Adligenswil: Bundesgericht stärkt Umweltverbände

Ein Urteil mit Folgen für die ganze Schweiz

Die Gemeinde Adligenswil.

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Der Fall «Adligenswil» erlangt schweizweite Bedeutung: Das Bundesgericht hat anhand des Luzerner Falls entschieden, dass Umweltorganisationen bei Neueinzonungen beschwerdeberechtigt sind. Der Entscheid könnte helfen, die Zersiedlung einzudämmen. Für die Gemeinde hingegen bedeutet er einen Rückschritt.

Ende August hatte das Bundesgericht im «Einzonungsfall Adligenswil» entschieden, dass die schweizerischen Natur- und Heimatschutzorganisationen berechtigt sind, gegen Neueinzonungen Beschwerde zu erheben. Vor kurzem nun haben die Lausanner Richter ihre schriftliche Begründung für diesen wichtigen Entscheid veröffentlicht.

2014 hatte die Gemeindeversammlung Adligenswil diverse Neueinzonungen beschlossen, vorwiegend für Wohnraum. Dagegen wehrte sich die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) – doch der Regierungsrat des Kantons Luzern wies die Beschwerde ab. Gegen diesen Entscheid klagte die SL vor dem Luzerner Kantonsgericht – erfolglos. Das Kantonsgericht urteilte, dass die Stiftung nicht zur Beschwerde befugt sei.

Das Bundesgericht sieht dies aber anders. Es bejaht die Beschwerdebefugnis von Natur- und Heimatschutzorganisationen nun neu auch bei der Schaffung neuer Bauzonen. Im konkreten Fall von Adligenswil heisst das Bundesgericht die Beschwerde der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz gegen die geplanten Neueinzonungen in der Luzerner Vorortsgemeinde gut. Es hebt damit den Entscheid des Luzerner Kantonsgerichtes auf und schickt die Sache zur Neubeurteilung an den Regierungsrat zurück.

Obergrenzen für die Grösse der Bauzonen

Der Regierungsrat wird in seinem neuen Entscheid bei der Frage, ob die geplanten Einzonungen genehmigungsfähig sind, den inzwischen vom Bundesrat genehmigten revidierten Richtplan des Kantons Luzern berücksichtigen müssen. Zudem muss er die Einwände der Stiftung Landschaftsschutz neu beurteilen. Urs Huber, Abteilungsleiter Bau und Infrastruktur der Gemeinde Adligenswil, erklärt, welche Einzonungen durch den Regierungsrat neu zu beurteilen sind: Es geht um die geplanten neuen Baugebiete Äbnet, Obmatt, Altmatt, Blatte und die Flächen südlich des Stöckenwegs und nördlich der Ebikonerstrasse (hier geht’s zum Übersichtsplan).

«Der Bundesgerichtsentscheid bedeutet für die Gemeinde Adligenswil einen empfindlichen Rückschritt.»

Lucas Collenberg, Geschäftsführer der Gemeinde Adligenswil

«Der Bundesgerichtsentscheid bedeutet für die Gemeinde Adligenswil einen empfindlichen Rückschritt», sagt Lucas Collenberg, Geschäftsführer der Gemeinde Adligenswil. «Nun sind die streitigen Einzonungen zu prüfen und Lösungen zu erarbeiten, die mit dem neuen Richtplan und dem neuen Raumplanungsgesetz nicht in Widerspruch stehen und der Gemeinde den nötigen Raum für die künftige Entwicklung geben.»

Immer noch beträchtliche Fläche

Laut Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz plante Adligenswil ursprünglich Neueinzonungen von rund 9 Hektaren. Dies entspricht einer Fläche von über zwölf Fussballfeldern. Die nun neu zu beurteilenden Flächen umfassen rund 6,4 Hektaren – was angesichts der Grösse der Gemeinde im schweizweiten Vergleich immer noch eine Fläche von beträchtlicher Dimension ist.

Bis wann klar ist, ob Adligenswil wie gewünscht wachsen kann, steht aber noch nicht fest. «Ich kann keine Angaben machen, wann mit einem Entscheid des Regierungsrates zu rechnen ist», sagt Erik Lustenberger, Leiter Rechtsdienst des Luzerner Bau-, Umwelt- und Wirtschaftsdepartementes.

Zur Erinnerung: Mit der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG), die in der Volksabstimmung vom März 2013 deutlich angenommnen wurde, werden Neueinzonungen erschwert. Gemeinden dürfen nicht mehr auf Vorrat Bauland schaffen. Damit soll der Zersiedelung und dem Kulturlandverlust Einhalt geboten werden. Der neue Artikel 15 des Raumplanungsgesetzes enthält verbindliche Vorgaben für die Grösse der Bauzonen. Werden diese verletzt, erweist sich eine Einzonung ohne Weiteres als rechtswidrig.

