt er die Hilfe von Mitarbeitenden der Stadtkanzlei in Anspruch. Ein Teil ihrer Ressourcen könnte man fürs Ratssekretariat verwenden, überlegen sich die Motionäre. So käme die Schaffung eines Sekretariats nicht so teuer, wie wenn man neue Leute dafür einstelle.

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