In Ruopigen übernehmen Schüler Verantwortung

Ein Zertifikat gegen autoritäre Lehrer

Die beiden Leiter der Schule Ruopigen, Roman Eisserle (links) und Christof Bünter.

(Bild: pze)

Im Schulhaus Ruopigen werden die Lehrer bald zertifiziert. Für ihr Handeln im Umgang mit den Kindern. Das Ziel: die Kinderrechte fördern. So soll mit dem autoritären Lehrstil gebrochen werden. Doch es stellt sich die Frage, ob Lehrer wirklich dokumentieren müssen, dass sie mit Kindern anständig umgehen.

Am Dienstag und Mittwoch findet in Luzern das Internationale Menschenrechtsforum statt. Es ist bereits die elfte Ausgabe des Forums, dieses Jahr widmet man sich dem Thema «Menschenrechte und Schule» (siehe Box am Ende). Mit dabei sind zwei Luzerner: Roman Eisserle und Christof Bünter, die beiden Schulleiter des Ruopigen-Schulhauses in Reussbühl.

Sie haben ein Kinderrechtslabel für eine Primarschule entwickelt, das für mehr Schutz, Fürsorge und mehr Partizipation der Kinder im Unterricht steht. Damit entspricht das Label den Schlüsselpunkten der UNO-Kinderrechtskonvention von 1989.

Externe Evaluation gab Anstoss

Aber warum braucht es in Luzern ein Kinderrechtslabel? «Es geht vor allem darum, unsere Handlungen im Umgang mit den Kindern bezüglich Kinderrechte noch zu verbessern», sagt Roman Eisserle. Sowohl Kinder wie Eltern und Lehrpersonen müssten sich zuerst mit diesen Rechten auseinandersetzen, um ihre Handlungen noch gezielter nach diesen zu richten.

Eine externe Evaluation habe den Anstoss für das Label gegeben: «Die Rückmeldung war, dass der Unterricht an der Schule Ruopigen zu wenige partizipative Elemente beinhaltet.» Das habe man sich zu Herzen genommen und die Schulleitung überlegte sich Massnahmen.

«Die Kinder sollen merken: ‹Meine Meinung zählt.› Wir wollen das Potenzial der Kinder erkennen und anerkennen.»

Roman Eisserle, Schulleiter Ruopigen

So ist die Idee des Labels entstanden. Dieses ist in zwei Oberbegriffe gegliedert, sie widerspiegeln die zentralsten Kinderrechte: Zum einen soll das Kind Wertschätzung erfahren. Das Kind soll Kind sein dürfen und man soll die Kindheit nicht nur als Weg zum späteren Leben sehen. Zum anderen soll sich das Kind miteinbezogen fühlen: Die Schüler dürfen das Schulleben mitgestalten – und sollen dadurch lernen, die Konsequenzen ihrer Entscheidungen zu tragen.

Unter diesen Übertiteln gibt es verschiedene Kriterien. Die Kinder sollen ihre Meinung sagen dürfen und entsprechend mitbestimmen über ihren Alltag. Sie sollen gegen Mobbing geschützt werden und sich sicher fühlen und die Kinder sollen respektvoll behandelt werden. Dabei sind die Kriterien aus Sicht des Kindes formuliert. «Die Kinder sollen merken: ‹Meine Meinung zählt.› Wir wollen das Potenzial der Kinder erkennen und anerkennen», so Eisserle.

Zertifizierung noch im Aufbauprozess

Das Label zertifiziert also nicht ganze Schulen, so Eisserle: «Wir prüfen jede Handlung im Umgang mit den Kindern. Denn: Kindergerechtes Handeln soll überall passieren – und jederzeit.»

Zu den Personen

Roman Eisserle (39) und Christof Bünter (46) sind die beiden Schulleiter des Schulhauses Ruopigen. Dabei teilen sie sich auf: Bünter ist verantwortlich für Kindergarten bis zur zweiten Klasse, Eisserle von der dritten bis sechsten Klasse. Grund für die Aufteilung der Leitung ist die Grösse: Ruopigen ist mit über 500 Kindern und über 70 Lehrpersonen das grösste Schulhaus der Stadt.

Wie die Zertifizierung genau funktioniert, ist noch nicht klar. Das Kinderrechtslabel steckt mitten im Aufbauprozess. Doch auch bei der Bewertung der Lehrperson gilt das oberste Gebot: Miteinbeziehen. «Wir könnten uns ein Bewertungsgremium vorstellen, in dem auch Kinder vertreten sind», sagt Christof Bünter, «denn es wäre geheuchelt, von den Lehrpersonen Partizipation zu verlangen und dann die Kinder in den Bewertungsprozess nicht miteinzubeziehen.»

«Das Wichtigste ist: Die Zertifizierung ist unkompliziert, breit abgestützt und transparent, auch für die Kinder und Eltern», sagt Bünter. Man wolle klar definieren, was man zertifiziert und warum. «Wir wollen ein Instrument schaffen, an welchem sich die Lehrpersonen orientieren können – und mit dem man Handlungen konkret messen kann», führt Eisserle aus.

Die Schule setzt damit auch ein Zeichen gegen einen autoritären Lehrstil, der strikte Unterrichtsmethoden vorgibt. Die Mitbestimmung der Kinder führt zu einem flexiblerem Schulalltag, dürfte aber auch die Lehrpersonen in einer neuen Art und Weise fordern.

Lehrpersonen: Angst vor Blossstellung

Nicht alle Lehrpersonen reagierten gleich begeistert, als die Idee erstmals präsentiert wurde. Christof Bünter führt aus: «Es gab Widerstände gegen das Dokumentieren über kinderrechtskonformes Handeln – vor allem, weil gewisse Lehrpersonen das Gefühl hatten, eine Alibiübung mitmachen zu müssen.» Denn die Lehrpersonen halten die Kinderrechte natürlich grösstenteils ein – dies dokumentieren zu müssen, hielten manche für unnötige Bürokratie oder sogar Blossstellung.

«Wir haben Extraschlaufen eingebaut, um wirklich jeden mit ins Boot zu holen.»

Roman Eisserle, Schulleiter Ruopigen

«Jede Stufe war bei der Erarbeitung des Labels vertreten. Über die Teamleiter flossen die Erkenntnisse und Ideen zurück zu den Lehrpersonen und es gab ständigen Austausch», ergänzt Eisserle. Die Schulleiter sind überzeugt, so habe man – langsam und kontinuierlich – alle Lehrpersonen abholen können.

Label gilt nur für Schule Ruopigen

«Der wichtigste Teil war der lange Prozess, den wir mit den Labels gemacht haben. So konnte ein grundsätzliches Verständnis für die Kinderrechte geschaffen werden», erklärt Eisserle. Dies sei der Grund, weshalb man nicht einfach die sieben Labels nehmen und an einer anderen Schule einführen könne. «Da würde man denken: ‹Das sind ein paar schöne Sätze›, aber sie wären nicht verinnerlicht.»

Man hat sich denn auch extra Zeit genommen bei der Einführung: «Wir haben Extraschlaufen eingebaut, um wirklich jeden mit ins Boot zu holen», erzählt Eisserle. Der eine oder andere im Schulhaus habe zwar ungeduldig reagiert, aber nichtsdestotrotz seien sie froh, habe man nichts überstürzt.

Unterstützung vom Zentrum für Menschenrechtsbildung

Nun stellen die beiden Schulleiter ihr Label erst einmal am Internationalen Menschenrechtsforum Luzern vor. Dies, weil die beiden Schulleiter für das Projekt sehr stark mit Thomas Kirchschläger, dem Leiter des Zentrums für Menschenrechtsbildung (ZMRB), zusammenarbeiteten.

Am Dienstag stellten die Schulleiter das Label den Studierenden der Pädagogischen Hochschule vor – und es verwundert nicht: Es gab keinen Vortrag, sondern die Studierenden mussten selber Inputs liefern.

11. Internationales Menschenrechtsforum Luzern

Das internationale Menschenrechtsforum Luzern (IHRF) 2017 widmet sich dem Thema «Menschenrechte und Schule». Im Verkehrshaus der Schweiz und den Räumlichkeiten der Uni/PH Luzern wird über Menschenrechte – insbesondere die Rechte von Kindern und jungen Menschen – diskutiert. Das Forum hat zum Ziel, die drei Säulen der UNO-Kinderrechtskonvention sichtbar zu machen: Schutz, Entwicklung und Partizipation.

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