Generelle Legitimation bei Neueinzonungen

Das Bundesgericht hält in seiner kürzlich publizierten Urteilsbegründung fest, dass der neue Artikel 15 des RPG direkt anwendbar sei und damit eine Bundesaufgabe darstelle. Damit ist gemäss Bundesgericht eine der Voraussetzungen erfüllt, damit die Natur- und Heimatschutzverbände im Zusammenhang mit Neueinzonungen beschwerdeberechtigt sind. Gemäss Bundesgericht ist auch die zweite Voraussetzung, der Bezug zum Natur- und Heimatschutz, gegeben. Sinn des neuen Artikels sei ja, die Zersiedelung der Landschaft und den Verlust an Kulturland zu stoppen.

«Aufgrund des Verbandsbeschwerderechts wird das Bundesgericht in den nächsten Jahren vermehrt Gelegenheit erhalten, unklare Punkte zu klären.»

Alain Griffel, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich

Das oberste Gericht des Landes betont, dass die im Natur- und Heimatschutzgesetz genannten Verbände nun ganz generell und ohne weitere Voraussetzungen befugt sind, bei Neueinzonungen Beschwerde einzulegen. Wörtlich schreibt das Bundesgericht dazu: «Nicht erforderlich ist, dass die Neueinzonung ein Natur- oder Heimatschutzobjekt von regionaler oder gar von nationaler Bedeutung betrifft.»

Laut Bundesgericht wird damit eine gerichtliche Kontrolle von Einzonungen im Interesse der haushälterischen Bodennutzung und der Schonung von Natur und Landschaft ermöglicht. Entsprechend kommen die obersten Richter des Landes zum Schluss, dass die sogenannte Verbandsbeschwerde gegen Neueinzonungen offensteht.

Bundesgericht kann nun öfters «zurückkorrigieren»

Alain Griffel, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich, spricht von einem «Entscheid von sehr grosser Bedeutung für die Raumplanung». Dafür führt er zwei Gründe an. Einerseits formuliere die genannte Teilrevision des neuen Raumplanungsgesetzes verfeinerte und teilweise neue Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit Land einer Bauzone zugewiesen werden darf. «Diese Kriterien sind aber nicht alle bis in den letzten Winkel klar. Aufgrund des nunmehr zur Verfügung stehenden Verbandsbeschwerderechts wird das Bundesgericht in den nächsten Jahren vermehrt Gelegenheit erhalten, unklare Punkte zu klären und eine kohärente Rechtsprechung zu entwickeln.»

«Für uns ist das ein wichtiges Mittel, um gegen überdimensionierte Neueinzonungen wie im Fall Adligenswil vorzugehen.»

Franziska Grossenbacher, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz

Wichtig sei auch ein zweiter Punkt. Der Bundesrat habe nämlich dem Druck der Kantone in erheblichem Masse nachgegeben und so teilweise gesetzwidrige Verordnungsbestimmungen erlassen. In zwei jüngst gefällten Urteilen habe das Bundesgericht dieses gesetzwidrige Ausführungsrecht mittlerweile bereits wieder «zurückkorrigiert».

Dank dem Verbandsbeschwerderecht werde das Bundesgericht nun vermehrt die Möglichkeit haben, dieses «verunglückte» Verordnungsrecht zu korrigieren. Für die Raumplanung lasse dies hoffen. Das Bundesgericht nehme nämlich die Umsetzung der RPG-Revision sehr ernst. «Via Verbandsbeschwerde werden inskünftig deutlich mehr Fälle zum Schlüsselthema Artikel 15 RPG ans Bundesgericht gelangen.»

Genugtuung bei den betroffenen Verbänden

Freude zeigt man naheliegenderweise bei den einspracheberechtigten Verbänden. Franziska Grossenbacher von der im Fall «Adligenswil» obsiegenden Stiftung Landschaftsschutz Schweiz spricht – gleich wie die Schweizerische Vereinigung für Landesplanung – von einem «bedeutenden Urteil»: «Gesamtschweizerische Natur- und Heimatschutzorganisationen wie wir sind berechtigt, gegen die Neueinzonung von Bauland Einsprache und Beschwerde zu erheben. Für uns ist das ein wichtiges Mittel, um gegen überdimensionierte Neueinzonungen wie im Fall Adligenswil vorzugehen.»

«Das Urteil stimmt uns zuversichtlich, dass wir den Verlust von Kulturland und die Zersiedelung bremsen können.»

Samuel Ehrenbold, Geschäftsführer von Pro Natura Luzern

«Die WWF-Sektionen in der Zentralschweiz begrüssen diese Präzisierung durch das Bundesgericht und werden diese künftig in ihrer Tätigkeit vertieft beachten», erklärt Marc Germann vom WWF Zentralschweiz. Die Haltung des Bundesgerichtes untermauere die bisherigen Anstrengungen der kantonalen Umweltsektionen, bekräftigt Samuel Ehrenbold, Geschäftsführer von Pro Natura Luzern: «Das Urteil stimmt uns zuversichtlich, dass wir – nötigenfalls mit Hilfe des Verbandsbeschwerderechts – den Verlust von Kulturland und die Zersiedelung bremsen können.»

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon